Christel Bodenstein: Nicht nur das Bäumchen

Zum Tod von Christel Bodenstein

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.
Raffinierte Schnulzenverpuppung: Christel Bodenstein 1957
Raffinierte Schnulzenverpuppung: Christel Bodenstein 1957

Seltsam: Just das, was bleibt, führt einem mitunter besonders heftig die Vergänglichkeit vor Augen – Bestandskraft hat bisweilen auch etwas Erstarrenmachendes. Ihre Prinzessin im Defa-Klassiker »Das singende klingende Bäumchen« – das bleibt eine unvergesslich schöne, raffiniert absichtsvolle Schnulzenverpuppung. Dieses schmollböse, arroganttrotzige Adelsgör im wallenden Blond: Kanzelt Prinz und Bären, also den Prinzen im Bären kalt ab, gewinnt jedoch mählich, im Wundweh der Selbsterkenntnis, einen charakterglänzenden Liebreiz, und die hässlichen Strähnen werden wieder bezaubernd. Das war vor weit über 60 Jahren, 1957 um genau zu sein.

Christel Bodenstein konnte das bezaubernd, keck spielen: wie ein Mensch von Reinheit überwältigt wird, mitten in den Gegenwinden, mitten in den Eiseskörnern des Profanen. Sie agierte in den 60ern zweimal an der Seite von Manfred Krug, und es sah für Momente so aus, als habe Babelsberg etwas vom Traumpaar-Marketing begriffen: »Revue um Mitternacht«, ein Singtanzspiel, und »Beschreibung eines Sommers«. Wie Jahreszeiten-Philosophie: Frühling ist Werden, Herbst Vergehen, ist also Bewegung; dazwischen steht der Sommer, er steht wirklich, steht heiß, unter der Wucht der Sonne; und aller energiesparender Stillstand, zu dem die Hitze unbedingt rät, ist für kurze Zeit – schön.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Nach dem Erfolgsroman von Karl-Heinz Jakobs entstand jener »Sommer«-Film von Ralf Kirsten, der ebenfalls ein Magnet wurde: Der Ingenieur und die Schöne; die Schöne und das blöde Biest der Disziplin. Der Film wirkt im Nachhinein, nicht nur durch beide Hauptdarsteller, wie ein Vorgänger von »Spur der Steine«. Dieses Rebellische, diese Flucht aus den Ordnungsritualen, diese Störungslust wider allen parteigrauen Eifer der Vernunft. Literatur und Zensur? Das ging. Das ging durch. Das ging gut.

Bodensteins Kunst, das war nicht Schwer-, sondern Leichtmut. Im Gedächtnis bleibt das souveräne Bild einer selbstbewusst strahlenden Frühe. Toll das Treuliche, frivol das Tugendhafte. Eine Souveränin in den Blendzonen der Begehrlichkeit. Von Kurt Maetzig entdeckt, dann Spiel bei Slatan Dudow (»Der Hauptmann von Köln«), dann bei ihrem zeitweiligen Ehemann Konrad Wolf (»Der kleine Prinz«) und zahlreiche weitere Filme wie »Maibowle«, »Silvesterpunsch«, »Der Kinnhaken«, »Lots Weib«, »Wie füttert man einen Esel«, »Wenn du groß wirst, lieber Adam«. Sie hat, wo sie untertourt spielte, eine Sehnsucht nach Überdrehtheit sichtbar werden lassen; und Geradlinigkeit behielt stets einen Anhauch der Wahrheit: Wer lächelt, verbirgt auch Schmerz.

Ein Alterswerk ist der Schauspielerin, die später Chansons sang und Regie in der Kleinkunst führte, nicht vergönnt gewesen. Das Werk davor aber gehört zum Filmgedächtnis des Ostens. Nun ist Christel Bodenstein mit 86 Jahren gestorben.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.