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Nordrhein-Westfalen: AfD mit parteinternem Hass-Wahlkampf
AfD Nordrhein-Westfalen stellt Landesliste für die Bundestagswahl auf
Es gibt viele Arten, wie die Listenaufstellungen von Parteien verlaufen können. Bei den alten Volksparteien CDU und SPD wird in der Regel viel bedacht: Flügel, Regionen, die Reputation der Kandidat*innen. Bei der nordrhein-westfälischen CDU war die Aufstellung der Landesliste vor wenigen Wochen an einem Vormittag erledigt. Der Landesvorstand hatte eine 62-köpfige Liste vorgeschlagen. Bei der AfD ist das anders. Ihr nordrhein-westfälischer Landesverband nahm sich viel Zeit. Von Donnerstag bis Montag lief die Aufstellungsversammlung in Marl. Was dabei und im Vorfeld passierte, waren mehr als nur ein paar Kampfkandidaturen. Die Partei bewies: Für einen Hass-Wahlkampf braucht sie keine politischen Gegner*innen.
Die AfD NRW ist schon seit Längerem tief zerstritten. Grob gibt es zwei Lager. Das erste schart der Landesvorsitzende Martin Vincentz um sich. Der Arzt und Landtagsabgeordnete aus Krefeld möchte der Partei einen seriösen Anstrich verleihen und gibt sich mehr oder weniger gemäßigt. Auf der anderen Seite stehen die Unterstützer*innen von Matthias Helferich. Wegen zu vieler positiver Anspielungen auf den Nationalsozialismus hat die AfD-Fraktion ihn 2021 nicht aufgenommen. In NRW läuft ein Ausschlussverfahren gegen ihn.
Doch Helferich genießt auch Unterstützung. Die Parteijugend und die völkisch-nationalistische Strömung unterstützen ihn. Der Streit in der AfD ging dabei so weit, dass etwa die Dortmunder Aufstellungsversammlung, bei der Helferich zum Direktkandidaten für Dortmund und zum Delegierten für die Listenaufstellung in Marl gewählt wurde, wiederholt werden musste. Die Landesführung erklärte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ersten Aufstellungsversammlung. Solche Vorgänge gab es in mehreren Kreisverbänden.
Angeheizt wurde der parteiinterne Streit vor der Listenaufstellung in Marl besonders von zwei Telegram-Kanälen der unterschiedlichen Lager. Gegenseitig verbreitete man Interna und Gerüchte über Parteifreunde. Über den in Marl zum Spitzenkandidaten gewählten Bundestagsabgeordneten Kay Gottschalk heißt es in dem Telegram-Kanal aus dem Helferich-Lager zum Beispiel, dass »jüngste Aussetzer« seine Befähigung als Spitzenkandidat infrage stellten. Gottschalk nehme Beruhigungsmittel, habe seine Mandatsträgerbeiträge nicht gezahlt und beschäftige ein Mitglied der neonazistischen »Artgemeinschaft«.
Zusätzlich zu den virtuellen Schlägen im Vorfeld der Aufstellungsversammlung stellte sich der weithin unbekannte Axel Fischer aus dem Team Helferich in Marl als Gegenkandidat zu Gottschalk zur Wahl. Seine Rede nutzte Fischer vor allem für Vorwürfe an den Landesvorstand, weil dieser einen Landtagsabgeordneten stützt, gegen den massive Betrugsvorwürfe im Raum stehen und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Das Schleudern mit Dreck blieb nicht ohne Erfolg: Mit weniger als 60 Prozent wurde Kay Gottschalk zum Spitzenkandidaten gewählt.
Auch Matthias Helferichs Wahl konnte die AfD-Landesspitze in NRW nicht verhindern. Das »freundliche Gesicht des NS« wurde auf den sechsten Platz der Landesliste gewählt und kann so ziemlich sicher mit einer weiteren Wahlperiode im Bundestag rechnen. Dabei hatte das Lager um Martin Vincentz im Vorfeld auf Telegram ordentlich gegen Helferich ausgeteilt. Er sei: »Kein Patriot, nur ein gewöhnlicher Narzisst und ein Kameradenschwein«. Helferich wird außerdem vorgeworfen, allerlei Interna an Medien weitergegeben zu haben. Erfreut über Helferichs Wahl zeigten sich neurechte Akteure wie Benedikt Kaiser und der Jungeuropa-Verlag.
Auf der Landesliste der AfD konnte sich nun weder das Lager um Martin Vincentz noch das um Matthias Helferich durchsetzen. Die größte Überraschung der Aufstellungsversammlung: Der Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp, der kürzlich wegen eines Treffens, an dem auch Neonazis teilnahmen, in die Schlagzeilen geriet, will nicht mehr ins Parlament. Er zieht vermutlich eine Karriere als Influencer vor. Die andere Überraschung in Marl: Am Donnerstag durfte Maximilian Krah in Marl auftreten. Der Krah, den die AfD im Europawahlkampf nicht mehr auf Bühnen lassen wollte, wegen eines Spionageskandals und SS-verharmlosender Äußerungen, sollte jetzt die Stimmung für den Landesvorstand retten. Mit so einem haben auch die angeblich Gemäßigten kein Problem, wenn ein Auftritt ihnen nützt.
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