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Stadtquartiere in Berlin: Bauen irgendwann, vielleicht
Der Berliner Senat ist heillos überfordert von den Plänen für neue Stadtquartiere
Das wird wieder so ein komplizierter Fall«, prophezeit Matthias Grünzig. Es geht um das »Dreieck Späthsfelde« genannte Gebiet im Westen des Ortsteils Baumschulenweg. Mindestens 2000 Wohnungen sollen hier entstehen. Die Stadtentwicklungsverwaltung hat am Donnerstagabend in ein Kunststoff-Gewächshaus in den Späth’schen Baumschulen geladen. Es ist der Auftakt der Öffentlichkeitsbeteiligung für die Planungen eines neuen Stadtquartiers zwischen der Autobahn A113 und der Königsheide.
Das Interesse ist groß. Mindestens 250 Menschen sind gekommen. An den Plastikbahnen des Gewächshauszelts sammelt sich das Kondenswasser. Doch konkrete Pläne bekommen die Interessierten nicht präsentiert.
Noch steht das Projekt ganz am Anfang, gerade laufen die vorbereitenden Untersuchungen wie vorgeschrieben. Ende 2027 soll das finale Struktur- und Nutzungskonzept vorliegen. Wenn der Senat sich dann entschließt, das Stadtquartier tatsächlich umsetzen zu wollen, beginnt die umfangreiche konkrete Planungsarbeit. Matthias Grünzig lacht nur trocken, als er auf einen ins Auge gefassten Baubeginn 2035 angesprochen wird. »Das dürfte kaum zu schaffen sein. Allein die Eigentumsverhältnisse sind schon eine Riesenhürde«, sagt er zu »nd«. Denn die Flächen gehören sehr vielen Einzeleigentümern.
Systematische Probleme
24 neue Stadtquartiere mit insgesamt rund 70 000 Wohnungen sollen es berlinweit mal werden. Einige wenige sind bereits fertig, etwa 8000 Wohneinheiten schon bezogen. Der Bau- und Stadtplanungsexperte Matthias Grünzig hat sich in der aktuellen Ausgabe des Journals der Hermann-Henselmann-Stiftung, die sich der Architektur und Stadtplanung in Berlin widmet, intensiv mit den Problemen bei der Realisierung der neuen Stadtquartiere beschäftigt. Denn die Realisierung vieler Stadtquartiere hängt schon Jahre hinter dem Zeitplan. Die Probleme sind systematisch.
Kern des Übels ist demnach der Berliner Zick-Zack-Kurs. Ende der 90er Jahre wurden die Planungsaktivitäten für weiteren Wohnungsbau praktisch eingestellt – und erst 2011 langsam wieder aufgenommen. Die Landespolitik hatte sich da schon vier Jahre Zeit gelassen, nachdem 2007 erstmals nach Jahren wieder ein Bevölkerungszuwachs registriert worden war. »Stadtplanung ist ein langfristiger Prozess, die Planung und Realisierung neuer Stadtquartiere dauert oft Jahrzehnte. Folgerichtig muss der Wohnungsbau über lange Zeit kontinuierlich geplant werden«, unterstreicht Grünzig.
»Die Stadtquartiere sind eine politische Parole, aber nicht wirklich ein gemeinsames politisches Projekt des Senats.«
Katrin Lompscher (Linke)
Ex-Bausenatorin
»Die Stadtquartiere sind eine politische Parole, aber nicht wirklich ein gemeinsames politisches Projekt des Senats«, sagt Katrin Lompscher zu »nd«. Von Dezember 2016 bis August 2020 war die Linke-Politikerin Berliner Stadtentwicklungssenatorin, inzwischen ist sie Vorstandsvorsitzende der Henselmann-Stiftung. Intensiv hatte sie das selbst erlebt beim Blankenburger Süden. Ursprünglich war ein Baubeginn für dieses Jahr angekündigt.
Besonders misslich sei die »eigene Agenda der Verkehrsverwaltung«, so Lompscher. Die nötige leistungsfähige Verkehrserschließung sei nicht nur dort nicht mit der nötigen Priorität vorangetrieben worden. Im Blankenburger Süden geht es konkret um die Verlängerung der Straßenbahnlinie M2 von Heinersdorf dorthin sowie um Straßenausbauten.
Überlastete Verkehrswege
Zugespitzt formuliert habe man immer noch die Verkehrsinfrastruktur aus der Weimarer Republik. »Das betrifft die S-Bahn, die Bahn und die Straßenbahn im Wesentlichen, aber auch den Straßenverkehr«, formulierte es der Pankower Stadtentwicklungsstadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) im Sommer in einer Anhörung des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus. Um Bebauungspläne auch rechtssicher festsetzen zu können, sei eine Erschließung von außen nötig. »Die muss bei dem Straßenverkehrssystem, das jetzt schon an der Kapazitätsgrenze ist, durch den öffentlichen Verkehr erfolgen«, so Bechtler.
Zwingend sei aber auch der Bau der Verkehrslösung Heinersdorf – zusätzliche Hauptstraßen als »Scharnier« im »langen Siedlungsband, das entsteht, wo möglicherweise dann 60 000, 70 000 oder 80 000 zusätzliche Menschen wohnen werden«. Ohne diese Verkehrslösung »können auch alle anderen großen Stadtquartiere nicht kommen«, unterstreicht Bechtler.
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»Angesichts der Ressourcenknappheit fehlt es auch an der Priorisierung einzelner Vorhaben«, sagt Lompscher. Ein Punkt, den auch der Pankower Stadtrat Bechtler im Ausschuss deutlich hervorhob. »Wir brauchen die Arbeitsfähigkeit der planenden Ämter. Das ist nicht nur einfach, dass wir sagen, wir brauchen mehr Personal. Die bestehenden Personalstellen sind nicht besetzt«, sagte er. Im Umwelt- und Naturschutzamt gebe es nur eine für die Landschaftsplanung zuständige Mitarbeiterin. »Wenn die weg ist, ist da niemand, der irgendwas genehmigen kann.«
Das Problem der Berliner Landespolitik für die nächsten Jahre: Bis jetzt sind die Stadtquartiere realisiert worden, die wegen vorhandener Verkehrserschließung leicht umzusetzen waren.
Tramstopp verschärft Probleme
Der Koalitionswechsel der SPD zur CDU hat die Realisierung nicht einfacher gemacht. Die Planungen für die Straßenbahn in den Blankenburger Süden wurden zunächst von der damaligen CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner eingefroren, dann wurde die Strecke verkürzt, was weitere Untersuchungen nach sich zog. Baubeginn soll jetzt 2030 sein. Die Straßenplanungen stehen noch aus. Stattdessen verwendet die CDU Ressourcen für immer neue U-Bahn-Planungen mit äußerst vagen Realisierungsaussichten und extrem langen Realisierungshorizonten. Dass auch die Planung für den Radschnellweg Richtung Pankow von der nun amtierenden Senatorin Ute Bonde (CDU) eingefroren worden ist, könnte sich auch als Bumerang für den Wohnungsbau erweisen.
Regelmäßig unterschätzt werden auch die Arten- und Naturschutzanforderungen bei den Planungen. Anstatt sie gleich in frühen Phasen zu berücksichtigen, wird erst nachträglich versucht, sie irgendwie unter einen Hut mit dem Bauvorhaben zu bringen. Paradebeispiel ist hier das Pankower Tor, dessen Kreuzkrötenpopulation lange bekannt war, die Tragweite aber offensichtlich ignoriert worden ist. Da hilft es auch nur bedingt, wenn Senat und Bezirk in diesem Fall gut zusammenarbeiten.
Der ab 2011 neu entfachte Planungseifer traf auf eine drastisch unterbesetzte Verwaltung. Die Abteilung Tiefbau der Verkehrsverwaltung hatte 2002 noch über 494 Beschäftigte. 2015 waren es nur noch 237. Doch während die Bauverwaltung allein von 2017 bis 2020 ihren Personalbestand um über ein Fünftel auf 912 Köpfe ausweiten konnte, stagnierte die Tiefbau-Abteilung bei rund 250 Beschäftigten.
Ohne Personal keine Planung
Dramatisch ist auch die Personallage in den Bezirken. In Spandau beispielsweise waren im Jahr 2022 sechs Beschäftigte für die Bearbeitung von 140 Bebauungsplänen zuständig. Bei der Senatsbauverwaltung waren es 45 Beschäftigte für 63 B-Pläne.
Dass es nur zäh vorangeht mit den Stadtquartieren, schlägt sich auch im Haushalt nieder. Im Doppelhaushalt 2022/2023 war noch das Ziel formuliert, bis 2030 in den Neubaugebieten 51 000 Wohnungen bauen zu wollen. Im laufenden Doppelhaushalt wird keine konkrete Zahl mehr genannt. Für den Blankenburger Süden und den Güterbahnhof Köpenick wurden zuletzt auch erhebliche Mittel aus dem Haushalt gestrichen. Schlicht, weil sie wegen mangelnden Fortschritts noch nicht benötigt werden.
Grünzig kritisiert auch, das in so einer Situation erhebliche Ressourcen in Projekte gesteckt worden sind, deren Erfolg von Anfang an fragwürdig war. So wie die Neue Mitte Tempelhof, wo die vergleichsweise überschaubare Anzahl von 500 neuen Wohnungen entstehen soll. »Dieses Quartier war nur dann realisierbar, weil zuvor ein Stadtbad, eine Bibliothek und ein Polizeirevier abgerissen und anschließend neu gebaut wurden«, so Grünzig. In der Zuständigkeit des Bezirks Pankow gehört das von aufwändigen Straßenumbauten abhängige Stadtquartier Michelangelostraße in diese Reihe. Dafür fehlten jedoch »schlicht die Planungskapazitäten«. Auch Späthsfelde könnte so ein Fall sein.
Alte Fehler werden wiederholt
»Gleichzeitig werden Fehler der Vergangenheit wiederholt«, konstatiert Grünzig. Zum Beispiel mit der äußerst komplexen Gemengelage für das neue Stadtquartier Stadteingang West, das sich vom Westkreuz bis zum S-Bahnhof Grunewald ziehen soll. »Auch die 2023 begonnene Planung für eine Teilbebauung des Tempelhofer Feldes dürfte zu erheblichen Konflikten führen«, sagt er. Die Koalition aus CDU und SPD verzettelt sich mit weiteren Projekten, die die Verwaltung überfordern und wertvolle Planungs- und Finanzkapazitäten von jenen Vorhaben abziehen, in die schon viel investiert worden ist.
Insofern bleibt auch abzuwarten, ob, wie von Bausenator Christian Gaebler (SPD) angekündigt, zum Beispiel für die Elisabeth-Aue oder das Quartier Buch-Am Sandhaus tatsächlich 2026 erste Baurechte vorliegen werden.
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