Werbung
- Anzeige -

Drei Untergetauchte werden noch gesucht

Antifa-Aktion in Budapest beschäftigt diesen Monat mehrere europäische Gerichte

Spontane Solidaritätsaktion für die Untergetauchten und Verhafteten im Budapest-Komplex am Samstag in Berlin-Kreuzberg.
Spontane Solidaritätsaktion für die Untergetauchten und Verhafteten im Budapest-Komplex am Samstag in Berlin-Kreuzberg.

Kommenden Sonntag findet in Budapest wieder der »Tag der Ehre« statt: Eine jährliche Veranstaltung mit Rechtsrock-Konzerten und nationalistischen Kundgebungen, die seit 1997 Zehntausender Wehrmachtssoldaten, SS-Angehöriger und ungarischer Soldaten gedenkt, die 1944 aus der Einkesselung durch die Rote Armee entkommen wollten und dabei aufgerieben wurden. Es ist das wohl größte Vernetzungstreffen der europäischen Neonazi-Szene. Höhepunkt ist eine 60 Kilometer lange Nachtwanderung; Hunderte Neonazis, insbesondere aus Deutschland, nehmen daran in historischen Uniformen oder Szene-Kleidung teil. Zur »Traditionspflege« werden – trotz offizieller Verbote – Hakenkreuzfahnen, CDs und NS-Devotionalien gezeigt und verkauft.

Im Februar 2023 haben Antifas tatsächliche oder vermeintliche Teilnehmer des »Tages der Ehre« verprügelt und dabei laut der Budapester Polizei auch Schlagwerkzeuge benutzt. Demnach wurden neun Personen verletzt, vier davon schwer. Die ungarischen Ermittlungen führten zur Identifizierung von 18 Tatverdächtigen, die teilweise auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden. Die Staatsanwaltschaften werfen den Beschuldigten die Bildung einer kriminellen Vereinigung und die gemeinschaftliche begangene, gefährliche Körperverletzung vor.

Drei von ihnen wurden unmittelbar nach den Vorfällen in Budapest verhaftet, im Fall von Tobias E. auch schon ein Urteil gesprochen – nach seiner Entlassung sitzt er aber nun in deutscher Untersuchungshaft. Gegen die Deutsche Anna M. und die Italienerin Ilaria Salis, inzwischen Europaabgeordnete und deshalb wohl bekannteste der Angeklagten im sogenannten Budapest-Komplex, wird weiter verhandelt. Ihr Verfahren wurde allerdings vorläufig ausgesetzt, Ungarn hat die Aufhebung ihrer Immunität beantragt.

Im Sommer wurde Maja T. unter juristisch umstrittenen Vorzeichen von Dresden nach Budapest überstellt – gegen einen entsprechenden Beschluss des Berliner Kammergerichts haben deren Anwälte Verfassungsbeschwerde eingelegt, wozu an diesem Donnerstag ein Urteil verkündet wird.

Majas Prozess in Budapest startet am 21. Februar mit einer Anhörung, in der die Behörden ein Angebot für ein Geständnis und anschließendes Schnellverfahren unterbreiten – dafür bieten Staatsanwaltschaft und Gericht einen Strafnachlass auf acht Jahre. Nach dieser ersten Anhörung wird auch über eine mögliche Zusammenlegung mit dem bereits laufenden Strafverfahren entschieden.

Nicht nach Budapest ausgeliefert wird die in Nürnberg in U-Haft sitzende Hanna S., gegen die am 19. Februar ein Prozess wegen der in Ungarn begangenen Taten vor dem Oberlandesgericht in München beginnen soll, angesetzt sind dafür 24 Prozesstage.

Nach einem EU-Haftbefehl aus Budapest zeitweise festgenommen wurde auch Gabriele Marchesi in Mailand, mit Verweis auf die Haftbedingungen in Ungarn verweigerte der zuständige Staatsanwalt aber die Auslieferung – gegen ihn wird nun in Abwesenheit verhandelt.

Auf eine solche Entscheidung wartet derzeit auch der als »Gino« bezeichnete Albaner, der lange in Italien gelebt hat und in Paris festgenommen wurde. Die französische Justiz hat aus Ungarn nähere Informationen zu der bevorstehenden Anklage verlangt, diese Frist von 15 Tagen läuft diese Woche ab, am 12. Februar soll es eine weitere Anhörung geben.

Vor zwei Wochen haben sich sechs gesuchte deutsche Staatsangehörige den Behörden gestellt, nach einem Haftbefehl des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof (BGH) sitzen sie nun in unterschiedlichen Gefängnissen und warten auf eine Entscheidung über die Auslieferung – oder einen Prozess in Deutschland, wie sie es mit ihrer Stellung und auch schon zuvor gefordert hatten.

Ebenfalls auf Geheiß Ungarns in U-Haft sitzt der von Deutschland als Flüchtling anerkannte Syrer Zaid A., gegen den bislang kein deutscher Haftbefehl vorliegt, dessen Überstellung also droht. Seine Anwältin sieht genauso wie Rechtsexperten rechtliche Hindernisse bei der Strafverfolgung in Ungarn, insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeit und Anwendbarkeit deutschen Strafrechts. Denn die angebliche kriminelle Vereinigung, wegen deren Bildung die Antifas beschuldigt werden, soll in Deutschland gegründet worden sein. Der italienische Staatsanwalt Cuno Tarfusser kritisiert außerdem das Missverhältnis zwischen Tat und angedrohter Strafe sowie Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens: In Ungarn drohen den Angeklagten bis zu 24 Jahren Haft.

Zu dem Budapest-Komplex kann auch die Festnahme von Johann G. gezählt werden, den die Behörden als Vertrauten von Lina E. bezeichnen – sie wurde im sogenannten Antifa-Ost-Prozess mit zwei anderen Personen zum Mastermind einer kriminellen Vereinigung erklärt, am Donnerstag läuft dazu vor dem BGH in Karlsruhe ihr Revisionsverfahren. G. wird wegen angeblich in Ungarn begangener Taten – jedenfalls zunächst – nicht dorthin überstellt; gegen ihn soll auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Thüringen wegen Straftaten in Deutschland verhandelt werden.

Vor einer Woche hat die Polizei in Budapest über ihre Vorbereitungen zum kommenden »Tag der Ehre« informiert und betont, sowohl die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten als auch das als »friedlich« bezeichnete Versammlungsrecht der Neonazis zu schützen. Wie jedes Jahr gibt es auch diesmal wieder Gegenproteste, organisiert vor allem von Antifa-Vereinigungen aus Österreich und Deutschland.

Bei der Pressekonferenz am vergangenen Montag gab die ungarische Staatsanwaltschaft auch Hinweise zu den Ermittlungsverfahren im »Budapest-Komplex«. Zwei namentlich genannte, untergetauchte Tatverdächtige aus Deutschland sowie einer aus Italien werden demnach noch aus Ungarn gesucht.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.