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»Magazin der Netzkultur« gelöscht
»Telepolis« nimmt Artikel aus 25 Jahren für immer offline
Als das World Wide Web noch in den Anfängen stand, gründeten Armin Medosch und Florian Rötzer »Telepolis«. Die Webseite des »Magazins der Netzkultur« ging am 18. März 1996 online und gehörte damit zu den Pionieren der Web-Journalistik. Ziel war es, eine virtuelle Gemeinschaft zu schaffen, die sich an reale Städte anlehnt. »Telepolis« bietet seit seiner Gründung eine redaktionell betreute Plattform für Artikel, Kommentare und Diskussionen. Das hob es von den eher unmoderierten Newsgroups ab, über die sich Internetaktivist*innen in den 90ern informierten.
Bis heute gehört »Telepolis« zur Heise-Gruppe und deckt ein breites Spektrum an Themen ab, von Politik und Wirtschaft bis zu Wissenschaft, Kultur und Medien. Das Magazin galt lange als eine wichtige Stimme auch im links-alternativen Diskurs – selbst wenn es immer wieder Kritik an verschwörungsgläubigen Artikeln wie etwa zu 9/11 oder der Männerdominanz unter den Autor*innen gegeben hat. 1997 wurde das Netzmagazin sogar für einige Jahre als gedruckte Zeitschrift veröffentlicht. Gleichzeitig begannen verschiedene Medien, darunter der »Tagesspiegel«, Inhalte von »Telepolis« zu übernehmen.
Mit seinem historischen Erbe hat »Telepolis« nun endgültig Schluss gemacht. Die neue Leitung unter Chefredakteur Harald Neuber, die das »Magazin der Netzkultur« 2021 übernahm, hat am Donnerstag sämtliche Beiträge der letzten 25 Jahre offline genommen. Wer die alten Links anklickt, erhält den Hinweis: »Dieser Text wird von der Heise Medien GmbH & Co. KG nicht mehr zur Verfügung gestellt.« Schätzungsweise rund 50.000 Artikel und ein Vielfaches an Beiträgen im Forum sind von der Aktion betroffen.
Neuber und seine Redaktion begründen die Löschung in einem Posting mit journalistischen Standards, da man für die Qualität der älteren Artikel »nicht pauschal garantieren« könne. Auch bestehe die Gefahr, dass in älteren Beiträgen urheberrechtlich geschütztes Material verwendet wurde, was zu Abmahnungen führen könne. Einzelne »Archivperlen«, sofern diese »noch einen Mehrwert bieten«, sollen aber überarbeitet und wieder auf »Telepolis« online gestellt werden. Als herausragende Autoren werden etwa Stanislaw Lem, Cory Doctorow, Bruce Sterling und Evgeny Morozov genannt.
Florian Rötzer, bis 2020 »Telepolis«-Chefredakteur, kritisiert den Schritt als »stalinistische Cancel-Culture« und unterstellt in einem Post auf X, die neue Redaktion wolle sich »unkritisch und marktkonform« dem Mainstream anpassen. Rötzer betreibt seit 2021 den Blog »Overton«, auf dem auch Peter Bürger, früherer Autor bei »Telepolis«, scharfe Kritik übt. Betroffen von der Löschung seien geistige Arbeiten von Hunderten Autoren*innen, die anders als bei Printmedien nun auch nicht mehr für Forschungszwecke zur Verfügung stehen.
»Die Deindizierung ist keinesfalls ein Misstrauensvotum gegen frühere Autoren«, schrieb »Telepolis« am Donnerstag. Es habe keine realistische Möglichkeit gegeben, »die enorme Menge von Artikeln aus gut 25 Jahren hinreichend zu prüfen«. Offen bleibt, ob Neuber und sein Löschtrupp sich überhaupt bemüht haben, die offline genommenen Beiträge vorher bei Archiv-Webseiten zu spiegeln. Eine niedrige fünfstellige Zahl von »Telepolis«-Artikeln ist immerhin bei Archive.org abrufbar, allerdings müssen diese jeweils einzeln mit den alten Links dort gesucht werden.
Unter dem Beitrag bei »Overton« melden sich auch ehemalige Autoren zu Wort und kritisieren »autoritäre Tendenzen« der neuen »Telepolis«-Redaktion. Ein anderer User äußert Verständnis und fragt sich, warum die Heise-Gruppe weiterhin »ein politisches Magazin mit Themen aus dem linken Interessenspektrum« herausgeben sollte: »Im Heise-Verlag hat in den letzten Jahren sicher ein Generationenwechsel stattgefunden, und für das Telepolis, wie wir es vor 2021 kannten, ist dort einfach kein Platz mehr.«
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