Sturm auf die Stasi: Von Akten und Akteuren

David Gill über die Besetzung der Stasi-Zentrale vor 35 Jahren in Berlin und die Aufarbeitung von Geschichte

  • Interview: Karlen Vesper
  • Lesedauer: 13 Min.
Großes Reinemachen war 1990 angesagt – hier in der Berliner Stasi-Zentrale.
Großes Reinemachen war 1990 angesagt – hier in der Berliner Stasi-Zentrale.

Am 15. Januar 1990 kam es zur »Erstürmung« der Stasi-Zentrale in Berlin. Von einem Sturm kann eigentlich keine Rede sein, es war eher ein – wie der Historiker Helmut Müller-Enbergs immer wieder betont – »Spaziergang« von DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die sich erstaunt in der Normannenstraße umschauten. Trotzdem gingen dann Bilder der Verwüstung um die Welt.

Das war, da bin ich sicher, gewollt. Doch zunächst einmal: Die Stasi-Zentralen in den Bezirken sind bereits seit Anfang Dezember von Bürgern und Bürgerinnen besetzt worden, in Erfurt, Suhl, Leipzig, Dresden bis nach Rostock. Gefordert wurde die Auflösung der Stasi. Die im November 1989 gebildete Regierung unter Hans Modrow wollte ein Amt für Nationale Sicherheit gründen. Doch das wollten die Menschen nicht, keine Neuauflage der Stasi.

Modrow wurde vor den Zentralen Runden Tisch zitiert, er sollte dort am 15. Januar 1990 Rede und Antwort stehen, denn die Auskünfte zum Stand der versprochenen Auflösung waren bis dahin unbefriedigend. Und parallel dazu hatte das Neue Forum für diesen Tag zu einer Demonstration vor dem Gebäudekomplex des MfS in der Normannenstraße in Berlin aufgerufen und die Bürger und Bürgerinnen explizit ermuntert: »Bringt Ziegelsteine mit. Wenn sie das Tor nicht aufmachen, mauern wir sie zu.« Mehrere Demonstranten haben tatsächlich Ziegelsteine mitgebracht und begonnen, eine Mauer zu errichten. Dann ging plötzlich das Tor auf. Man hat bis heute nicht exakt klären können, wie ist es dazu gekommen ist.

Interview

David Gill, Jg. 1966, zweitjüngste von sieben Kindern des Bischofs der Herrnhuter Brüdergemeinde Theodor Gill, durfte zunächst kein Abitur machen. Er studierte dann am Sprachenkonvikt der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und wurde 1990 Vorsitzender des Bürgerkomitees zur Auflösung der Zentrale der Staatssicherheit in Berlin. Nach seinem Jurastudium arbeitete er zunächst im Bundesinnenministerium und im Bundespräsidialamt, bevor er ins Auswärtige Amt wechselte. Seit August 2024 vertritt Gill die Bundesrepublik als Botschafter in Irland. Er ist Mitglied der SPD und weiterhin in der EKD aktiv.

Und das Fernsehen war dabei.

Ja, Funk und Fernsehen waren vor Ort und berichteten, wie die Tausenden aufs Gelände und in die Gebäude strömten. Interessant ist, dass die Demonstranten nicht geradeaus marschierten, ins Hauptgebäude, wo sich das Büro von Stasi-Chef Erich Mielke befand, sondern zunächst nach links abbogen, in das sogenannte Versorgungsgebäude, wo es einen Speisesaal und ein Kino gab, einen Friseur und ein Geschäft, dass etwas exklusivere Sachen anbot als HO, Konsum oder Kaufhalle. Also nicht in die sensiblen, operativen Bereiche.

Gelenkt von MfS-Leuten?

Wahrscheinlich. Man wollte vermeiden, dass die Menschen die wirklich kritischen Dinge zu Gesicht oder gar in die Hände bekamen. Da flog Papier durch die Luft, Fensterglas zerschellte, Türen wurden zerschlagen und die Sprinkleranlage ging an, warum auch immer, bewusst oder nicht. Das ergab dann die hässlichen Bilder, die im Widerspruch zum Motto der Friedlichen Revolution standen: Keine Gewalt!

Schlug da vielleicht nicht doch lang aufgestaute Empörung über Bespitzelung und Repression in eine aggressive Stimmung um?

Nein, nein, da war keine aggressive Stimmung. Ich war zwar am 15. Januar noch nicht dabei, erst ab dem Folgetag. Diese schlimmen Bilder wurden in den Tagen danach von interessierter Seite genutzt, um zu zeigen: »Schaut mal, so friedlich sind sie nicht, jetzt drehen sie durch. Jetzt müssen wir mal durchgreifen.« Das hat aber nicht verfangen.

Man kann davon ausgehen, dass sich unter die Spaziergänger am 15. Januar auch Vertreter westlicher Geheimdienste gemischt haben.

Das kann ich nicht ausschließen. Natürlich haben sie in diesen Tagen versucht, an relevante Informationen zu gelangen. Es war eine turbulente Zeit, wo alles möglich war …

Wann hat sich Ihr Bürgerkomitee gegründet?

Solche Bürgerkomitees gab es schon seit Anfang Dezember in den Bezirken, als dort bereits Stasi-Zentralen besetzt wurden, um das Schreddern von Akten zu verhindern. Man war schon fleißig am Werk. Vertreter der regionalen Bürgerkomitees trafen sich dann in Berlin, um ihr Vorgehen zu koordinieren. Die Teilnehmer dieses Treffens waren sozusagen die Geburtshelfer für unser Bürgerkomitee, das in den Tagen nach der Erstürmung verschiedene Arbeitsgruppen bildete, beispielsweise zu Quellenschutz oder Immobilien etc. Am 8. Februar haben wir uns dann ganz förmlich ein Statut gegeben, dass die Arbeit verbindlich regelte.

Wie sind Sie eigentlich dazu gestoßen?

Ich war damals Theologiestudent am Sprachenkonvikt, der theologischen Hochschule der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Aus diesem kamen übrigens ganz viele, die damals die Veränderungen mit vorangetrieben haben. Die SDP, die sozialdemokratische Partei der DDR, wurde am 7. Oktober 1989 unter anderem von Markus Meckel, Martin Gutzeit und Steffen Reiche gegründet; sie alle hatten vor mir am Sprachenkonvikt studiert. Mein Philosophieprofessor war Richard Schröder, später Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Volkskammer. Und Wolfgang Ullmann, der am Zentralen Runden Tisch eine neue DDR-Verfassung mit ausgearbeitet hat und später Abgeordneter im Europaparlament saß, war unser Kirchenhistoriker.

Ich war in meiner Kirchengemeinde, den Herrnhutern, in Berlin aktiv, über diese auch lokal in einer Gruppe von Demokratie Jetzt. Und ich habe die erste Sitzung des Zentralen Runden Tisches hautnah miterlebt, denn sie fand in unserem Kirchensaal im Bonhoefferhaus statt. Die Ereignisse am 15. Januar habe ich im Radio verfolgt. Am 16. Januar abends wurde in der Aktuellen Kamera, der zentralen Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, vom Streik der Müllfahrer in Berlin berichtet. Da wurde Sebastian Pflugbeil interviewt ...

Kein Theologe, sondern Physiker und Mitbegründer des Neuen Forums.

Ja. Und er meinte, der Streik sei wichtig, schön und gut, aber zugleich appellierte er an die Müllfahrer, in die Normannenstraße zu fahren und die Besetzer der Stasi-Zentrale bei der Bewachung des Geländes zu unterstützen. Da entschloss ich mich, auch hinzugehen. Dort kam ich ins Gespräch mit jemandem, der mich mit in eine Gruppe nahm, die sich Gedanken machte, wie es nun geordnet weitergehen könnte. Ich habe mich gern an den Diskussionen beteiligt. Am dritten Tag stand dann die Frage im Raum: Wie organisieren wir uns? Wer übernimmt die Leitung der Arbeitsgruppen? Und wer die gesamte Koordination? Die Wahl für den Vorsitz fiel überraschend auf mich.

Sicher aufregende Tage für Sie?

Ja, ich hatte manch schlaflose Nächte, aber mit 23 Jahren steckt man die leichter weg als mit Ende 50. Es war eine spannende Zeit. Vielleicht hatten wir zu wenig Zeit zum Reflektieren, aber es musste eben rasch gehandelt werden. Diese Zeit hatte ihre eigene, rasante Dynamik.

Es wurde bald gewitzelt, dass der Umbruch in der DDR eine Revolution der Pfarrer und Juristen war, standen doch gerade sie damals an führender Position. Wie kann man sich das erklären?

Die Pfarrer und generell die im kirchlichen Bereich Engagierten waren im Denken offener und konnten es auch sein. Sie waren auch geübter in Diskussionen und demokratischen Abläufen. Sie erinnern sich sicher an Reinhard Höppner, leider zu früh 2014 verstorben. Er war zwar nicht der Präsident der am 18. März 1990 gewählten Volkskammer, das war Sabine Bergmann-Pohl. Aber genau genommen hat er, der Vizepräsident, die neue Volkskammer gemanagt. Und warum? Er war zwar nicht Pfarrer, sondern Mathematiker, aber in führenden Positionen der Evangelischen Kirche tätig. Als Präsident der Synode, also des Parlaments einer Landeskirche war er gut vertraut mit demokratischen Prozessen, hatte parlamentarische Erfahrungen, wusste, wie man Abstimmungen organisiert, wie man mit Geschäftsordnungsanträgen umgeht, etc.

Die Aufgabe der Pfarrer in der DDR war zudem nicht nur eine geistig-spirituelle, sie waren zugleich offen, für diejenigen, die sich nicht anpassen wollten. Und so fungierte die Kirche in der DDR auch als Schutzschirm für diejenigen, die sich politisch nicht konform verhielten und half denjenigen, die sich in inneren Konflikten mit den Zuständen in der DDR befanden.

Warum Juristen? Sie wiederum waren einerseits von ihrer Ausbildung her breit aufgestellt, in freier Rede und Argumentation geübt, kannten sich in gesellschaftlichen Strukturen und Prozesse aus. Zum anderen hatten diejenigen, die in eine aktive Rolle in dieser Zeit spielten, zuvor Oppositionelle verteidigt.

Zum Beispiel Gregor Gysi.

Zum Beispiel. Es gab da aber auch Schattierungen, Anwälte, die Systemkritiker pro forma verteidigten und sie dann an die Stasi verrieten. Wolfgang Schnur zum Beispiel – das war ja unglaublich!

Wolfgang Schnur, Mitbegründer und Vorsitzender der im Oktober 89 gegründeten Partei Demokratischer Aufbruch, deren Pressesprecherin, nebenbei bemerkt, die Pfarrerstochter Angela Merkel war. Er hat von 1965 an bis zuletzt für das MfS gearbeitet. Kurz vor der Wahl der neuen Volkskammer wurde er enttarnt.

Sein Fall war für mich der entscheidende Moment, wo ich mir endgültig klar war: Wir brauchen die Akten. Das wurde damals ja heiß diskutiert.

Nicht wenige votierten dafür, alle zu verbrennen oder zu verbuddeln.

Das stand für mich nie zur Debatte. Geschlossen halten, vielleicht. Es gab auch unter uns eine kontroverse Diskussion, wie groß der Sprengstoff dieser Akten sei, ob wir den explosiven Stoff beherrschen würden oder es nicht doch besser sei, alles zu vernichten und zu vergessen.

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Haben Sie Ihre Akte eingesehen?

Ich habe keine klassische Akte, dafür war ich entweder zu jung oder zu unbedeutsam. Aber es gibt eine Reihe Notizen in anderen Akten, wo ich erwähnt werde, etwa, wenn ich die amerikanischen Botschaft besucht habe, um in deren Bibliothek westliche Zeitungen zu lesen. Mein Vater hat eine ziemlich dicke Akte. Er war vielleicht kein Revolutionär, aber einer, der immer sehr klar seine Meinung sagte, offen Missstände benannte und viele Menschen, die politisch in Bedrängnis waren, unterstützt hat.

Als Bischof einer Religionsgemeinschaft, der Herrnhuter Brüdergemeine, war er für die Stasi interessant.

Ja, und weil er sich um Wehrdienstverweigerer und inhaftierte Republikflüchtlinge gekümmert hat oder Mitglieder seiner Gemeinde in Konflikten mit dem Staats- und Parteiapparat beriet und unterstützte.

Wann haben Sie wissen wollen, was die Stasi über Sie notiert hat?

Ich hatte nicht den übermäßigen Drang zu wissen, was die Stasi über mich gesammelt hat. Ich habe mich immer als Sachwalter der Interessen der Menschen verstanden, nicht meiner. Ich wollte nie eine Sonderrolle.

Wenn Sie resümieren müssten: Ist die Aufarbeitung via Akten gelungen? Hat sie Aufklärung gebracht? Wissen wir jetzt mehr über den untergegangenen Staat und uns selbst oder waren die Verletzungen und teils Denunziationen, die sich mitunter als falsch erwiesen, schmerzlicher und schädlicher für die Gesellschaft?

Da muss man genau hinschauen. Das war natürlich auch ein Akt der politischen Hygiene. Wir wollten im neuen Staatsapparat nicht die gleichen Leute haben, die schon zuvor über unsere Geschicke bestimmt und Biografien beschädigt haben, die mit der Stasi zusammenarbeiteten oder hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi waren. Die Öffnung der Akten war außerdem für die Betroffenen wichtig. Wir haben den Menschen die Möglichkeit gegeben, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten, sie hinter sich zu lassen, einen persönlichen Schlussstrich ziehen zu können: »Jetzt weiß ich, was war.« So mancher hat Verdächtigungen mit sich herumgetragen, die sich am Ende als fälschlich herausstellten. Um Klarheit zu schaffen, war die Öffnung der Akten ebenso wichtig. Die Entscheidung finde ich nach wie vor richtig. Es wurde niemand gezwungen, seine Akte einzusehen.

Nicht überall im sogenannten Ostblock wurde das damals so gehandhabt, so in Rumänien nicht.

Wo es nicht gleich stattfand, geschah dies später unter viel schwierigeren Bedingungen und mit wesentlich weniger zuverlässlichen Quellen. In Rumänien z.B. erst ab 2005. Aber da hat die Securitate bereits viel beseitigt und bereinigt.

Die Massenproteste im Herbst 89 in der DDR konzentrierten sich zuerst auf Meinungs- und Pressefreiheit und vor allem die Ignoranz der sogenannten Partei- und Staatsführung in Bezug auf die Massenflucht und Reisefreiheit. Die Forderung »Meine Akte gehört mir« kam erst später.

Es war aber kein Zufall, dass sich die Bürgerbewegung und der Protest der Straße dann auf die Stasi konzentrierte. Sie war so allmächtig und allgegenwärtig, zugleich unfassbar und imaginär. Der gesellschaftliche Schaden, den die Stasi angerichtet hat, war so groß, dass sie in den Fokus rückte. Wir haben dann zeitweilig deren Auftraggeber vergessen, der die eigentliche oder mehr Verantwortung trug als der kleine Stasi-Mitarbeiter, der Offizier oder Zuträger. Und Pauschalurteile waren leider schnell bei der Hand. Da hätte ich mir eine größere Differenzierung gewünscht und eine sachliche, offene Diskussion über persönliche Verstrickungen.

Es hat solche anfangs gegeben, mit den Opfer-Täter-Gesprächen, mehrheitlich von Kirchenleuten moderiert, bei denen es sehr zivil zuging. Sie kamen allerdings rasch zum Erliegen. Weil die Täter, eher mittlerer oder unterer Chargen, sich dann als Prügelknaben der Nation sahen.

Sie hatten das Gefühl, dass ihre Vorgesetzten, die »ein bisschen mehr Dreck« am Stecken hatten, durchkommen und sie gehangen werden. Da hatten sie auch keine Lust mehr, sich zu offenbaren.

Wie standen eigentlich die Herrnhuter zu »Kirche im Sozialismus«?

Natürlich lebten auch die Mitglieder meiner Kirche in der DDR und richteten sich dort ein. Viele sahen die Zustände kritisch. Ich erinnere mich nicht, dass der Begriff »Kirche im Sozialismus« bei uns eine Rolle spielte. Die Herrnhuter Gemeinde war allerdings so klein, dass sie gesellschaftlich nicht besonders relevant war, jedenfalls von der Staatsführung nicht derart eingeschätzt wurde. Aber auch die Herrnhuter standen ziemlich unter Druck. Man hat versucht, das Leben in der DDR hinzukriegen. Doch ein Unterhaken mit dem Staat hat es nicht gegeben. Die Haltung zum Staat und der »führenden Partei« war generell recht unterschiedlich innerhalb der evangelischen Kirche. Einzelne Bischöfe suchten Tuchfühlung mit der Macht, andere grenzten sich sehr deutlich ab.

Letztlich haben die Kirchen republikweit ihre Pforten geöffnet, für Friedensgebete und Fürbitten, für die Freilassung politisch Inhaftierter. Die Herrnhuter auch?

Ja, aber wir hatten keinen so großen Ansturm wie die Nikolaikirche in Leipzig oder die Zionskirche in Berlin. Das ging allein schon wegen unserer begrenzten Räumlichkeiten nicht. Aber wir waren für die Bedrängten da. Und, das habe ich schon erwähnt, die ersten Sitzungen des Zentralen Runden Tisches fanden im Herrnhuter Kirchensaal in Berlin-Mitte statt.

Deutschland wird international als Weltmeister bei der Aufarbeitung von Geschichte gerühmt. Zu Recht?

Mit Selbstlob bin ich vorsichtig. Aber ich glaube, dass wir vieles richtig gemacht haben, in Bezug auf die DDR und das sogenannte Dritte Reich.

Weil die Aufarbeitung und Ahndung von Nazi- und Kriegsverbrechen vor allem in Westdeutschland nach 1945 nicht konsequent erfolgt ist, hieß es nach der deutschen Vereinigung 1990, dieses Versäumnis dürfte sich hinsichtlich der DDR nicht wiederholen.

Ich finde solche Vergleiche immer schwierig, aber trotzdem war die Forderung konsequenter Aufarbeitung richtig, auch im Hinblick auf Vertuschung und Vergessen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ist der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik respektive die deutsche Vereinigung gut und glücklich verlaufen?

Ich glaube, wir sind damit recht weit gekommen. Der mangelnde gesellschaftliche Zusammenhalt heute hat meines Erachtens nur teilweise mit einer Spaltung in Ost und West zu tun, er ist auch mit aktuellen Entwicklungen zu erklären.

Welche?

Mit der zunehmenden Individualisierung zum Beispiel. Man erreicht die Menschen schwerer, sie bewegen sich in ihren eigenen Informationsblasen. Das hat viel mit neuartigen Kommunikationsstrukturen zu tun. Die Möglichkeiten der Information sind gewachsen, aber auch der Falschinformation. Ich habe mir vor 35 Jahren nicht vorstellen können, dass wir wieder in Zeiten plumper Propaganda zurückfallen könnten. Es ist ernsthaft zu überlegen, wie man die Menschen, die der Demokratie skeptisch gegenüberstehen, von Demokratiefeinden angestachelt, zurückgewinnt. Das ist eine große Herausforderung in Ost und West, für das ganze Land.

Die Robert-Havemann-Gesellschaft lädt am Mittwoch, den 15. Januar, ab 11 Uhr zu einem ganztägigen Erinnerungsmarathon mit Zeitzeugenführungen durch Museum und Ausstellung auf dem ehemaligen Stasi-Gelände in der Normannenstraße; um 19 Uhr gibt es eine Podiumsdiskussion, »Runde Tische, Bürgerkomitees und die Demokratie von morgen«, mit David Gill, der Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe u.a.

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