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Regionalbahn in Brandenburg: Weniger Diesel, aber mehr Züge
Mehr Angebot im Osten Brandenburgs – mit Akkus und Wasserstoff
Alle halbe Stunde von Berlin nach Werneuchen und Müncheberg und zurück statt bisher einmal pro Stunde. Ab dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember wird die Regionalzuganbindung auf den Linien RB25 und RB26 deutlich attraktiver.
Gleichzeitig ist das der Einstieg in den Ausstieg aus der Ära des Dieseltriebwagens. Auf zehn Regionalbahnlinien im Osten Brandenburgs sollen neue Akkuzüge den Betrieb übernehmen, die Heidekrautbahn (RB27) von Berlin-Karow nach Groß Schönebeck und Wensickendorf wird auf Wasserstoffantrieb umgestellt.
»So wird das Pendeln von der Last zur Lust«, schwärmt Berlins Verkehrsstaatssekretär Johannes Wieczorek (CDU) auf der vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) am Dienstag veranstalteten Pressekonferenz goldene Zeiten herbei. Dafür werden die Pendlerinnen und Pendler allerdings nicht auf Verkehrsmittel der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) umsteigen dürfen, bei denen trotz erheblicher Fahrplankürzungen Tag für Tag zum Beispiel bei der U-Bahn acht Prozent der Leistungen ausfallen.
Deutlich demütiger tritt der nur noch bis zum Antritt einer neuen Regierung geschäftsführend tätige brandenburgische Infrastruktur-Staatssekretär Uwe Schüler (CDU) auf. Er hoffe, dass sich die Situation zum Fahrplanwechsel bessere – das vergangene Jahr sei für Fahrgäste »nicht immer eine Freude« gewesen. »Ich möchte an dieser Stelle auch mal einfach Entschuldigung sagen gegenüber den Fahrgästen«, so Schüler.
Auch bei der aktuellen Umstellung ist im Vorfeld nicht alles glattgelaufen, wie die Betreibergesellschaft Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) berichtet. Statt der bestellten sieben Wasserstoffzüge für die Heidekrautbahn stehen zum Fahrplanwechsel nur fünf zur Verfügung. Bei den Akkuzügen für die restlichen zehn Linien konnte Hersteller Siemens bisher sogar nur sieben von 31 Fahrzeugen liefern. Auch wenn zu Beginn noch nicht alle neuen Züge einsatzbereit sind, »werden wir ersatzweise noch entsprechende Dieselfahrzeuge haben, die einspringen können und die dafür sorgen, dass die im Angebotskonzept geplanten Fahrten auch gefahren werden können«, kündigt Staatssekretär Schüler an.
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Bei der Heidekrautbahn RB27 sollten die Fahrgäste davon eigentlich wenig merken, kündigt NEB-Geschäftsführer Sebastian Achtermann an. Denn für das aktuelle Netz reichen die fünf Fahrzeuge, die beiden weiteren sind für die Wiederinbetriebnahme der sogenannten Stammstrecke von Basdorf nach Berlin-Wilhelmsruh vorgesehen. Doch bis dahin werden noch Jahre vergehen, das Planfeststellungsverfahren erwies sich als deutlich komplexer als erwartet.
Weniger Sitzplätze in den neuen Wagen
Und obwohl bis Ende Januar 2025 die fehlenden beiden Wasserstoff-Triebwagen geliefert sein sollen, werden die angekündigten Doppeltraktionen bei besonders nachgefragten Fahrten im Berufs- und Ausflugsverkehr wohl noch bis in den Spätsommer auf sich warten lassen. Denn dafür fehlt noch die Zulassung des Eisenbahn-Bundesamtes. Das ist misslich, schließlich haben die neuen Fahrzeuge vom Typ Siemens Mireo plus H mit 134 Sitzplätzen immerhin 22 weniger als die aktuellen Dieseltriebwagen vom Typ Talent.
Die neuen Züge sind Teil eines Gesamtprojekts zu regionaler Wasserstoffwirtschaft. Doch die Komponenten sind noch nicht betriebsbereit. Es wurde noch nicht begonnen, die Elektrolyseanlage zur Herstellung des Energieträgers aus regionalem Ökostrom zu bauen, daher kann Auftragnehmer Enertrag noch keinen eigenen Wasserstoff liefern. Und auch die Tankstelle für die Züge in Basdorf ist noch nicht betriebsbereit. Wegen Lieferengpässen fehlt, sehr vereinfacht ausgedrückt, die Zapfpistole.
»Ich möchte an dieser Stelle auch mal einfach Entschuldigung sagen gegenüber den Fahrgästen.«
Uwe Schüler (CDU)
Infrastruktur-Staatssekretär Brandenburg
Vorläufig werden die Züge daher direkt aus den Tanklastern befüllt, die den Wasserstoff vom Chemiepark Frankfurt-Höchst oder aus Österreich herankarren. Und obwohl so das Tanken bis zu drei Stunden statt 40 Minuten dauert und die Zugtanks nur zu 80 statt 100 Prozent gefüllt werden können, habe man »ein sehr gutes und ein sehr stabiles Ersatzkonzept entwickelt«, versichert NEB-Geschäftsführer Achtermann. Zudem habe man ein Notfallkonzept in der Schublade.
Keine hessischen Verhältnisse
»Ich erwarte zwar keine großen Störungen, aber ich kann ehrlicherweise jetzt auch nicht mit hundertprozentiger Gewissheit sagen, da der Fahrgastbetrieb noch mal eine andere Belastung hat als dieser Vollastbetrieb«, fasst Sebastian Achtermann seine Erwartungen an den Wasserstoffbetrieb zusammen.
Denn Wasserstoffzüge sind im Zuge einer seit zwei Jahre andauernden Pannenserie im Regionalbahnbetrieb auf mehreren Linien im Taunus nahe Frankfurt am Main in Verruf geraten. Ersatzverkehre im großen Umfang und massive Fahrgasteinbrüche sind die Folge, drei von vier Linien sollen ab dem Jahreswechsel vorerst für bis zu ein Jahr wieder mit Dieseltriebzügen befahren werden.
Nachdem der zuständige Landrat des Hochtaunuskreises verlauten ließ, dass der hier verwendete besonders aggressive Wasserstoff die Brennstoffzellen der Züge zerstöre, kamen Vermutungen auf, dass der als Abfallprodukt der Chlorchemie im Chemiepark Frankfurt-Höchst anfallende Wasserstoff zu stark verunreinigt sein könnte. Doch klare Aussagen gibt es dazu bisher nicht.
Letztlich handelt es sich auch bei diesen Zügen um Elektrofahrzeuge, der nötige Strom wird in der Brennstoffzelle aus Wasserstoff hergestellt.
»Wir haben vom Hersteller Siemens klare Vorgaben bekommen, welchen Reinheitsgrad der Wasserstoff erreichen muss. Unser Lieferant Enertrag kennt diese Vorgaben«, erläutert NEB-Geschäftsführer Achtermann. Er stelle auch sicher, dass diese eingehalten werden.
Man habe in den letzten Monaten »sehr positive Fahrerfahrungen mit den Fahrzeugen gesammelt«. Bei Vorführ- und Ausbildungsfahrten liefen die Fahrzeuge »sehr stabil«. Der größte Unterschied zu den Wasserstoffzügen, die im Taunus sowie rund um das niedersächsische Bremervörde unterwegs sind, sei allerdings der Hersteller. »In den beiden Netzen werden Alstom-Fahrzeuge eingesetzt. Hier werden Siemens-Fahrzeuge eingesetzt«, sagt Sebastian Achtermann. »Insofern ist da auch keine Eins-zu-eins-Vergleichbarkeit gegeben.«
Mit den ersten sieben Akkuzügen werden ab 15. Dezember die Dieseltriebzüge von der schon erwähnten RB25 sowie der RB35 (Fürstenwalde-Bad Saarow-Pieskow) und RB63 (Eberswalde-Joachimsthal) verschwinden.
Im zweiten Quartal sollen die RB36 (Königs Wusterhausen-Frankfurt (Oder)) komplett sowie die RB12 (Berlin-Templin Stadt) und die Verstärkerfahrten nach Müncheberg der RB26 teilweise folgen.
Zur Jahresmitte folgen die RB61 und die RB62 von Angermünde nach Schwedt (Oder) beziehungsweise Prenzlau, kurz darauf die RB60 (Eberswalde-Frankfurt (Oder)).
Damit werden zum Ende des Sommers auf der RB26 nur noch auf den Fahrten nach Kostrzyn Dieselzüge unterwegs sein. Die bei Pendlern und Betreiber wegen ihrer Unzuverlässigkeit unbeliebten elf Pesa-Triebzüge bleiben dort bis Ende 2036 in Betrieb.
Bis zum Spätsommer sollen nach und nach alle Akku-Züge eingesetzt werden. Damit wird der Anteil der Dieselzüge am VBB-Regionalverkehr von derzeit 26 auf 15 Prozent sinken. 5,5 Millionen Liter Diesel werden dann pro Jahr weniger verbraucht, rund 14 500 Tonnen CO2-Emissionen eingespart.
Doch auch für den Batteriebetrieb fehlt derzeit mehr als die reinen Züge. Für das nötige Schnellladen der Akkus ist an den drei Bahnhöfen Berlin-Lichtenberg, Königs Wusterhausen und Frankfurt (Oder) die Oberleitung zu schwach – sie könnte schmelzen. Das habe ihm der Infrastrukturbetreiber DB Infra Go mitgeteilt, berichtet Sebastian Achtermann von der NEB. Er hoffe, dass der Netzbetreiber die notwendige Aufrüstung bis Ende März 2025 hinbekomme.
Deswegen soll die RB25 montags bis freitags vorerst in Berlin-Lichtenberg enden und nicht zum Ostkreuz weiterfahren. Auch die grenzüberschreitenden Züge der RB26 werden vorerst nicht das Ostkreuz erreichen, weil die Dieselzüge noch auf anderen Strecken benötigt werden. Die Fahrgäste dürfen jedoch auf deutlich mehr Pünktlichkeit hoffen, denn die Wendezeit in Berlin ist von wenigen Minuten auf rund eine Stunde verlängert worden. Bisher übertrugen sich Verspätungen von in Berlin ankommenden Zügen daher auf die Gegenrichtung nach Kostrzyn.
Noch nicht fertig ist auch die von der NEB aufzubauende Lade-Infrastruktur an vier Bahnhöfen, die weit weg vom elektrifizierten Netz sind. Das mache zwar mehr nächtliche Betriebsfahrten nötig, habe auf den Fahrgastverkehr aber keine Auswirkungen, versichert Achtermann.
Vorteile für Fahrgäste und Nachbarschaft
Die Elektrifizierung des Bahnverkehrs bringt nicht nur der Umwelt etwas. »Wir profitieren davon, dass wir Fahrzeuge einsetzen, die einen Elektroantrieb haben, die auch viel leiser sind«, sagt Bernd Arm, Abteilungsleiter Angebot und Infrastruktur beim VBB. Das sei ein wichtiger Punkt, für jene, die entlang der Strecken wohnen oder ich im Zug selbst sitzen. Kein Dröhnen, Röhren und Vibrieren wie beim Dieselantrieb.
Fahrgäste profitieren auch von der deutlich besseren Beschleunigung im Vergleich zu Dieseltriebwagen. Die Fahrzeit zwischen Berlin-Lichtenberg und Ahrensfelde auf der RB25 sinkt von derzeit 12 auf künftig 8 Minuten, auf der Gesamtstrecke bis Werneuchen bleiben wegen Wartezeiten auf Gegenzüge immerhin noch zwei Minuten Fahrzeitersparnis übrig.
»Wir nutzen das Potenzial auch, um mehr Halte anbieten zu können«, sagt Bernd Arm. Gerade bei den Verstärkerfahrten der RB25 sei offen gewesen, ob an allen Bahnhöfen gehalten werden könne. Mit den Akkuzügen funktioniere das.
VBB möchte bis 2037 rauchfrei werden
Ab Dezember 2026 soll auch die Verbindung von Berlin ins polnische Stettin elektrisch betrieben werden. Zumindest wenn es DB InfraGo bis dahin schafft, den doppelgleisigen Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke abzuschließen. Nur noch 90 Minuten soll die neue Expressverbindung RE9 dann für den Weg brauchen – 20 Minuten weniger als bisher. Er soll zusätzlich zur bereits fahrenden RB66 verkehren.
Ende 2030, nach Ende des derzeitigen Verkehrsvertrags, sollen die Linien RB46 und RB65 elektrisch unter Oberleitung fahren – wenn die Strecken bis dahin vollständig elektrifiziert sind. Ende 2034 dürfte es zumindest bei RB33, RB37 und RB51 im Westen Brandenburgs sein, die dann mit Akkuzügen betrieben werden sollen.
Noch kein genaues Datum liegen für die geplante Elektrifizierung des Prignitz-Expresses RE6 und der parallel laufenden RB55 vor. Ähnlich sieht es bei der RB26 nach Kostrzyn aus. Beim VBB hofft man, dass die Ostbahn bis Ende 2036 zumindest teilweise zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert sein wird. Das Vorhaben findet sich jedoch bisher nur in der niedrigsten Kategorie des Bundesverkehrswegeplans.
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