- Kultur
- Genosse Shakespeare
Bei Licht besehen
Mit »Macbeth« leuchtet Genosse Shakespeare die dunklen Seiten der Machtkämpfe aus
»Tu, notte, ne avvolgi / di tenebre immota«, singt Felicia Moore mit kraftvoller Stimme in der Deutschen Oper Berlin. Ja, die Nacht, sie hüllt sich in reglose Dunkelheit. Das wird im Theater kaum jemals so deutlich wie in dem Nacht-und-Schatten-Stück »Macbeth« des Genossen Shakespeare. Verdi hat daraus bekanntlich eine gut verdauliche Oper gemacht. Die wurde nun in Berlin von Marie-Ève Signeyrole neu in Szene gesetzt, während Enrique Mazzola hinterm Pult Platz nahm.
Signeyrole siedelt den Stoff in nicht allzu ferner Zukunft an und lässt die Künstliche Intelligenz – als Träger der Macht – auftreten. Bevor ein Mensch aus Fleisch und Blut die Szene betritt, spricht ein Avator von der Leinwand zum Publikum. »Gehört das schon zum Stück?«, fragt mich meine Begleitung rechts von mir. »So ein Blödsinn!«, entfährt es wie zur Antwort dem mir unbekannten Mann zu meiner Linken.
Die zeitliche Übersetzung dieses überzeitlichen Stücks um Aufstiegsfuror und Abstiegsangst, Tyrannenmord und mordende Tyrannen, »Regime Change« und gefühlten Machtsanpruch vermag nicht recht zu überzeugen. Bildästhetisch bleibt die Inszenierung unentschlossen, während man musikalisch auf seine Kosten kommt. Dass der Hexenchor aus swipenden Dienerinnen der Hochtechnologie besteht, ist ein Regieeinfall ohne Konsequenz. Textprojektionen darf man entnehmen, dass der Machtkampf in Schottland nicht zuletzt Rohstoffvorkommen in der Nordsee geschuldet ist. Auch ohne diese Art Informationsangebot wäre das Publikum sicher zu folgen imstande gewesen. So versperrt viel Brimborium ein wenig die Sicht aufs Wesentliche.
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
Alle Kolumnen finden Sie hier.
Das der Inszenierung aufgezwungene (und ebenso wirkende) Setting im Digitalzeitalter unterläuft nicht Shakespeares dramatische Grundanlage: Wir haben es mit einem blutigen Stück Literatur zu tun – und das vergossene Blut wird weiteres Blutvergießen zeitigen. Das Blut fließt auch in klinischen Zeiten. Die Nacht umhüllt sich in Dunkelheit. Oder wie Genosse Brecht ein paar Jahrhunderte nach Shakespeare auf der Bühne trällern ließ: »Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.«
Und stellt nicht schon die hell strahlende, fast sanfte Komposition Verdis auf paradoxe Weise das blutige Geschehen ins Dunkel. Die anrührende Musik wirkt wie der zivilisierte Soundtrack zu einem Machtkampf, der sich am Recht des Stärkeren orientiert.
Während in der Deutschen Oper Berlin »Macbeth« auf dem Spielplan steht, kann auch das Publikum des politischen Welttheaters da draußen zivilisierte Begleitmusik vernehmen. Was im Dunkeln vorgeht, können wir wie immer nur ahnen. Da treffen sich der amtierende US-Präsident Biden, der auf den letzten Metern rigoros noch einige außenpolitische Realitäten schaffen will, und der künftige Präsident Trump, der bereits die Demontage demokratischer Standards vorbereitet, zum Handschlag im Weißen Haus. Begegnete Macbeth König Macduff nicht ähnlich freundlich?
Angela Merkel lässt uns in ihren freiheitlich-demokratischen Memoiren wissen, bei ihrem Weg nach oben habe sie schlicht nur den Regeln des Protokolls befolgt. Wer in der Deutschen Oper die Augen geschlossen hält, wie mein Nachbar links, der hört die anmutige Schönheit der Herrschaft, die Gewaltgeschichte sieht man nicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.