Der Bürger als Angreifer

Gewalt durch Bundespolizei stets als Reaktion auf Attacken dargestellt

Laut Polizei sind ihre Einsätze vor allem für Beamte gefährlich. Allerdings führten sie bei Kontrollierten oder Festgenommenen nicht selten zu Verletzungen und in diesem Jahr sogar 19 Mal zum Tod
Laut Polizei sind ihre Einsätze vor allem für Beamte gefährlich. Allerdings führten sie bei Kontrollierten oder Festgenommenen nicht selten zu Verletzungen und in diesem Jahr sogar 19 Mal zum Tod

Insgesamt sind allein in diesem Jahr laut den Erhebungen des Magazins »CILIP/Bürgerrechte und Polizei« inzwischen 19 Personen durch Schusswaffengebrauch von Polizisten gestorben. Das ist ein neuer Höchstwert, so viele Menschen kamen zuletzt 1999 durch Polizeischüsse ums Leben. Darüber hinaus werden jedes Jahr viele Frauen und Männer bei Polizeieinsätzen teils schwer verletzt, oft durch Schläge, durch den Einsatz von Reizgas oder den Einsatz von Distanz-Elektroimpulsgeräten(DEIG) beziehungsweise Tasern.

Zu den Vorfällen, an denen 2023 und in den ersten neun Monaten dieses Jahres Bundespolizisten beteiligt waren, befragten die Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Gruppe Die Linke im Bundestag die Bundesregierung. Deren Antwort lag »nd« am Mittwoch vor. Demnach war die Bundespolizei im genannten Zeitraum lediglich an einem tödlichen Einsatz beteiligt. Umfangreich listet die Bundesregierung in der Antwort auch die Zahl im Einsatz verletzter Bundespolizisten auf, die bei gut 1000 lag.

Gefragt hatte Renner auch nach dem Einsatz von Tasern und nach der Zahl verletzter Bürger infolge von Einsätzen außerhalb von »Versammlungsgeschehnissen«. Diese lag 2023 bei 344 und von Januar bis September dieses Jahres bei 238. Die Anlässe waren vielfältig. Am häufigsten kamen Menschen im Zusammenhang mit Identitätsfeststellungen, Kontrollen, Gewahrsam- und Festnahmen, Durchsuchungen und Platzverweisen zu Schaden. Aber auch bei sogenannten Gefährderansprachen und Blutabnahmen bei Drogentests.

Auffällig ist, dass in der von der Bundespolizei gelieferten tabellarischen Auflistung sämtliche verletzten Nicht-Polizisten als »Angreifer« bezeichnet werden. Dazu erklärte Martina Renner gegenüber »nd«: »Es ist interessant, dass der Blickwinkel auf die hier erfragten Zahlen offenbar einem ganz bestimmten Zweck dient. Dieser Blick ist weder für die polizeiliche Arbeit noch für das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Polizei hilfreich.«

Aus Sicht der polizeilichen Auswertung seien offenbar »alle anlässlich von Polizeimaßnahmen verletzten Bürgerinnen pauschal als Angreifer zu klassifizieren«, so die Linke-Politikerin. Diese Einstufung treffe jedoch »mit Sicherheit nicht in allen der genannten Fälle zu, sondern vermutlich nur bei einem kleinen Teil«. »Aber wenn angebliche Straftäter*innen verletzt werden, muss niemand sich kritische Fragen stellen oder Einsätze überprüfen«, konstatiert Renner.

In ihrer Anfrage hatte sie auf Gesamtzahl tödlicher Polizeischüsse verwiesen und angemahnt, dass sich Staat und Behörden ernsthaft damit auseinandersetzen, Konsequenzen ziehen und Gegenmaßnahmen ableiten. Renner verwies auf den Fall des minderjährigen Mouhamed Dramé, der von einem Polizisten erschossen wurde, obwohl bereits Reizgas und Taser gegen ihn eingesetzt worden waren. Inzwischen, so Renner, sei bekannt, dass zwischen dem Einsatz eines Tasers und dem ersten Schuss aus der eingesetzten Maschinenpistole weniger als eine Sekunde lag. Während die fünf vor Gericht gestellten Beamten zunächst wegen Totschlags angeklagt worden waren, stufte die Staatsanwaltschaft den Tatvorwurf vergangene Woche auf fahrlässige Tötung herab und fordert nun nur noch für den Einsatzgruppenleiter eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe.

Initiativen wie Death in Custody fordern seit langem eine bundesweit einheitliche Erfassung von Todesfällen bei Polizeieinsätzen.

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