Digital auf dem Acker und im Stall

Mit der Verbreitung von Computertechnologien in der Landwirtschaft wird das Ernährungssystem anfälliger gegen Cyberattacken

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 7 Min.
In knapp einem Fünftel der Milchviehbetriebe sind heute Melkroboter im Einsatz.
In knapp einem Fünftel der Milchviehbetriebe sind heute Melkroboter im Einsatz.

Vor Jahren schien es noch so, als werde der Landwirt durch den verstärkten Anbau von Pflanzen als Rohstoffquelle für erneuerbare Energien faktisch zum »Energiewirt«. Inzwischen zeichnet sich ab, dass sich der bäuerliche Berufsstand mehr denn je zum »Digitalwirt« entwickelt: Überall, im Stall und auf dem Feld, kommen moderne Digitaltechniken zum Einsatz, wie etwa das sogenannte »Precision Farming« mit dem zielgenauen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf dem Acker. Die neuen technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft, die aber auch ihre digitalen Schattenseiten besitzen, werden gerade auf der »Grünen Woche« in Berlin vorgestellt, der weltgrößten Agrar- und Ernährungsmesse.

Der in dieser Woche vorgestellte »Kritische Agrarbericht« (KAB) von 26 unabhängigen Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucher- und Entwicklungspolitik hat die Techno-Trends ebenfalls aufgegriffen und aus unterschiedlichen Perspektiven bewertet. Festgestellt wird, dass die Digitalisierung von Produktionsprozessen in der Landwirtschaft inzwischen wesentlich die Bedienung der Traktoren und anderer Landmaschinen, etwa zur Ausbringung von Dünger und Pestiziden, beeinflusst. So kann bei Mähdreschern das Schneidwerk so genau eingesetzt werden, dass nur noch wenige Zentimeter Überlappung zur bereits abgeernteten Fläche erforderlich sind. »Das entlastet den Fahrer sehr und erhöht die Schlagkraft«, befindet der KAB.

Biodiversitätsverluste durch Rationalisierung

Allerdings führe die Digitalisierung in Verbindung mit einer weiteren Erhöhung der Geräteleistung – etwa bei Mähdreschern mit inzwischen zwölf Metern Schnittbreite – auch zu einem »deutlichen Anstieg der Anschaffungspreise und zu einer nicht weniger deutlichen Verminderung der Möglichkeiten, Reparaturen selbst vorzunehmen«. Die Abhängigkeit von Maschinenproduzenten wächst. Eine Reaktion darauf ist die Erhöhung des »überbetrieblichen Maschineneinsatzes«, wie es in der Agrar-Fachsprache heißt. So verfügten 2024 nach Ermittlungen des Agrarberichts nur noch 17 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe über einen eigenen Mähdrescher und bei 83 Prozent der Betriebe erfolgte der Drusch mithilfe von Lohnunternehmen oder im Rahmen von Maschinenringen. »Das ist eine Entwicklung, die die Kosten deutlich senken kann, die Abhängigkeit der Betriebe von der Planung des Lohnunternehmens aber auch sehr erhöht«, heben die Agrar-Kritiker hervor. Die Rationalisierung zieht nach sich, dass Flächen weiter zusammengefasst und einheitlich bewirtschaftet werden. »Das trägt in erheblichem Umfang zur weiteren Verminderung der Biodiversität bei.«

Im Bereich der Tierhaltung wirke sich die Digitalisierung unter anderem in »einer verbesserten Steuerung der Fütterungsautomatik bei Schweinen und Hühnern sowie bei der Steuerung des Raumklimas in Ställen« aus, stellt der Kritische Agrarbericht fest. So setzen in der Milchviehhaltung mittlerweile 19 Prozent der Betriebe Melkroboter ein. Das wären insgesamt »wunderbare Möglichkeiten«, bemerkt der Bericht ironisch – »wenn die Technik funktioniert!« Was aber nicht immer der Fall ist, und dann können die Folgen tödlich sein. Wenn etwa in der Hühner- und Schweinehaltung die Lüftung ausfällt, kann das zum Tod einer großen Zahl an Tieren führen - »was real leider allzu häufig geschieht«, so der Report. Aus diesem Grund werde der Einkauf einer neuen Technik oft verknüpft mit Wartungsverträgen, die eine Reparatur innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens verbindlich zusagen. Bei Melkrobotern sei dieses Vorgehen mittlerweile Standard. Eine weitere Konsequenz: »Wegen der starken Abhängigkeit der Betriebe von der Stromversorgung haben sich inzwischen viele Betriebe ein eigenes Notstromaggregat angeschafft.«

Künstliche Intelligenz noch wenig verbreitet

Allerdings ist die Digitalisierung der Landwirtschaft in Deutschland auch nicht von überschäumendem Tempo gekennzeichnet. Insbesondere beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) sei aktuell eine »Verschnaufpause« zu konstatieren, stellte der Branchenverband der Digitalwirtschaft Bitkom im letzten Jahr bei einer repräsentativen Befragung von 500 landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland fest. So hat sich der Einsatz von Digitaltechniken bei der GPS-Satellitensteuerung von Landmaschinen von 58 Prozent der Betriebe im Jahr 2022 auf 69 Prozent in 2024 erhöht. Damit rückt die Traktorsteuerung sogar auf Platz eins vor der digitalen »Ackerschlagkartei«, also der Verwaltung der Ackerbauaktivitäten und der digitalen Viehplanung, die heute von 68 Prozent der Betriebe eingesetzt werden.

Im gleichen Fragenset gaben allerdings nur neun Prozent der Landwirte an, heute schon KI auf ihrem Hof zu nutzen, genauso viele wie zwei Jahre zuvor. Immerhin planen aber auch 38 Prozent, KI in Zukunft einzusetzen. Größte Fraktion sind mit 53 Prozent immer noch jene Bauern, die Distanz halten und angeben: »Der Einsatz von KI ist kein Thema«. Die größte Reserviertheit herrscht mit 71 Prozent bei den kleinen Betrieben (20 bis 49 Hektar), während bei den größeren Höfen mit mehr als 100 Hektar bereits elf Prozent KI einsetzen und 41 Prozent den Einsatz planen.

Bei den »KI-Befürwortern« rangiert unter den Anwendungen die KI-Nutzung für Klima- und Wettervorhersagen mit 54 Prozent ganz vorne. Es folgt die Verbesserung des Planzenschutzes und KI-Anwendungen in der Büroarbeit. Erst am Ende der Skala finden sich die Themen, die in der öffentlichen Diskussion zuerst aufpoppen: KI-gesteuerte Landmaschinen (mit 13 Prozent Nutzung) und Entwicklung neuer Pflanzensorten in der Forschung (sieben Prozent). Erst auf 23 Prozent der deutschen Bauernhöfe kommen laut Bitkom heute Drohnen zum Einsatz und nur bei fünf Prozent ist der Feldroboter bereits auf dem Acker.

Der Boom kann aber noch kommen, denn generell sehe eine große Mehrheit der Bauern die Digitalisierung als eine Chance für ihren Betrieb, nämlich 79 Prozent der Befragten. Nur 15 Prozent befürchten eher Risiken. Für eine Minderheit von sechs Prozent hat die Digitalisierung keinen Einfluss auf den Betrieb, darunter auch viele kleinere Öko-Höfe. Als größte wahrgenommene Vorteile der Digitalisierung werden Zeitersparnis (69 Prozent), höhere Effizienz in der Produktion (61 Prozent) und körperliche Entlastung (57 Prozent) genannt.

Ökolandbau kann von Robotik profitieren

Ganz so düster wird die digitale Lage der Öko-Höfe vom zuständigen Fachverband indes nicht eingeschätzt. »Unserer Ansicht nach hängt der Einsatz digitaler Technik weniger an der Bewirtschaftungsweise als an der Größe oder dem Investitionspotenzial des Betriebs«, erklärt Jennifer Brandt von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) auf Anfrage von »nd.Die Woche«. Es gehe darum, die Landwirte mittels Investitionsförderung »zu befähigen, in die teure Technik investieren zu können«. Die Navigationstechnik GPS sei »auf den Höfen längst Alltag, und einige Bio-Gemüsebaubetriebe in der Region experimentieren bereits mit Robotik«. Die modernen Techniken würden keineswegs abgelehnt. Prinzipiell sei es sogar so, dass eine gute KI-gesteuerte Hacktechnik zur mechanischen Unkrautbekämpfung per Roboter »dem Ökolandbau noch mehr dienen kann als dem konventionellen«, ergänzt die FÖL-Sprecherin.

Dennoch vergrößern sich mit der Digitalisierung auch systemische Risiken, die vom Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) in einer Studie mit Fokus auf die Ernährungswirtschaft untersucht wurden. Danach wurden in den letzten zehn Jahren in Deutschland mindestens 182 digitale Attacken auf Betriebe der Landwirtschaft, Ernährungsindustrie und des Gastgewerbes verübt, ermittelte die Studie »Cybersicherheit in der Nahrungsmittelversorgung« im Auftrag des Bundestages.

»Die Digitalisierung prägt aktuell alle Stufen der Ernährungsversorgung von der landwirtschaftlichen Erzeugung von Nahrungsmitteln bis hin zum Einzelhandel«, stellt die Studie zur technologischen Entwicklung fest. Auch auf den Höfen setzten die Landwirte im beruflichen Alltag inzwischen verbreitet mobile Endgeräte ein, um auf relevante Informationen zuzugreifen. In der Tierhaltung kommen softwarebasierte Herdenmanagementsysteme, Sensortechnologien für die Einzeltierbeobachtung sowie Robotertechnologien zur Automatisierung des Melkvorgangs, der Fütterung und der Reinigung zum Einsatz.

Große Wissenslücken bei der Cybersicherheit

Zur Bedrohungslage gibt die Studie die Einschätzung: »Auch wenn die offiziellen Meldungen den Anschein erwecken, dass der Ernährungssektor im Sektorenvergleich wenig von Cyberanfällen betroffen ist, zeigt die vorliegende Analyse ein alarmierendes Bild.« Mehr als zwei Drittel der Unternehmen im Sektor Landwirtschaft und Ernährung und verbundenen Sektoren gaben an, dass sie in den vergangenen Jahren bereits Opfer eines oder mehrerer Angriffe geworden seien. »Die Analyse deutet darauf hin, dass die Nahrungsmittelindustrie, vor allem in den letzten Jahren, verstärkt in das Visier von Cyberkriminellen geraten ist«, heißt es. Als Beispiel für die Verwundbarkeit des Ernährungssektors wird auf den 2021 erfolgten Angriff auf die Betriebstechnologie des brasilianischen Fleischverarbeiters JBS S.A. verwiesen, dessen gesamte nordamerikanische und australische Fleischproduktion dadurch lahmgelegt wurde.

Zur Gefahrenabwehr empfiehlt die TAB-Studie, vor allem die kleineren Unternehmen »zu mehr Cybersicherheit zu bewegen«. Auch die amtlichen Wissenslücken zum Stand der Cybersicherheit seien groß. Es sei daher wichtig, »Daten zur Verbreitung von Technologien zu erheben, Störfälle und Schutzniveaus systematischer zu erfassen sowie die Chancen und Risiken neuer Technologien systematisch zu bewerten«, so die Technikforscher.

»Die Digitalisierung prägt aktuell alle Stufen der Ernährungsversorgung.«

Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages
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