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»Rechte Propaganda will Gefühle vom Verstand abspalten«
Der Sozialwissenschaftler Alex Demirović im Interview über die Massenmanipulation der Nazis und linke Gegenpropaganda
Sie veranstalten Mitte Januar an der Uni Lüneburg einen Workshop »Ideologie – Propaganda – Faschismus«, der nicht als klassische Wissenschaftskonferenz gedacht ist.
An der Humboldt-Universität in Berlin haben wir im Sommer über die Aktualität des Ideologiebegriffs diskutiert. Dabei haben wir auch über die sich abzeichnende Ideologie des autoritären Anti-Antisemitismus gesprochen, die über den Begriff der »Staatsräson« einen Brückenschlag zwischen unterschiedlichen politischen Lagern ermöglicht – von rechts über die Ampel-Koalition bis zu Teilen der Linken. Mit unserem Workshop wollten wir das fortsetzen, sind dabei aber auch noch auf neue Fragen gestoßen: Wie werden Ideologien eigentlich verbreitet? Wie sehen mediale Praktiken aus? Was hat es mit dem »neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit« auf sich? Den Querdenkern, Rechten und Neonazi-Gruppen wird ja immer bescheinigt, dass sie sich geschickt der neuen sozialen Medien bedienen. Simon Strick hat dafür den Begriff des »digitalen Faschismus« verwendet.
Gleichzeitig wollen Sie aber auch die faschistische Propaganda der 30er und 40er Jahre analysieren – unter anderem mit Texten von Willi Münzenberg, Leo Löwenthal, Theodor Adorno und Siegfried Kracauer.
Diese Texte bewegten sich auf einem erstaunlich hohen Niveau und waren zugleich sehr praxisbezogen. Ich denke, dass sie uns helfen können, die Praxis antidemokratischer Propaganda auch heute besser zu begreifen.
Alex Demirović ist Sozialwissenschaftler und Vertreter der Kritischen Theorie. Als Senior Fellow lehrt er zurzeit am Leuphana Institute for Advanced Studies an der Universität Lüneburg.
Außerdem gestaltet er für die Rosa-Luxemburg-Stiftung den Theorie-Podcast »Too long, didn’t read« und schreibt einmal im Monat eine Meinungskolumne für das »nd«.
Bei allen Unterschieden zwischen den genannten Autoren gab es in der damaligen Debatte eine Gemeinsamkeit: Alle betonten die Irrationalität der faschistischen Propaganda. Man hat fast den Eindruck, der Erfolg der Nazis beruhte auf ihrer Irrationalität.
Richtig, alle unterstreichen, dass die Nazis mit ihrer Propaganda darum bemüht waren, Gefühle vom Verstand abzuspalten. Gegen das blasse Denken sollte Zugang zum Herzen gefunden werden. Die Menschen sollten eine Masse bilden, die nicht in ihrem Wissen angesprochen wurde. Propaganda war hier kein Mittel mehr, um Menschen für ein Ziel zu gewinnen oder zum selbstständigen Nachdenken zu bewegen. Rechte Propaganda heute zielt ebenfalls stark auf Emotionen ab: Angst, Bedrohung, Untergangsszenarien. Aber auch das Moment der Gewalt, des Terrors gehört dazu, denn durch Gewalt wird Macht demonstriert. Und: Die Menschen sollen in ihren Überzeugungen verunsichert werden, nicht mehr sicher sein, was wahr und falsch ist. Deswegen die systematischen Lügen.
Aus dem Konferenz-Reader ist bei mir vor allem der überraschend anschauliche Adorno-Aufsatz »Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda« hängen geblieben. Darin heißt es, der Faschismus befriedige den »doppelten Wunsch der Geführten, sich der Autorität zu unterwerfen und zugleich Autorität zu sein«. Die faschistische Propaganda funktioniert so gut, weil sie das Verlangen des autoritären Charakters bedient.
Der faschistischen Propaganda geht es darum, den Einzelnen zum Teil eines Kollektivs zu machen, das sich nicht zuletzt über die Bekämpfung seiner Gegner definiert. Im Hitler-Faschismus waren das – oft in Personalunion – Juden und Marxisten. Heute könnte man im Sinne der Kritischen Theorie anmerken, dass die Nazis weitgehend erfolgreich waren: Die Juden wurden ermordet oder aus Europa vertrieben. Auch der Marxismus ist nach einer kurzen Renaissance marginalisiert. Nun sucht sich der Faschismus andere Hassobjekte: Muslime, Queere, Kulturmarxismus, »Tiefer Staat«, etablierte Parteien, Staatsfunk. Um so absurder ist es, dass die offiziellen Medien, die demokratischen Parteien nicht gegen die Rechte kämpfen und glauben, das würde sich von allein erledigen.
Gleichzeitig scheint die Orientierung an Führerpersönlichkeiten in den rechten Bewegungen heute weniger wichtig zu sein.
Ja, dem historischen Faschismus ging es darum, die Massen auf den Führer einzuschwören. Um Hitler wurde ein mythologischer Kult geschaffen: »Alles, was ihr seid, seid ihr durch mich.« Bei manchen Rechten heute lässt sich das auch beobachten, beispielsweise beim Auftreten von Donald Trump. Interessanterweise ist es bei der AfD bislang eher wenig ausgeprägt.
Der Soziologe Leo Löwenthal hat in seiner Studie »Falsche Propheten« von 1949, in der er die rhetorischen und psychologischen Aspekte rechter Mobilisierung untersucht, zwischen Propaganda und Agitation unterschieden. Halten Sie das für sinnvoll?
Löwenthal zufolge gibt sich der faschistische Agitator als jemand aus der Mitte seiner Zuhörer: Der Agitator sagt, was angeblich alle denken. Propaganda hingegen besteht aus Slogans. Münzenbergs Analyse »Propaganda als Waffe« von 1937 unterscheidet etwas anders: Bei Hitler gebe es keine Agitation, wenn darunter bestimmte theoretische Prinzipien verstanden werden, sondern nur Propaganda, die Großreklame sei. Die Zeitungen, der Volksempfänger, die Versammlungen, die Massenaufmärsche, die Fahnen, die Symbole, der Führerkult – alles diene der Propaganda. Aber vielleicht versteht man das faschistische Projekt sowieso am besten mit Kracauer, der ja auch bereits auf Münzenbergs Buch zurückgreifen konnte. Kracauer beschreibt die Entwicklung in etwa folgendermaßen: Männer, die aus dem Krieg kommen, nehmen den bewaffneten Kampf gegen die Republik auf und bilden paramilitärische Verbände. Es geht ihnen darum, totale Macht zu erlangen. Sie wollen die Menschen zu einer homogenen Masse formen, die vom Führer gelenkt wird. Wer widerspricht, wird niedergeschlagen; die Medien werden gleichgeschaltet. Propaganda wird zum Selbstzweck, es geht um nihilistische Macht und die Herstellung einer politischen Einheit, die das gewährleistet – das autoritäre Reich. Wichtig dabei ist, dass das Machtstreben grenzenlos ist und keine realen Probleme löst. Tatsächlich war der deutsche Faschismus ja vor allem ein Kolonialprojekt mit wahnhaften Versprechen: Man wollte Land erobern, die dort lebende Bevölkerung vertreiben, Juden-Marxisten als Feinde ermorden.
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Schon in den 30er und 40er Jahren wurde festgestellt, dass die rechten Führer zwar an Schmierenschauspieler erinnern oder offen psychopathische Züge tragen, es allerdings genau dieser Umstand ist, der sie »nahbar« macht. Wenn man das liest, denkt man natürlich an Trump, von dem viele Wähler ja auch wissen, dass er ein lügender Idiot ist. Einer, in dem man sich wiedererkennt.
Das ist mir bei der Lektüre des Adorno-Textes auch aufgefallen: »Große kleine Männer« heißt es dort. Dass er durchsichtig lügt, macht den Führer schwach, aber auch attraktiv; es wirkt gespielt. Bei Donald Trump ist es aber doch etwas anders als im klassischen Faschismus. Trump wiederholt einfache Aussagen, stammelt Unverständliches. Auch er spricht gewaltsam und brutal, aber bei ihm kommt es sehr viel weniger martialisch daher als beim alten Faschismus. Es wirkt weniger ritualisiert, zeremoniell, eher beiläufig.
Willi Münzenberg, der viele Zeitungen und Verlage mit aufbaute, hat sich positiv auf den Begriff der »linken Propaganda« bezogen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob so etwas überhaupt möglich ist. Der Definition nach geht es der Propaganda darum, die Meinungen der Menschen zu formen, und das hat zwangsläufig etwas Antiaufklärerisches.
Horkheimer und Adorno behaupten, es könne keine »Propaganda der Wahrheit« geben. Münzenberg, Kracauer und Löwenthal hingegen sind der Ansicht, dass Propaganda durchaus eine Form sein kann, mit der sich Menschen erreichen und neugierig machen lassen. Sie ist noch nicht die aufgeklärte Wissensarbeit von mündigen Individuen selbst, sondern ein Medium, um das Interesse daran zu wecken.
Was wäre in Ihrem Sinne eine gute linke Medienarbeit – also »Propaganda« im positiven Sinne?
Von dem Historiker Arthur Rosenberg (1889–1943) gibt es die Aussage, die Linke hätte den Faschismus besiegt, wenn sie es nur mit ihm zu tun gehabt hätte. Besiegt worden sei sie aber aufgrund der Unterstützung der rechten Stoßtrupps durch Polizei und Justiz, also durch die Mischung von Legalität und Illegalität der Gewalt. Für mich folgert daraus, dass es viel mehr Berichterstattung über antifaschistische Praxis geben müsste. Münzenbergs Schlussfolgerung hieß »Angreifen, angreifen, angreifen«, also an jedem erdenklichen Punkt linke Gegenpropaganda zu entwickeln. Das bedeutet heute zum Beispiel, in den sozialen Medien Gegenpositionen und Antifa-Arbeit zu entwickeln und die Algorithmen dementsprechend zu trainieren. Ich denke zudem auch, dass wir den konventionellen Journalismus deutlicher kritisieren sollten. Beispielsweise verstehe ich nicht, warum der Wahlaufruf von Elon Musk nicht systematisch gegen die AfD gewendet wird. Kritisiert wird ja vor allem, Musk mische sich von außerhalb in die deutsche Politik ein. Aber die Meinungsäußerung von außen ist das geringere Problem. Viel entscheidender ist doch, dass die AfD von einem superreichen US-Tech-Milliardär unterstützt wird, der über ein globales Satellitensystem und eine Kommunikationsplattform verfügt, der den US-Staat umbauen, die EU, die Gewerkschaften, den Wohlfahrtsstaat und die Demokratie zerstören will. Die extreme Rechte ist das Projekt globaler kapitalistischer Eliten – das sollte im Zentrum linker Gegenpropaganda stehen.
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