Ost-Deutschland: Mit Schulden gegen das Industriesterben

Zum Jahresbeginn erhebt die IG Metall vor allem politische Forderungen an eine künftige Bundesregierung

Nichts ist sicher: Ab 2030 stehen auch die 1450 Arbeitsplätze bei Mercedes in Ludwigsfelde zur Debatte.
Nichts ist sicher: Ab 2030 stehen auch die 1450 Arbeitsplätze bei Mercedes in Ludwigsfelde zur Debatte.

Die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland trifft auch den Osten. »Fast täglich wird von Abbauplänen von Unternehmen berichtet«, erklärt Dirk Schulze. »Für uns ist es zentral, diesen gefährlichen Trend zu stoppen, ihn umzukehren.« Auf der Jahrespressekonferenz hob der Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen das Gegensteuern gegen die anhaltenden Standortschließungen und den Abbau von Arbeitsplätzen als wichtigstes Anliegen der Industriegewerkschaft für das laufende Jahr hervor.

»Das neue Jahr soll ein Jahr des Aufbruchs werden, nachdem es 2024 viele Einschläge gegeben hat«, sagte Schulze. Die Beschäftigten würden von der Bundesregierung und den Landesregierungen Maßnahmen zur Stärkung der Industrie als Eckpfeiler von Wirtschaft und Wohlstand erwarten. Gleichzeitig sollten sich die Unternehmen zu Deutschland als Standort bekennen und »investieren, statt nur zu jammern«.

»Die Schuldenbremse muss weg«

Während der Corona-Pandemie hätten sich Unternehmen und Beschäftigte solidarisch untergehakt und gemeinsam Lösungen gefunden. Davon fehle nun jede Spur: »Unternehmen agieren den Beschäftigten gegenüber fantasielos mit Druck und Erpressungen, Abwanderungsandrohungen und Kündigungen.«

Um auf bundespolitischer Ebene die nötigen Investitionen in die Infrastruktur, die Elektromobilität und den Ausbau erneuerbarer Energien zu ermöglichen, plädiert Schulze für eine Abkehr von der Schuldenbremse, die er als Zukunftsbremse für die Gegenwart und nachfolgende Generationen bezeichnete.

Die im Grundgesetz verankerte Regelung untersagt auch den Bundesländern, Haushalte zu verabschieden, die Defizite aufweisen. 2023 hatte das Bundesverfassungsgericht dem bisher laschen Umgang mit dem Gesetz einen Riegel vorgeschoben. In der Folge mussten bisher angepeilte Haushalte enorm zusammengekürzt werden. Das habe auch die regionale Industrie getroffen, so Schulze. Auch in Berlin seien beispielsweise für den ökologischen Umbau der Produktion des Rasierklingenherstellers Gillette zunächst Landesfördermittel vorgesehen gewesen, die sich im gekürzten Haushalt dann aber nicht wiederfanden.

Umkämpfte Grünheide

Schulze spricht auch über den mit rund 12 000 Beschäftigten größten privaten Arbeitgeber in Brandenburg. Im vergangenen Jahr hatte der Elektrobauer Tesla einige hundert Stellen aufgrund von sinkenden Absatzzahlen abgebaut. Eine Befragung von 1200 Tesla-Mitarbeiter*innen habe ergeben: Mehr als 80 Prozent der Beschäftigten fühlten sich überlastet, neun von zehn Mitarbeiter*innen klagten über arbeitsbedingte Schmerzen und nur jede*r Zehnte könne sich vorstellen, die Arbeit bis zum Renteneintritt auszuüben. Für bessere Arbeitsbedingungen, insbesondere mehr Personal, wie es bei anderen Automobilherstellern üblich sei, setzten sich die Metaller*innen im Betrieb unermüdlich ein: »Gegen den erbitterten Widerstand der Geschäftsführung, des Tesla-Eigentümers und der arbeitgebernahen Betriebsrats-Mehrheit«, sagt Schulze. Vor einem Jahr hatte die IG Metall bei der Betriebsratswahl zum zweiten Mal in Folge der managementnahen Listen die Mehrheit überlassen müssen.

Gegenwärtig versucht die IG Metall per Klage die Betriebsratsvorsitzende abzusetzen. Sie wirft ihr Rechtsmissbrauch zum Nachteil der Gewerkschaft vor. Der Betriebsrat hatte in der Vergangenheit mehrheitlich und wiederholt arbeitgeberseitigen Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern der IG Metall zugestimmt. Zu viel will sich Schulze nicht in die Karten schauen lassen, nur so viel sagt er. Die Lohnerhöhungen vom vergangenen Jahr führt er auf die Präsenz der Gewerkschaft im Betrieb zurück. »Die Mitgliederzahl, die unsere Durchsetzungsfähigkeit im Betrieb anzeigt, geht vor allem den Arbeitgeber nichts an. Doch gegenwärtig liegen wir zumindest über den Zielen, die wir uns bei unserer Projektplanung selbst gesteckt hatten«, sagt Bezirksleiter Schulze.

Positiv denken

Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaft im Bezirk sind seit Jahren rückläufig. Mit 142 500 hatte die Gewerkschaft am Ende des vergangenen Jahres 1,6 Prozent weniger Mitglieder als noch 2023. Schulze deutet die Entwicklung dennoch positiv: Die betrieblichen Mitglieder habe man etwa halten können, außerdem seien die Rahmenbedingungen mit Blick auf Demografie und Stellenbau kompliziert.

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Ein wichtiger großer Player in der Region ist Alstom. Der französische Zugbauer hat in den vergangenen Jahren die Produktion zunehmend von Deutschland nach Polen verlagert und das, obwohl in einem Zukunftstarifvertrag die Auslastung der Werke vereinbart wurde. Es sei absurd, sagt Gewerkschafter Schulze, dass das Unternehmen die Zukunftsbranche hierzulande kaputtspare. Die mögliche Übernahme des Standorts Görlitz durch das Rüstungsunternehmen KNDS begrüßte Schulze unter Verweis auf den Erhalt tariflich gebundener Arbeitsplätze.

Probleme wie im Westen

Im sächsischen Zwickau konnte bei der Betriebsratswahl am VW-Standort eine Liste mit AfD-Politikern ihre Sitze verdoppeln. Schulze erklärt, dass die IG Metall die Wahl mit 88,5 Prozent deutlich gewonnen habe. »Wir werden im Betrieb weiter deutlich machen, wer tatsächlich die Interessen der Arbeitnehmer*innen vertritt«, sagt Schulze.

Auch wenn Zwickau die Produktion seiner VW-Modelle nach der jüngsten Tarifvereinigung an andere Standorte abgeben wird, sieht Schulze den Osten nicht generell im Hintertreffen. Schließlich hätten zuvor mehrheitlich Oststandorte zur Debatte gestanden, die man alle hätte retten können. Und selbst am Hauptstandort Wolfsburg stehe die Verlagerung der Produktion des Brot-und-Butter-Autos Golf nach Mexiko bevor.

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