»Rich Flu«: Jetzt ertrinken die Reichen im Mittelmeer

In »Rich Flu« lässt der spanische Regisseur Galder Gaztelu-Urrutia reiche Menschen zu einer Hochrisikogruppe in einer Pandemie werden

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Apokalypse wird anhand von Laura (Mary Elizabeth Winstead) erzählt, einer Karrieristin, die im Filmbusiness gerade einen steilen Aufstieg hingelegt hat, kurz bevor die Seuche ausbricht, die nun auch sie betrifft.
Die Apokalypse wird anhand von Laura (Mary Elizabeth Winstead) erzählt, einer Karrieristin, die im Filmbusiness gerade einen steilen Aufstieg hingelegt hat, kurz bevor die Seuche ausbricht, die nun auch sie betrifft.

Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf», sang Franz-Josef Degenhardt einst, allerdings ironisch, und in den letzten Jahren hat das kapitalismuskritische Kino eine kleine Renaissance in diesem Geiste erlebt. Sie bildet sich ab in Filmen wie Ruben Östlunds «Triangle of Sadness» oder Galder Gaztelu-Urrutias «Der Schacht», einem Pandemie-Hit auf Netflix. Gaztelu-Urrutia verschaltete Körperhorror und Klassenmetaphorik und verfuhr dabei sehr robust, ohne Zwischentöne eben.

Den Dreschflegel als ästhetisches Prinzip hat der Regisseur sich in «Rich Flu», seinem ersten englischsprachigen Film, erhalten. Die Allegorie ist einfach und in diesem Fall leider auch ein bisschen doof. In «Der Schacht» waren die Menschen in einer mehrstöckigen Röhre eingepfercht, das Essen wurde auf einem Lift von oben nach unten durchgereicht und sah entsprechend widerwärtiger aus, je weiter hinab es ging.

Das offensichtlich Kalkulierte, Experimenthafte dieser Versuchsanordnung tat dem Film gut, auch wenn das Drehbuch am Ende mit der Architektur nicht mehr viel anzufangen wusste und den zuvor angedeuteten revolutionären Impetus in einem diffus messianischen Ende verebben ließ.

«Rich Flu» ist nun in einem realistischen Modus erzählt, und immer wieder mit einer Wackelkamera, die für Unmittelbarkeit und Wirklichkeitsnähe sorgen soll. Das funktioniert leider vergleichsweise schlecht, einfach weil die Grundidee erzählerisch nicht trägt und im Rahmen einer politischen Metaphorik noch eindimensionaler ausfällt als in «Der Schacht».

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Die Reichen werden von der titelgebenden Krankheit befallen und sterben weg, die Reichsten zuerst, dann geht es nach unten durch, gestaffelt nach Finanz- und Kapitalvolumen: erst die Milliardäre, dann die Multimillionäre und dann immer so weiter. Die Gesellschaften geraten in Aufruhr, die Ökonomie geht über Kopf, als die Infizierten panisch versuchen, ihre Vermögen zu veräußern, die nun niemand mehr, der am Leben bleiben möchte, noch haben will.

Die Apokalypse wird anhand von Laura (Mary Elizabeth Winstead) erzählt, einer Karrieristin, die im Filmbusiness gerade einen steilen Aufstieg hingelegt hat, kurz bevor die Seuche ausbricht, die nun auch sie betrifft. Gemeinsam mit ihrem Ex-Mann (Rafe Spall) und der gemeinsamen Tochter (Dixie Egerickx) flieht sie aus der Metropole in den globalen Süden, auf einem Flüchtlingsboot.

Die Schnitte sind hektisch, die Bildfolgen aufgekratzt. Fast jede Dialogszene ist von unmotivierten Close-ups auf die Gesichter bestimmt, die wohl so etwas wie eine Abkehr von gängigen, aber eben auch erzählerisch ja recht sinnvollen Hollywood-Konventionen markieren sollen, im Ergebnis aber nur arrhythmisch und staksig wirken. «Rich Flu» wirkt wie mit der Heckenschere geschnitten. Das Ergebnis ist ein kraftloser filmischer Raum.

Im Falle der vorgestanzt anmutenden Dialoge wiederum korrespondieren Form und Inhalt dann wieder. Die Idee, reiche Menschen zu einer Hochrisikogruppe in einer Pandemie werden zu lassen, ist an sich ja keine schlechte. Allerdings verbaut «Rich Flu» mit der Charakterisierung der Kapitaleigner und ihrer Familien sich alles gleich im ersten Filmviertel. Wer reich ist, ist in diesem Film gierig und soziopathisch oder zumindest, wie die Protagonistein Laura, emotional kalt und unfähig zu Empathie und Mitleid. «Reichtum» – von Kapital ist in diesem Film keine Rede –, Akkumulation und Finanzvermögen werden wieder einmal zur Charakterfrage verklärt und bleiben so zwangsläufig unverstanden.

Eine schöne filmische Dystopie hätte es trotzdem werden können. Leider springt «Rich Flu» auch in dieser Hinsicht zu kurz. Spätestens an dem Punkt, an dem Laura mit ihrer Familie das Flüchtlingsboot besteigt und die Bilder in der Umkehrung – jetzt ertrinken die Reichen im Mittelmeer – so etwas wie eine lustvolle Rachephantasie zu konstruieren versuchen, zerfasert der Plot.

«Der Schacht» trug einen mit den filmischen Mitteln, die er in Anschlag brachte, noch über etwaige Längen und vor allem über seinen Schematismus ohne Weiteres hinweg. Die Räume hatten Tiefe, der Body Horror war effektiv und aggressiv inszeniert. «Rich Flu» dagegen weiß nicht, was er mit Kamera, Plot und Figuren anfangen soll, filmisch wie auch in seiner Idee. Singulär ist «Rich Flu» damit allerdings nicht. Die Unfähigkeit oder der Unwille, in Strukturen statt in schematischen Charaktereigenschaften zu denken, teilt dieser Film mit vielen Texten, die man unter dem Label «verkürzte Kapitalismuskritik» zusammenfassen kann.

«Rich Flu», Spanien 2024. Regie: Galder Gaztelu-Urrutia, Buch: Galder Gaztelu-Urrutia, Pedro Rivero, David Desola, Sam Steiner. Mit: Mary Elizabeth Winstead, Rafe Spall, Lorraine Bracco, Dixie Egerickx, Timothy Spall, Jonah Hauer-King. 116 Min. Kinostart: 12. Dezember.

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