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Credit Suisse: Am Nationalsozialismus mitverdient
Unternehmenshistoriker Manfred Grieger über Nazi-Konten bei der Credit Suisse und träge Aufarbeitung
Zwischenergebnisse einer Untersuchung im Auftrag des US-Senats zeigen, dass die einstige Schweizer Großbank Credit Suisse zahlreiche Konten von Kunden mit Bezug zum NS-Regime und dessen Verbrechen unterhielt. Überrascht Sie das?
Nein, im Grundsatz ist das seit den Studien der Bergier-Kommission untersucht worden, deren Abschlussbericht 2002 veröffentlicht wurde. Es gibt zudem einschlägige Veröffentlichungen wie den von Joseph Jung herausgegebenen Aufsatzband »Zwischen Bundeshaus und Paradeplatz« zu den Banken der Credit Suisse Group im Zweiten Weltkrieg aus dem Jahr 2001.
Wie bedeutsam sind aus Sicht der NS-Unternehmensgeschichte die Untersuchungen zur Credit Suisse?
Das lange Schweigen über den Umgang mit »nachrichtenlosen Konten« oder die Verwertung anderer Assets jüdischer Eigentümer bildete den Ausgangspunkt unternehmenshistorischer Forschung. Darüber hinaus interessierten die Beziehungen zwischen Unternehmen, NS-Regime und individuellen Nutznießern der Nazi-Diktatur. Inzwischen hat sich die Fragerichtung auf die Interaktionen zwischen den Subsystemen Wirtschaft und Staats- oder Parteimacht und ihren Repräsentanten verschoben. Zumal diese Frage auch für die Nachkriegszeit bei der Kooperation von Unternehmen wie Banken mit anderen Diktaturen, etwa in Libyen, Argentinien oder Russland, von großer Relevanz ist.
Manfred Grieger ist Honorarprofessor an der Universität Göttingen und forscht zur NS-Unternehmensgeschichte. Bis 2016 war er Chefhistoriker der Volkswagen AG. Zuletzt erschien seine zusammen mit Rainer Karlsch erarbeitete Studie »Treibstoff für den Weltkrieg: Die Deutsche Erdöl AG, 1933–1945«.
Die Schweiz war im Zweiten Weltkrieg politisch neutral. Welche Rolle spielte die Eidgenossenschaft für das NS-Regime und ihm nahestehende Akteure?
Dass die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs an den Austauschbeziehungen zwischen der »Achse« und anderen Staaten gut verdient hat und zudem die Alpenrepublik ein begehrter Handelsplatz von Geheimdienstinformationen war, ist im Kern bekannt. Gerade der Kauf strategischer Rohstoffe wie Molybdän oder Wolfram, aber auch Goldhandel sowie andere Währungsgeschäfte brauchten ungefährdete Märkte, die die neutrale Schweiz bereitstellte. Wie stark die politisch-ideologische Nähe von Schweizer Stellen und Unternehmen zum NS-Regime ausfiel oder ob sich die Kooperation auf Geschäfte zum gegenseitigen Vorteil beschränkte, ist im Einzelfall abzuwägen. Mit welchen Motiven die Credit Suisse behilflich war, entzogene Vermögenswerte für auf der Flucht vor Strafverfolgung befindlichen Nationalsozialisten nach Syrien oder Südamerika zu transferieren, steht auf einem anderen Blatt.
Im Bericht des unabhängigen Ombudsmanns Neil Barofsky geht es um Zwischenhändler, die mithilfe der Credit Suisse etwa die »Arisierung« ermöglichten oder Profite aus Zwangsarbeit verschleierten. Wie muss man sich das vorstellen?
Ob es sich um eine bewusste Verschleierung gehandelt hat, muss dahingestellt bleiben, da die Schweizer Bankgeschäfte traditionellerweise doch besonders diskret durchgeführt wurden. Wenn die vom Ombudsmann genannte Aktenmenge von 300 Regalkilometern zutrifft, dann kann arbeitspraktisch schlichtweg nicht jede Akte, nicht jedes Blatt, nicht jede Kontobewegung eruiert, geprüft und eingeordnet werden. Zudem hat sich das Forschungsinteresse von der ursprünglichen Frage nach der Bereicherung hin zu den Kooperationsfeldern der Banken mit dem NS-Regime verschoben. Darüber hinaus wurde der Beobachtungszeitraum von den Jahren 1933 bis 1945 bis weit in die Nachkriegszeit erweitert. Daraus folgt, dass selbst bereits in vorherigen Untersuchungen eingesehene Unterlagen mit der neuen Fragestellung erneut ausgewertet werden müssen.
Die Forschung soll durch das Unternehmen erschwert worden sein, etwa indem Barofsky kurzzeitig entlassen und erst nach Übernahme der Bank durch UBS wieder beauftragt wurde. Ist es ungewöhnlich, dass Unternehmen sich auf diese Art querstellen?
Die Hintergründe einer »Entlassung« und der Wiederbeauftragung des Ombudsmanns durch die UBS müssen doch nicht zwingend auf dem Gebiet der Erschwerung historischer Forschung liegen. Die Haltung, die in den 80er Jahren noch jegliche unabhängig-kritische Forschung abgewehrt hatte, unterlag seit den 90er Jahren einem deutlichen Wandel. Viele Unternehmen haben gelernt, dass heute in der Öffentlichkeit weniger der Sachverhalt einer Beteiligung an »Arisierungen« oder an der Ausbeutung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern für Aufsehen sorgt als vielmehr eine Verweigerungshaltung – sich also mit der eigenen Geschichte nicht auseinandersetzen zu wollen oder beschönigend von sich selbst zu sprechen.
Warum sträuben sich Unternehmen wie Credit Suisse gegen die Aufarbeitung?
Die Credit Suisse ist bekanntlich Geschichte, da sie inzwischen von der UBS übernommen wurde. Insoweit gehört wohl auch die vom Ombudsmann behauptete Vorenthaltung von Akten und Mikrofilmen zum Managementversagen des untergegangenen Bankhauses. Die UBS, und das hebt der Bericht hervor, unternimmt dagegen große Anstrengungen, um die Untersuchungen zu unterstützen.
Seit den 1980er Jahren wird systematisch zur NS-Vergangenheit von Unternehmen geforscht. Wie viel gibt es da noch herauszufinden?
Wie gesagt verändern sich die Fragestellungen, sodass auch eine erneute Auseinandersetzung mit bereits untersuchten Unternehmen neue Erkenntnisse verspricht. Darüber hinaus sind nach der Ende 2024 präsentierten Stichprobenanalyse der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte die meisten während der NS-Zeit tätigen Unternehmen noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Eine übergroße Mehrheit übergeht diese Phase der Unternehmensentwicklung weiterhin. Viele Familienunternehmen, aber auch Branchen wie Nahrungsmittelindustrie oder Elektrizitätswirtschaft sowie Big Player wie Siemens oder Reichsbahn bilden weithin weiße Flecken in der Forschungslandschaft.
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