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Olivia Schneider: »Der Osten ist vielfältiger«
Olivia Schneider setzt sich auf Ihrem Instagram-Kanal humorvoll mit Ostidentität auseinander
Auf Ihrem Instagram-Kanal zeigen Sie beispielsweise, wie man aus Bautzener Senf Eiscreme oder Torte machen kann. Wie ist der Kanal »tumvlt« entstanden?
Ich habe Kunst studiert und mich in meinem Studium viel mit Social Media auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang ist der Account ursprünglich entstanden. Nach meinem Diplom habe ich begonnen, soziale Arbeit zu studieren, und war ein wenig »lost«, was ich mit der Kunstfigur auf dem Account anfangen soll. Im vergangenen Jahr hat dann die Auseinandersetzung bei mir und in meinem Umfeld mit Ostdeutschland zugenommen. Ich habe mich gefragt, was davon prägt, was an den Osten erinnert oder was typisch ostdeutsche Dinge sind, die Menschen aus Westdeutschland gar nicht wahrnehmen. Daraus ist ein erstes Video entstanden, das viral gegangen ist. Darin kann man viele kurze Aufnahmen von meinem Sommer in Sachsen sehen – von der Riesen-Zucchini aus dem Garten meiner Oma, einem mit Dynamo-Dresden-Fanartikeln beladenen Auto, bis zu Plastikstühlen und Vita Cola am See – alles unter dem Titel »Living la ostdeutsche Vita«. Das war überhaupt nicht geplant, aber diese Nische hat zufällig funktioniert. Ich habe seitdem ziemlich viel mit Ostprodukten wie Bautzener Senf gespielt, da diese extrem mit Identität aufgeladen sind.
Wie entstehen diese Kurzvideos?
Meinen Instagram-Kanal betreibe ich als Hobby. Ich mache Kochvideos ohne viel Aufwand oder sammele Eindrücke von dem, was ich erlebe, wenn ich im Alltag unterwegs bin. Mir macht es Spaß, beispielsweise mal spontan nach Bischofswerda zu fahren, dann dort herumzulaufen, und Sachen zu filmen, die ich lustig finde oder die mir »ostig« vorkommen. Das können alte Bäcker, Imbisse oder nette Eiscafés sein, aber auch leere Ladengeschäfte als Symbol für den Wandel vieler ostdeutscher Kleinstädte nach der Wende.
Olivia Schneider, Jahrgang 1996, zeigt auf Instagram unter dem Name »tumvlt« meist ironisch-witzige Videos, die sich mit »La ostdeutsche Vita« und weiteren Aspekten rund um Ostdeutschland auseinandersetzen. Die »Ostfluencerin« hat mehr als 33 000 Follower und lebt in Dresden. Ihr Kanal findet sich unter www.instagram.com/tumvlt.
»Ostidentität« ist sehr umkämpft, von rechts wird stark versucht, diese zu besetzen. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe keinen Bock darauf, dass Ostidentität von rechts reclaimed wird. Für mich und mein Umfeld ist der Osten auch ein Bezugspunkt, aber eben ohne Heimatstolz oder eine Abgrenzung vom Westen. In der Praxis ist das ein schmaler Grat. Ich versuche selbst, nicht zu sehr in diese identitäre Ecke reinzurutschen, Ostalgie zu bedienen oder plakativ zu sein. Mir jetzt einen Trabi zu kaufen, damit stolz durch die Gegend zu fahren und Videos davon zu machen – das wäre mir zu platt. Der Osten ist vielfältiger.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich denke etwa an Betonzäune aus der DDR. Früher als Kind habe ich nie gecheckt, dass das etwas »Ostiges« oder Cooles ist. Erst später entdeckte ich den Bezug zur Baukunst und auch den »DIY«-Charakter dieser Architektur. Mir macht es Spaß, solche kleinen Sachen zu finden wie diese komischen Betonzäune, die in jedem ostdeutschen Dorf fünfzigmal zu sehen sind. Auf so etwas versuche ich mit einem liebevollen Blick zu schauen, es wertzuschätzen.
Einige der Orte, die Sie porträtieren, haben auch immer etwas Tristes, Verlassenes, Altmodisches. Was macht für Sie den Charme dort aus?
Der Urzeitpark in Sebnitz sieht zum Beispiel immer noch genauso aus, wie damals, als ich als Kind dort war. Ich will jetzt auch keine Modernisierungsgegnerin sein, aber es ist schon ein bemerkenswerter Gegensatz zu diesem modernen Minimalismus, den man heute anderswo oft findet. Solche Orte haben für mich dadurch Charme, aber es gibt eine Ambivalenz. Oft strahlen sie nur ein wohliges Gefühl für eine bestimmte Zielgruppe aus. Gerade im ländlichen Osten gibt es auch immer Menschen, die sich dort möglicherweise nicht wohlfühlen, weil es keinen Schutz vor Diskriminierung gibt. Manchmal schwingt bei dem Mindset »Bei uns bleibt alles so, wie’s ist!« auch mit, dass man keine Veränderung zum Besseren will. Dennoch finde ich es schade, wenn solche Orte verdrängt werden oder verschwinden, was ja auch gerade viel mit der DDR-Architektur passiert.
Sie haben auch progressive Projekte im Osten besucht. Warum war Ihnen das wichtig?
Ich bin in einem Dorf in Sachsen aufgewachsen und in Pirna zur Schule gegangen. In meiner Jugend hätte ich das mega gefeiert, wenn es da alternative Angebote gegeben hätte. Solche Projekte arbeiten letztlich auch an einer Bleibeperspektive, damit nicht alle coolen Leute wegziehen und es auch in kleinen Orten eine Bubble gibt, in der man sich sicher fühlt. Mir ist es wichtig, solche stabilen linken oder subkulturellen Projekte und Orte zu zeigen. Es gibt ihn ja, den »anderen« Osten – dieser ist aktuell aber bedroht und braucht Sichtbarkeit und Unterstützung. Dafür will ich meine Reichweite einsetzen. Manchmal kommt mir meine Arbeit da im Vergleich auch ein bisschen sinnlos vor, wenn ich irgendwelche Kochvideos mache, während andere Aktivist*innen ihren Kopf hinhalten. Aber aus Konsument*innensicht ist da ein Mix von Inhalten vielleicht auch hilfreich. Manchmal hat man möglicherweise Bock, sich etwas anzuschauen, das nicht immer total krass politisch aufgeladen ist, sondern sich eher um Lifestyle-Fragen dreht.
Öfters erwähnen Sie in den Videos Ihre Großmutter. Wie blickt Ihre Familie auf Ihr Projekt?
Am Anfang konnten das meine Eltern nicht so nachvollziehen, was vermutlich auch eine Generationsfrage ist. Meine Eltern sehnten sich zur Wendezeit nach neuen Möglichkeiten und Erfahrungen. Meine Ost-Bezugnahme war für sie eher befremdlich. Mittlerweile hat sich das aber sehr verändert. Wir tauschen uns viel mehr miteinander aus, meine Mutter schickt mir jetzt ständig Links zu Dokus und Ausstellungen mit DDR-Bezug. Meine Großmutter findet mein Projekt auch sehr cool, sie bekommt das manchmal von Freundinnen gezeigt, was ich so mache und freut sich dann darüber. Sie empfindet meine Arbeit auch als eine Wertschätzung ihrer eigenen Geschichte.
Inwiefern ist das Projekt geknüpft an den Umstand, dass es die DDR nicht mehr gibt?
Geschichtspolitisch hat das natürlich einen anderen Kontext, als wenn Leute aus Westdeutschland ihr Kindheitsessen vorstellen. Durch das Nicht-mehr-Existieren der DDR schwingt, denke ich, auch immer eine größere Neugierde bei Menschen aus Ostdeutschland mit. Vieles aus der Zeit verschwindet, auch meine Eltern haben beispielsweise ihre ganzen DDR-Möbel weggeschmissen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich bestimmte Sachen und Orte konservieren möchte.
Sie haben jüngst Ihre Bachelorarbeit zum Thema »Arbeitslosigkeit nach der Wende – Psychosoziale Auswirkungen und Bewältigungsstrategien bei Erwerbslosigkeit und Systemumbruch« geschrieben. Inwiefern kann man solche Erfahrungen auf Instagram verarbeiten?
Ich habe in den Gesprächen gemerkt, dass es noch immer für die Betroffenen sehr aufwühlend ist, über diese Transformationszeit zu reden, dass ihre Erfahrungen sehr schambesetzt sind und es immer noch großen Gesprächsbedarf gibt. Das hatte ich davor total unterschätzt. Ein paar Erkenntnisse zu meiner Arbeit hatte ich auf Instagram veröffentlicht. Ich habe daraufhin viele Nachrichten bekommen, in denen Menschen auch aus ganz unterschiedlichen Generationen ihre Familiengeschichten geteilt haben. Ich kann mir vorstellen, dass das in Zukunft auch in meiner künstlerischen Arbeit noch eine Rolle spielen wird.
Wie geht es bei Ihnen weiter?
In Görlitz gibt es einen Studiengang, der sich mit sozialem Wandel auseinandersetzt, das finde ich als Master spannend. Ansonsten lasse ich mich treiben.
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