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Den Verhältnissen die eigenen Arien vorträllern

»Oper raus!«, fordern Ulrike Hartung und Kornelius Paede mit ihrem kürzlich erschienenen Buch

Sieht so das Opernhaus der Zukunft aus? Der Innenhof der Kongresshalle Nürnberg soll dem Bayerischen Staatstheater als Interimsspielstätte dienen.
Sieht so das Opernhaus der Zukunft aus? Der Innenhof der Kongresshalle Nürnberg soll dem Bayerischen Staatstheater als Interimsspielstätte dienen.

Ulrike Hartung und Kornelius Paede haben ihrem Buch mit dem schönen appellativen Titel »Oper raus!« den etwas braveren und dennoch aufschlussreichen Untertitel »Ästhetische Neuformatierungen und gesellschaftliche Widersprüche« hinzugefügt. Dass in den Künsten Inhalt und Form einander bedingen, dass es Aufgabe einer kritischen Kunst sein sollte, die Verhältnisse auf die Bühne zu bringen, und dass die Realität des 21. Jahrhunderts neue Fragen an die alte Kunstform Oper stellen muss, das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten. Wer hin und wieder ein Opernhaus betritt, weiß allerdings, dass längst nicht alle Musiktheatermacher diese Ansicht teilen. Und so ist der Sammelband eine Handreichung für diejenigen – sei es auf oder hinter der Bühne, sei es im Parkett –, dass Oper nicht das Elitenprojekt aus dem letzten Jahrtausend bleiben muss, sondern die Antagonismen des Spätestkapitalismus künstlerisch verhandeln kann.

»Oper raus!« ist ein Hybrid aus Praxisbericht und Einblick in (musik-)theaterwissenschaftliche Diskurse der Gegenwart. Hartung arbeitet als Wissenschaftlerin; Paede ist Chefdramaturg im Bereich Musiktheater am Staatstheater Kassel, das sich in den letzten Jahren seinen Ruf als Experimentierstätte in Sachen Oper erarbeitet hat. So verwundert es auch nicht, dass zahlreiche Beiträge von künstlerischen Mitarbeitern des Staatstheaters stammen. Tatsächlich sind gerade die Texte besonders stark, die konkret Schieflagen in den darstellenden Künsten benennen und mögliche Auswege aus einer rein musealen Kunst aufzeigen.

Dass das alte Musiktheater noch lange nicht ausgedient hat, auch in seiner traditionsverhafteten und gewachsenen Form seine Berechtigung und seinen Reiz hat, täuscht nicht über unzählige Anachronismen hinweg. In den Beiträgen wird für neue Theaterräume plädiert, dafür plädiert, kanonische Werk vorrangig als Material zu betrachten und gleichsam das Regietheater, dieses Schreckgespenst aus dem letzten Jahrhundert, in die Abstellkammer verwiesen. Die virulente Debatte um Repräsentation, die Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen und Fragen der Besetzung werden – wenn auch nicht immer vollkommen überzeugend – aufs Musiktheaterfach angewendet.

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Dabei muss man nicht jedem Vorschlag folgen. Wie sinnvoll etwa das Exil der darstellenden Künste im digitalen Raum ist, bleibt dahingestellt. Dennoch liest man dankbar von den verschiedenen Versuchen, die Kunst nicht unter ihrem Wert zu verkaufen und auf ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu bestehen, indem man auch neue Wege beschreitet.

Hartung und Paede plädieren etwa dafür, die Um- und Neubauten von Opernhäusern sowie die Ausweichspielstätten, die das Publikum oft zwangsweise von der Guckkastenbühne entwöhnen und ihm neue Perspektiven ermöglichen, als eine Chance und Einladung zur grundlegenden Erneuerung zu begreifen. Auch dafür steht die Formulierung »Oper raus!«. Tatsächlich sind solche baulichen Maßnahmen derzeit nicht nur in Kassel, sondern unter anderem auch München, Frankfurt am Main und Wien Thema. Den Widerständen gegen teure Investitionen in das kulturelle Erbe halten die Herausgeber ihren Glauben an die Chance entgegen, »produktive Ausnahmezustände für neue Seh- und Hörexperimente zu erschließen und dabei nicht zuletzt die feudalen Hierarchien der Operntempel zu befragen«. Etwas, worauf man in Berlin, wo im neoliberalen Sparwahnsinn ein Stopp über die Baumaßnahmen an der Komischen Oper verhängt wurde, kaum noch zu hoffen wagt.

Ulrike Hartung, Kornelius Paede (Hg.): Oper raus! Ästhetische Neuformatierungen und gesellschaftliche Widersprüche. Utz-Verlag, 290 S., br., 84 €.

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