- Politik
- Queerpolitik
Nazi und trans? Der Fall Liebich
Aus Sven wurde Marla Svenja Liebich. In ein Frauengefängnis kommt die verurteilte Rechtsextremistin deshalb nicht zwangsläufig
Ein Bericht über sexuelle Übergriffe von Transfrauen auf weibliche Mithäftlinge; ein transfeindlicher Neonazi, der selbst zu Frau wird: Vor der anstehenden Bundestagswahl kocht die Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wieder hoch. Das im November in Kraft getretene Gesetz erlaubt eine Änderung des eigenen Geschlechtseintrags und Namens durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt. Parteien wie die CDU, AfD und auch das BSW kritisieren diese Regelung als missbrauchsanfällig – und sehen darin eine Gefahr für Frauen. Ein Blick auf die Anlässe für die erneute Diskussion zeigt hingegen: Die Warnungen sind übertrieben. Lehren lassen sich daraus dennoch ziehen.
Aber der Reihe nach. Mitte Januar veröffentlichte die »Welt« einen Artikel mit dem Titel »Mehrere Übergriffe von ›Trans-Frauen‹ auf weibliche Häftlinge in Gefängnissen«. Nach Angaben der Zeitung ergab eine Befragung der Justizministerien sämtlicher Bundesländer, dass seit 2023 insgesamt zwei gefangene Transfrauen vier sexuell motivierte Übergriffe verübt haben sollen. Die Zahlen an sich sind nicht besonders aussagekräftig, da weder die sexuelle Gewalt in deutschen Gefängnissen, noch die Zahl der trans oder nichtbinären Inhaftierten erfasst wird.
Klar ist hingegen: Mit dem Selbstbestimmungsgesetz haben diese Übergriffe nichts zu tun. Sie fanden statt, bevor dieses in Kraft getreten ist. Das gesteht der »Welt« Artikel zwar zu, nimmt die Recherche aber als Anlass zu der Prognose, dass infolge des SBGGs der Anteil von Transpersonen in Haftanstalten zunehmen dürfte »und möglicherweise damit auch Gewalttaten gegen Frauen, wie Kritiker befürchten«. Bezogen auf den Umgang mit Transmenschen, also insbesondere der Frage, wo diese untergebracht werden, heißt es: »Seit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes am 1. November 2024 sind Einzelfallentscheidungen nicht mehr nötig.«
Das aber ist entweder missverständlich ausgedrückt – oder inhaltlich falsch; auf eine Anfrage des »nd« diesbezüglich reagierte die Zeitung nicht. Richtig ist: »Das SBGG trifft keine Regelungen über den Strafvollzug«, das schreibt das Bundesfamilienministerium. Konkret bedeutet das, Entscheidungen werden – anders als die »Welt« behauptet – sehr wohl im Einzelfall herbeigeführt.
»Es gibt keinen Automatismus, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags – wie im Fall Liebich – zu einer Unterbringung im Frauengefängnis führt«
Judith Froese Professorin für öffentliches Recht an der Universität Konstanz
»Den Staat trifft eine Fürsorgepflicht für alle Strafgefangenen. Daher sind die Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechte aller Gefangenen zu berücksichtigen und nicht allein die geschlechtliche Identität eines Strafgefangenen«, erklärt die Rechtswissenschaftlerin Judith Froese gegenüber »nd«. »Diese Interessen können einer Unterbringung oder Verlegung eines Strafgefangenen in ein Frauengefängnis entgegenstehen.«
Das führt zum Fall Liebich, einem bekannten Mitglied der rechtsextremen Szene in Sachsen-Anhalt. Während des Christopher Street Days 2022 in Halle an der Saale soll Liebich Teilnehmende als »Parasiten der Gesellschaft« beschimpft haben, ein Jahr darauf dann als »Schwuletten«, zudem schwadronierte Liebich von einem angeblichen »Transfaschismus«.
Eben diese Person hat nun kürzlich ihren Geschlechtseintrag und Vornamen geändert: aus Sven Liebich wurde Marla Svenja Liebich. Klar, auch Neonazis können trans sein – und hinter offen geäußertem Hass verbirgt sich allzu oft die eigene Scham. Pikant ist aber der Zeitpunkt der Änderung. Denn im Vorfeld hatten Liebich gleich zwei Gerichte zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt, unter anderem wegen Volksverhetzung und einem Angriff auf einen Fotografen.
Für die »Welt« Grund genug zu schreiben: »Jetzt könnte eine Unterbringung im Frauengefängnis anstehen.« Andrea Lindholz, CSU-Bundestagsabgeordnete, gab zu Protokoll: Es sei »offensichtlich das eingetreten, wovor wir immer gewarnt haben«. Und BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sprach von einer »Ausnutzung des Selbstbestimmungsgesetzes«.
Doch auch hier gilt: »Es gibt keinen Automatismus, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags – wie im Fall Liebich – zu einer Unterbringung im Frauengefängnis führt«, so Rechtswissenschaftlerin Froese. Sowohl die Staatsanwaltschaft Halle als auch das Justizministerium in Sachsen-Anhalt bestätigten dies auf Anfrage verschiedener Medien. Christian Rath, der rechtspolitische Korrespondent der »Taz« schätzt die Wahrscheinlichkeit als gering ein, dass Liebich in ein Frauengefängnis kommt.
Viel Lärm um nichts also? Sollte sich herausstellen, was viele vermuten, nämlich dass es sich um einen provokativen PR-Stunt handelt, dann zeigen die Reaktionen konservativer Medien und Politiker*innen: Liebich hat ihr Ziel erreicht.
Umsonst ist die Debatte deshalb nicht. Froese hat schon als Sachverständige eingeworfen, dass das SBGG ungewollte Begleiterscheinungen mit sich bringt, weil es keine »nachprüfbaren Voraussetzungen« für eine Änderung des Geschlechtseintrags enthält, so die Rechtswissenschaftlerin. »Zu diesen Folgeproblemen zählt auch die Unterbringung Strafgefangener.« Dies wiederum habe die Bundesregierung auf die Bundesländer abgewälzt »und das Problem damit verlagert, aber nicht gelöst«.
»Dass Gewalt in Gefängnissen nur bei trans* Frauen thematisiert wird, zeigt, dass es nicht ernsthaft diskutiert, sondern gegen trans* Frauen instrumentalisiert wird.«
Gabriel_Nox Koenig Pressesprecher des Bundesverbandes Trans*
Zwar gibt es einige Länder wie Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein, die in Landesgesetzen detaillierte Regelungen zur Unterbringung transgeschlechtlicher Strafgefangener festgehalten haben. In Sachsen-Anhalt, wo Liebich angeklagt ist, ist das aber nicht der Fall. Wer weiß, vielleicht stellt sich die rechte Panikmache ja als Anstoß für eine Gesetzesänderung heraus.
Für Gabriel_Nox Koenig, Pressesprecher des Bundesverbandes Trans*, geht die Diskussion dennoch am entscheidenden Punkt vorbei. »Dass wir Gewalt in Gefängnissen nur dann diskutieren, wenn es um trans* Frauen und Frauengefängnisse geht, zeigt, dass das Thema nicht ernsthaft besprochen wird, sondern gegen trans* Frauen instrumentalisiert wird.« Die eigentliche Frage sei, wie der Staat Gewalt in Gefängnissen generell verhindern könnte.
Dabei handelt es sich um ein Problem mit einer weit größeren Dimension, als die von der »Welt« recherchierten Fälle, wie eine Studie aus Österreich belegt: Demnach erleben fast drei von vier Inhaftierten in österreichischen Gefängnissen Gewalt. Jede*r zehnte Befragte berichtete von sexueller Belästigung beziehungsweise Gewalt – wobei die Dunkelziffer um einiges höher liegen dürfte.
In Bezug auf Transpersonen kommt hinzu, dass diese häufiger Opfer von Gewalttaten seien, als Täter*innen, sagt Koenig. Anstatt zu fragen, wie Insass*innen vor Transpersonen geschützt werden können, müsse daher eher diskutiert werden, wie die Sicherheit von trans oder nichtbinären Inhaftierten gewährleistet werden kann. »Bislang heißt die Antwort darauf oft Isolierung oder Einzelhaft«, kritisiert Koenig. Ob Marla Svenja Liebich so weit gedacht hat?
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.