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»Fin de partie«: Eine Komposition gegen den Stillstand
Die Berliner Staatsoper Unter den Linden bringt György Kurtágs spätes Hauptwerk »Fin de partie« auf die Bühne
Diese Oper ist ein doppeltes Wunder. Zunächst rechnete kaum noch jemand mit ihrem Zustandekommen. Intendant Alexander Pereira, der Auftraggeber, musste das Publikum immer wieder vertrösten und das Projekt mehrmals von einer seiner Wirkungsstätten an die nächste mitnehmen, von Zürich nach Salzburg, schließlich nach Mailand, wo eine »versione non definitiva« 2018 doch noch ihre Uraufführung an der Scala erlebte.
Da war György Kurtág bereits 92 Jahre alt. Schwer vorstellbar schien auch, wie der Meister der Miniatur, der Verknappung und Auslassung Musik für ein abendfüllendes Stück würde schreiben können. Sein 1998 fertiggestellter Beckett-Zyklus »… pas à pas – nulle part …« für Bariton, Streichtrio und Schlagzeug etwa besteht aus Fragmenten, die selten länger als eine Minute dauern. Mit »Fin de partie«, seiner Adaption von Samuel Becketts »Endspiel«, ist Kurtág jedoch – ohne ästhetische Konzessionen – ein überzeugendes, theatertaugliches Stück gelungen.
Dass zeitgenössischen Opern ein Leben über die oft nur pflichtschuldig absolvierte Uraufführung hinaus gegönnt ist, kommt relativ selten vor. Kurtágs Beckett-Oper ist auf dem besten Weg dazu, sich im Repertoire zu behaupten. Nach der deutschen Erstaufführung in Dortmund erlebte sie im vergangenen Jahr auch ihre Premiere an der Wiener Staatsoper (Regie: Herbert Fritsch, Dirigentin: Simone Young).
An der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wo man sich mit Zeitgenössischem immer noch schwertut und nicht einmal die Premiere vor vollem Haus stattfand, sorgte Alexander Soddy am Dirigentenpult für eine exakte und nuancenreiche Umsetzung der Partitur, die einen großen Orchesterapparat – erweitert um Cimbalom, dem ungarischen Hackbrett, und Bajan, einem osteuropäischen Akkordeon – fast ausschließlich kammermusikalisch nutzt.
Es ist dies eine Musik am Rande des Verstummens, eine lange Perlenkette von Fragmenten, die durch die Robustheit von Becketts französischem Text zusammengehalten wird, dem Kurtág akribisch folgt und musikalisch gestenreich auf ihn reagiert. »In dem Stück geht es um Pausen und um den Stillstand der Zeit«, lässt Soddy sich im Programmheft vernehmen, und er vermag das auch schlüssig umzusetzen. Gegen den Stillstand aber wird gleichsam ankomponiert, während Becketts tragikomische Figuren ihre verbliebene Energie in Machtspiele und Demütigungen investieren, wenn sie nicht gerade von Sentimentalitäten eingeholt werden.
Der an den Rollstuhl gefesselte, blinde Hamm (Laurent Naouri), sein Diener Clov (Bo Skovhus) und das in Mülltonnen steckende Paar Nell (Dalia Schaechter) und Nagg (Stephan Rügamer) sind dankbare Rollen, die in Berlin brillant besetzt sind. Wie Kurtág für Stimmen komponiert, den Text zur Geltung bringt, anstatt ihn mit dem Orchester zuzudecken, auch das ist fast ein Wunder.
Die Theaterstücke Samuel Becketts haben im zeitgenössischen Betrieb keinen guten Stand. Denn sie müssen exakt umgesetzt werden, als Vorlagen für Regietheater- und Trash-Orgien eignen sie sich nicht. Das gilt selbstverständlich auch für György Kurtágs Musiktheater. Wie man es überzeugend auf die Bühne bringt, konnte man letzten Herbst in Wien erleben: Zu sehen war eine nüchterne, fast abstrakte Raumsituation, die im Laufe des Abends subtile Veränderungen erfuhr, und Herbert Fritschs Regie bestach durch intelligente Personenführung, setzte Slapstickhaftes erstaunlich sparsam und dann umso effektvoller ein.
Johannes Erath hingegen, der Regisseur in Berlin, mochte sich mit der Immobilität dreier der vier Figuren offenbar nicht abfinden beziehungsweise der Aufgabe nicht stellen und »befreite« sie auch schon bald aus den Mülltonnen beziehungsweise aus dem Rollstuhl. Auf Becketts beziehungsweise Kurtágs Dramaturgie scheint er nicht zu vertrauen. Der Raum, in dem die Mülltonnen und der Rollstuhl Hamms stehen und den nur Clov verlassen kann, ist bei Erath eine Bühne auf der Bühne, es wird mit Filmen und Projektionen gearbeitet – gesteigert zu effektvoller Beliebigkeit, wenn in der letzten Szene Hamm und Clov auf einem auf die Seite gekippten Riesenrad herumturnen, auf dem Glühbirnen zu leuchten beginnen, wenn das Orchester sich am Schluss zu einer der raren Tutti-Stellen steigert.
Ja, es gibt bei Beckett etwas dominant Clowneskes, und auch die Sphären des Jahrmarktes und des Zirkus waren nicht ohne Einfluss auf ihn. Erath freilich nutzt das als Vorwand für eine szenische Opulenz (Bühne: Kaspar Glarner), die der Fragilität dieser Oper nicht angemessen ist. Er sagt: »Wenn jemand im Rollstuhl sitzt oder in der Mülltonne ist, wirkt das auf der Opernbühne konzertant, ist aber keine Szene, das kann noch so toll interpretiert sein. Deswegen muss uns ein Kniff gelingen, der eine Theatralität oder eine neu erfundene Form von Absurdität in sich birgt.« Dass dem nicht so ist, haben bessere Regisseure bereits bewiesen. Die Aufführungsgeschichte von »Fin de partie« aber hat gerade erst begonnen.
Nächste Vorstellungen: 15., 21. und 24. Januar
www.staatsoper-berlin.de
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