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»Ka-pi-tal? Was soll das denn sein?«

Marxismus als spannende Abenteuergeschichte für Kinder: »Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut« von Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf einmal ist man in der Fabrikgesellschaft gefangen (man beachte den Gesichtsausdruck)
Auf einmal ist man in der Fabrikgesellschaft gefangen (man beachte den Gesichtsausdruck)

Am Anfang steht ein Traum: Der zehnjährige Karl träumt, dass ein monströser Wagen mit pyramidenförmigem Dach einen Hügel hinunterrollt und die Häuser eines kleinen Dorfes zu zermalmen droht. Niemand scheint den Wagen aufhalten zu können, alles, was sich ihm in den Weg stellt, wird überrollt. Als auch Karls Haus zerstört zu werden droht, schreckt Karl auf. War das ein böses Omen?

Offensichtlich! Denn als er am nächsten Tag mit seiner Schwester Rosa in den Wald geht, um wie gewöhnlich Brennholz zu sammeln, hängt dort ein großes Schild: »Holzsammeln ab sofort verboten! Holzdiebe werden hart bestraft. Dieser Waldabschnitt ist verkauft!«

Ein Einschnitt von bisher unbekanntem Ausmaß in der Welt von Karl und Rosa. Zusammen mit ihren Eltern leben sie auf einem kleinen Bauernhof auf der beschaulichen Insel Feudalia. Dort gibt es nur ein Dutzend kleine Dörfer mit jeweils kaum mehr als 20 Einwohnern und eine kleine Stadt, in die Karl und Rosa manchmal zum Markt gehen. Ebendort verkündet die Königin kurz darauf den Bau einer Brücke zur Nachbarinsel Capitalia und dass alle Bewohner Feudalias ihre Höfe verlassen müssen, um in den entstehenden Fabriken der Stadt zu arbeiten. Versprochen wird ihnen, dass sich ihr Reichtum mehren wird.

Von wegen: Wenig später finden sich Karl und Rosa mit einer Realität konfrontiert, die an den härtesten Manchester-Kapitalismus erinnert: Ihre Eltern müssen zehn Stunden am Tag monotone Arbeit verrichten, kommen erschöpft aus der Fabrik und haben doch nicht genug Geld, um sich genug Essen leisten zu können. Karl und Rosa müssen das Bett in der engen Wohnung mit zwei ehemaligen Nachbarjungen vom Dorf teilen. Denn auch Nachtschichten für Jugendliche sind üblich auf Feudalia – das der Nachbarinsel Capitalia immer ähnlicher wird. Soldaten und Polizisten greifen spielende Kinder auf der Straße auf und stecken sie in Arbeitshäuser. Sie seien arbeitsscheu, wird ihnen vorgeworfen. Auch Rosa trifft dieses Schicksal.

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Was Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt, bekannt durch ihren Wirtschaftspodcast »Wohlstand für alle«, in ihrem Kinderbuch »Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut« beschreiben, ist die Entstehung des Kapitalismus aus dem Feudalismus. Es ist eine getreue Zusammenfassung dessen, was Karl Marx als ursprüngliche Akkumulation des Kapitals beschrieben hat. Was sich historisch über Jahrhunderte abgespielt hat, wird hier zeitlich gerafft in einer fiktiven Inselwelt erzählt und mit einer durchaus spannenden Abenteuergeschichte verwoben.

So muss Karl Rosa aus dem Arbeitshaus befreien, und die Kinder, deren Namen offensichtlich an Karl Marx und Rosa Luxemburg gemahnen, beschließen, etwas zu tun, damit es den Eltern und den anderen Arbeiterinnen und Arbeitern wieder besser geht. Zurück aufs Land? Vertreibung der Fabrikbesitzer aus Feudalia zurück nach Capitalia? Maschinenstürmerei? Nein, Rosa hat eine andere Idee: Die Arbeiterinnen und Arbeiter sollen einfach nichts tun, sie sollen streiken. Dieser Streik wird nach langer heftiger Auseinandersetzung tatsächlich gewonnen, der Arbeitstag auf neun Stunden verkürzt, der Lohn erhöht.

So ist das Buch auch eine Geschichte über die frühe Arbeiterbewegung und die Kraft kollektiven Handelns. Was Nymoens und Schmitts Kinderbuch besonders macht, ist ihr Fokus auf strukturelle Erklärungen: Die Fabrikbesitzer werden nicht als böse, sondern als von ökonomischen Zwängen getriebene Menschen dargestellt. Würden sie ihren Arbeitern mehr Lohn zahlen, würden sie von ihren Konkurrenten vom Markt gedrängt. »Ka-pi-tal? Was soll das denn sein?«, fragt Rosa ihren Bruder, der antwortet: »Das ist kein Mann und keine Frau, das Kapital hat kein Gesicht. Oder anders gesagt: Es hat ganz viele Gesichter. Die Gesichter sind austauschbar.«

Noch überzeugender wäre das Buch ausgefallen, wenn die grundsätzlich gelungenen Illustrationen von Nick-Martin Sternitzke den einen oder anderen Kapitalisten etwas freundlicher gezeichnet hätten. Und die Figuren im Text bleiben etwas zu blass, mitunter werden sie zur Ausstaffierung der theoretischen Analysen degradiert. Nichtsdestotrotz: Kapitalismuskritische Eltern, sozialistische Opas und Omas, schenkt euren Kindern und Enkeln dieses Buch! Eine bessere Einführung in das Marx’sche Denken und Kapitalismuskritik für Grundschüler werdet ihr nicht finden.

Ole Nymoen & Wolfgang M. Schmitt: Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut. Illustriert von Nick-Martin Sternitzke. Insel Verlag, 269 S., geb., 18 €.

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