Horst Köhler: Ein ehrlicher Konservativer

Alt-Bundespräsident im Alter von 81 Jahren verstorben

Eine eigenständige Entwicklung des afrikanischen Kontinents lag dem früheren Chef des Internationalen Währungsfonds besonders am Herzen - hier ist Horst Köhler bei der Eröffnung einer Schule in Dim Dim in Äthiopien im Jahr 2011 zu sehen.
Eine eigenständige Entwicklung des afrikanischen Kontinents lag dem früheren Chef des Internationalen Währungsfonds besonders am Herzen - hier ist Horst Köhler bei der Eröffnung einer Schule in Dim Dim in Äthiopien im Jahr 2011 zu sehen.

Der frühere Bundespräsident Horst Köhler ist tot. Er starb am frühen Morgen des 1. Februar 2025 im Alter von 81 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit, wie das Bundespräsidialamt in Berlin mitteilte.

Köhler war am 23. Mai 2004 zum Staatsoberhaupt gewählt und fünf Jahre später im Amt bestätigt worden. Mit ihm übernahm jemand das höchste Amt im Staat, der nicht Politiker war. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler kam aus kleinen Verhältnissen. Er wurdes als siebtes von acht Kindern einer bessarabiendeutschen Bauernfamilie in dem polnischen Dorf Skierbieszów in der heutigen Woiwodschaft Lublin geboren. Nach der Vertreibung der Deutschen aus dem Gebiet 1945 landete die Familie zunächst in der sowjetischen Besatzungszone und siedelte 1953 von der DDR in die Bundesrepublik über, wo sie im schwäbischen Backnang heimisch wurde. In einem Interview im Jahr 20027 betonte Köhler, er fühle sich nicht als »Vertriebener«.

1976 begann er eine Beamtenlaufbahn im Bundeswirtschaftsministerium und wurde 1990 nach verschiedenen anderen Stationen Staatssekretär im damals von Theo Waigel (CSU) geführten Bundesfinanzministerium. Er war unter anderem deutscher Chefunterhändler für den Maastricht-Vertrag über die Europäische Währungsunion.

1993 wechselte er in die Finanzwelt, zunächst als Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, dann als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London. 2000 wurde er Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Rücktritt ein Jahr nach der Wiederwahl

2004 wurde Köhler als Nachfolger von Johannes Rau neunter Bundespräsident. 2009 wählte ihn die Bundesversammlung erneut. Sein Rücktritt mit sofortiger Wirkung nur ein Jahr später war einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik.

Auslöser war ein Interview im Deutschlandradio Kultur, das Köhler auf dem Rückflug nach einem Besuch deutscher Soldaten im afghanischen Masar-i-Scharif gegeben hatte. Darin begründete er Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen. Kritiker warfen ihm vor, er habe so auch den Afghanistan-Einsatz gerechtfertigt, was Köhler dementierte. Er sah durch die Kritik sein Amt irreparabel beschädigt und zog die Konsequenzen.

Ähnliche Äußerungen haben Vertreter verschiedener BUndesregierungen, so auch der amtierenden regelmäßig und selbstverständlich getätigt, so Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte Köhler in einem Statement auf der Plattform X als »einen engagierten Politiker, der sich Zeit seines Lebens für eine gerechtere Welt eingesetzt hat«. CDU-Chef Friedrich Merz sagte, Deutschland verliere einen »klugen Kopf, einen aufrichtigen Demokraten und einen Staatsmann, der unser Land geprägt hat«. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte Köhlers »optimistische und unerschrockene Herangehensweise«, die ihr häufig dabei geholfen habe, Lösungen auch für schwierige Probleme zu finden.

Nahbarkeit und Dialog seien Köhler zentrale Anliege gewesen, teilte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in einem Kondolenzschreiben mit. »Wer mit ihm sprach, spürte, dass er es ernst damit meinte.« Zugleich würdigte sie sein Engagement gegen den Klimawandel und in Afrika.

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Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hob die Bürgernähe Köhlers und sein feines Gespür für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger hervor. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nannte Köhlers »Einsatz für soziale Gerechtigkeit und internationale Verantwortung auch über sein Amt hinaus – insbesondere für Afrika und eine gerechte Weltwirtschaft« sein Vermächtnis.

Innenpolitisch sorgte Köhler immer wieder für Überraschungen – und für Unmut im Regierungslager. So weigerte er sich 2006, erst das Gesetz zur Privatisierung der Luftraumüberwachung und später das Verbraucherschutzgesetz zu unterzeichnen. Verfassungsrechtlich heikel war die Entscheidung 2005, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Zuvor hatte Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestag die Vertrauensfrage mit dem Ziel gestellt, diese zu verlieren.

Afrika als große Leidenschaft

Auf internationaler Ebene befasste sich Köhler vor allem mit Afrika, schon als IWF-Chef und noch mehr anschließend als Bundespräsident. Beharrlich warb er für eine gleichberechtigte Partnerschaft mit dem Nachbarkontinent. Diesem Engagement blieb er auch nach seinem Ausscheiden aus dem höchsten Staatsamt treu, unter anderem als UN-Sonderbeauftragter für den Westsahara-Konflikt von 2017 bis 2019.

Bundespräsident Steinmeier hob Köhlers Eintreten für einen fairen Umgang mit Afrika hervor in einem Kondolenzschreiben hervor. Sein Amtsvorgänger sei zutiefst davon überzeugt gewesen, dass Europa seine kolonialen Denkmuster ablegen und die afrikanischen Länder als gleichberechtigte Partner behandeln müsse. »Damit war er der Zeit weit voraus.«

Zu aktuellen innenpolitischen Fragen äußerte sich Köhler nach seinem Rücktritt so gut wie nicht mehr. Dass ihm der Klimaschutz ein wichtiges Anliegen war, zeigte er 2021, als er die Schirmherrschaft für den ersten bundesweiten Bürgerrat für Klimapolitik übernahm mit dpa

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