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Von klein auf Essen retten
Der Verein »Restlos glücklich« sensibilisiert in der Kita für nachhaltige Ernährung
18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland Jahr für Jahr im Müll. Ein Drittel davon wäre noch einwandfrei genießbar: Krumme Karotten, die gar nicht erst geerntet, leicht beschädigte Äpfel, die im Supermarkt aussortiert, Speisen, die in Restaurants zu viel produziert werden, oder Produkte mit gerade abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum, die Privathaushalte einfach wegwerfen. »Das ist so viel, dass man damit eine Lastwagenkarawane von Berlin bis nach Kapstadt befüllen könnte«, sagt Wenke Heuts dem »nd«.
Heuts ist Presse- und Öffentlichkeitsreferentin des Berliner Vereins »Restlos Glücklich«, der sich gegen die Verschwendung und für mehr Wertschätzung von Nahrungsmitteln einsetzt. 2014 eröffneten zwei Berlinerinnen ein Restaurant in Neukölln mit diesem Namen, in dem sie mit überschüssigen Lebensmitteln kochten, das es heute jedoch nicht mehr gibt. Inzwischen fokussiert »Restlos Glücklich« sich auf Bildungsarbeit und bietet unter anderem Kochworkshops, Schulprojekte und Team-Events an, bei denen vor der Tonne gerettetes Essen verarbeitet wird.
Dabei können sogar schon die Kleinsten mitmachen: Seit Herbst 2020 bringt der Verein mit dem Projekt »Bis auf den letzten Krümel« Vorschulkindern in der Kita einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln nahe. Fünf- bis Sechsjährige entscheiden zwar selten darüber, was eingekauft und gekocht wird, doch »unsere Essgewohnheiten, und damit auch unser Umgang mit Nahrungsmitteln, prägen sich bereits im Kindergartenalter. Vorschul- und Schulkinder sind die Konsument*innen von morgen«, so Heuts. Deshalb sollen sie so früh wie möglich für eine nachhaltige Ernährung sensibilisiert werden.
Das Projekt basiert auf einem zehnwöchigem Programm, für das die Kitas mit einem Handbuch und einer Materialkiste voller Aktionspläne und Spiele ausgestattet werden. Über die konkrete Umsetzung sollen die Erzieher*innen selbst bestimmen, da diese auch von den äußeren Umständen abhängt: ob es beispielsweise eine Küche gibt, in der sie mit den Kindern kochen, oder einen Garten, in dem sie Gemüse anpflanzen können. Ergänzend gibt es ganztägige Fortbildungen für Pädagog*innen und Küchenfachkräfte. Ein Zehntel aller Berliner Kitas hat laut Heuts bereits an dem Projekt teilgenommen.
Inhaltlich geht es einerseits um das Thema Lebensmittelverschwendung, das wiederum mit der Verschwendung von Geld, Ackerflächen und Wasser sowie der unnötigen Emission von Treibhausgasen im Zusammenhang steht. Andererseits soll es um klimaverträgliche, gesunde Ernährung gehen. In Deutschland sei die Ernährung – dazu gehören Produktion, Transport, Verarbeitung und im schlimmsten Fall die Entsorgung des Essens – für 17 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich.
»Die gute Nachricht: Selbst kleine Veränderungen unserer Essgewohnheiten haben eine große Wirkung auf das Klima«, erklärt Heuts. Das funktioniere, indem man möglichst regionale und saisonale Produkte kauft, die nicht so weit transportiert oder im Gewächshaus angebaut werden. Auch schaden pflanzliche Produkte dem Klima deutlich weniger als Tierhaltung und Fleischproduktion. Nachhaltige Abfallentsorgung gehört ebenfalls zum Lehrplan des Kita-Projektes.
Mithilfe von Spielen, Bastelmaterial, Workshops und Exkursionen soll Kindern das Wissen so spielerisch wie möglich vermittelt werden. Im Fokus steht laut Heuts »das eigenständige Erforschen und Erleben«, zum Beispiel beim Retten von Lebensmitteln, der Zubereitung gesunder Snacks oder dem Bau von Kompostgläsern. Unter anderem gibt es ein Memory, das sich um krummes Gemüse dreht und ein Spiel, das die Wertschöpfungskette von Nahrungsmitteln unter die Lupe nimmt.
Heuts selbst hat für »Bis auf den letzten Krümel« ein Buch geschrieben: »Benja & Wuse. Essensretter auf großer Mission« soll Kindern ab fünf Jahren vermitteln, wie wertvoll Lebensmittel sind, und stand 2021 auf der Shortlist für den Deutschen Kinderbuchpreis. Es ist auch als Hörbuch sowie auf Englisch, Türkisch und Arabisch verfügbar.
Gegen Lebensmittelverschwendung engagieren sich auch Organisationen wie »Foodsharing« oder »Too Good To Go«, die Essen retten, bevor Supermärkte, Bäckereien oder Restaurants es wegwerfen. Letztendlich bekämpfen sie damit jedoch »nur« Symptome der Wegwerfgesellschaft. Im Gegensatz dazu setzt der Verein »Restlos Glücklich« mit seinen Bildungsprojekten auf langfristige Veränderungen. »Wir wollen gesunde, klimafreundliche Ernährung aus der Öko-Nische herausholen und zu einem neuen Standard unserer Esskultur etablieren«, sagt Heuts.
Einerseits wolle man nicht beim individuellen Konsum stehenbleiben, sondern genauso die politischen Entscheidungsträger*innen erreichen. Deshalb ist »Restlos Glücklich« Teil des Bündnisses Lebensmittelrettung, das von der Politik ein Gesetz fordert, das die Rettung und Weitergabe überschüssiger oder aussortierter Lebensmittel vereinfacht. Außerdem solle das Mindesthaltbarkeitsdatum für Produkte mit sehr langer Haltbarkeit abgeschafft und Ernährungsbildung ein fester Bestandteil des Schulunterrichts werden.
Andererseits glaubt Heuts, dass Ernährungsbildung auch die Selbstwirksamkeit der Menschen stärkt. Durch den eigenen nachhaltigen Konsum übernehme man Verantwortung für Klima, Umwelt und Produzent*innen. Zu Weihnachten empfiehlt sie Kitas und Familien, Lebensmittel zu Geschenken in Form von Pesto oder Chutney zu verarbeiten, bisher verschmähte Süßigkeiten wie Schoko-Osterhasen beim Plätzchen backen und Brot vom Vortag beispielsweise als Croûtons auf der Weihnachtssuppe zu verwerten.
Wer über die Feiertage wegfährt, könnte nicht aufgebrauchtes Essen vorher noch an Nachbar*innen verschenken. Zum Dinner im Restaurant sei es sinnvoll, eine Box für die Reste mitzunehmen – vor allem, wenn Kinder mit am Tisch sitzen, bei denen die Augen oft größer sind als der Magen.
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