- Berlin
- Landwirtschaft
Bauernerklärerin Juli Zeh hört zu
Schriftstellerin gilt den Landwirten nach ihren Protesten als Engel
Der Spandauer Forst ist nur einen Kilometer entfernt und liegt bereits auf Berliner Territorium. Doch obwohl die Entfernung zu Bundestag und Kanzleramt nicht allzu groß ist: Schönwalde/Glien im Havelland – das ist eine andere Welt. Im zünftigen Dorfgasthof »Schwanenkrug« treffen sich am Mittwoch die Freien Bauern von Brandenburg zu ihrer Hauptversammlung. Zum Frühstück gibt es Wurst, Kartoffelsalat und belegte Brötchen. Eine Blaskapelle spielt die halboffizielle Landeshymne. Die Landwirte erheben sich und singen »Steige hoch, du roter Adler« und »Heil dir, mein Brandenburger Land«.
Begeistert gesungen hat dies einst die SA, wenn sie durch märkische Heide und märkischen Sand marschierte, die in diesem Liedchen gerühmt werden. Darauf war der Komponist Gustav Büchsenschütz in der Nazizeit noch stolz. In den 90er Jahren war das verdrängt und vergessen, als Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) diese Hymne populär machte.
Nun filmt im Gasthaus »Schwanenkrug« ein Kameramann des Senders RBB eine Frau in der ersten Reihe. Sie singt verhalten mit, ist keine Landwirtin, lebt aber in Brandenburg unter Bauern. Es ist die Schriftstellerin Juli Zeh, die im vergangenen Jahr zeitweise als die »offizielle Bauernerklärerin« galt, wie sie hier bekennt. Immer wieder wurde sie in Fernsehsendungen eingeladen, um zu berichten, woher der Frust komme, der vor einem Jahr in wütende Bauernproteste mündete. Denn die Streichung der Subventionen für den Agrardiesel war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Juli Zeh kann von den Sorgen ihrer Nachbarn erzählen. Sie tut es in ihren Romanen und auch in Fernsehsendungen. Sie würde es aber besser finden, wenn im Fernsehen die Bauern selbst zu Wort kämen. Sie erwägt, eine Podcast-Serie mit einem Schafzüchter zu machen, damit endlich die Betroffenen angehört werden. »Wenn die Medien ihren Job nicht machen, wie sollen wir dann ins Gespräch kommen? Wir können uns ja nicht alle anrufen«, beklagt die Schriftstellerin, die eine Spaltung von Stadt und Land wahrnimmt.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
In Schönwalde/Glien hört sie den Bauern so geduldig zu, wie es geht. Sie würde sich trotz eines weiteren Termins auch noch ein paar Minuten mehr Zeit dafür nehmen. Doch um 11.15 Uhr soll die Blaskapelle wieder aufspielen und der nächste Programmpunkt drankommen. Bis dahin sitzt Juli Zeh aber noch auf der Bühne – in einem altmodischen Plüschsessel, aber trotzdem so elegant und lässig wie eine Frau von Welt auf einem modernen Designerstuhl. Dabei wirkt und spricht sie so natürlich, dass sie die Herzen der Bauern im Sturm erobern würde, wenn sie sie nicht schon längst gewonnen hätte. Denn nicht wenige hier im Saal haben ihre Romane gelesen und lassen sich die Bücher signieren.
Wer sich nicht für Literatur interessiert, hat wenigstens mitbekommen, wie vor einem Jahr angesichts der Straßenblockaden mit Traktoren von »rechten Bauern« und einem »radikalen Rand« die Rede gewesen sei, »nur weil wir nicht brav nach Hause gefahren sind«, erinnert sich Rinderzüchter Reinhard Jung. Da sei Juli Zeh »wie ein Engel« erschienen und habe die Demonstrationen die »Ursuppe der Demokratie« genannt und gemahnt, dies nicht abzuqualifizieren und abzuwürgen.
Darum haben die Freien Bauern die Künstlerin eingeladen, obwohl sie bei ihren Versammlungen bisher nur Politiker zu Gast hatten wie Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), die Bundestagsabgeordnete Amira Mohamed Ali (BSW) und den gewesenen Brandenburger Agrarminister Axel Vogel (Grüne). Früher sei die CDU agrarpolitisch »eine sichere Bank« gewesen, aber das habe mit Julia Klöckner als Bundeslandwirtschaftsministerin aufgehört, beklagt Biobauer Jung, der mit Juli Zeh auf der Bühne sitzt. Mit den Grünen, bei denen Jung selbst mal gewesen ist, habe man immerhin etwas für die kleinen Höfe machen können. Doch die CDU sei grün geworden und die Grünen hätten sich den großen Agrarkonzernen unterworfen. Nur noch AfD, BSW und Freie Wähler würden vernünftige Vorschläge aufgreifen.
Reinhard Jung hat gelesen, dass Juli Zeh als Botschafterin des Tierschutzvereins »Vier Pfoten« aktiv war. Sie hatte sich um Straßenhunde in Rumänien und Bulgarien gekümmert. Mit Tierschützern machte Reinhard Jung keine guten Erfahrungen. Wenn er ihnen erkläre, dass Landwirtschaft ohne Nutztiere undenkbar sei, stoße er bei denen auf Unverständnis, erzählt Jung. Er winkt ab: »Irgendwann gibt es eine Hungersnot. Dann werden sie es schon lernen.«
»Wenn ich nur in Organisationen wäre, an denen ich alles gut finde, dann könnte ich in keiner Organisation sein, insbesondere nicht in meiner Partei – der SPD.«
Juli Zeh Schriftstellerin
Jung möchte Juli Zeh abwerben als Botschafterin der Bauern. Die Schriftstellerin lässt keinen Zweifel, auf der Seite der Bauern zu stehen, und sagt zu ihrer Unterstützung von »Vier Pfoten« und dergleichen: »Wenn ich nur in Organisationen wäre, an denen ich alles gut finde, dann könnte ich in keiner Organisation sein, insbesondere nicht in meiner Partei – der SPD.«
»Es ist unglaublich schwierig geworden, sachlich zu diskutieren«, bedauert die 50-Jährige. Sie beklagt sich über eine »Moralisierung von Politik« und rät den Landwirten, trotz aller Verbitterung auf die Beleidigung »Scheißbauer« nicht mit »scheißrotes Arschloch« zu antworten. Stattdessen solle man immer wieder protestieren. Steter Tropfen höhle den Stein. »Mich wundert es manchmal, wie viel die Leute sich gefallen lassen.«
Was die Proteste vor einem Jahr gebracht haben, wenn praktisch keine Forderung erfüllt wurde? Immerhin sind die Traktoren in den Städten gesehen worden und am Straßenrand standen freundlich winkende Passanten. Über diese Solidarität hat sich Zeh gefreut.
Die Freien Bauern sind aus dem christlich-konservativen Bauernbund hervorgegangen. Man könnte sie auch die kleinen Bauern nennen, weil bei ihnen vornehmlich traditionelle Bauernhöfe organisiert sind. Im Bauernverband sind dagegen auch die Agrargesellschaften und die Genossenschaften zu finden. Bundesvizesprecher der Freien Bauern ist Marco Hintze aus Krielow im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Für Hintze haben die Proteste immerhin eins bewirkt: »Die Grünen sind aus dem Landtag schon mal raus.« Jetzt habe Brandenburg mit Hanka Mittelstädt (SPD) eine Agrarministerin, die ihr Fach versteht. Am 23. Februar ist nun Bundestagswahl. Hintze hofft, »dass eine Neuwahl eine neue Richtung bringt«.
Die Freien Bauern luden Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Fraktionen ein. Gekommen sind nur Lars Hünich und Fabian Jank von der AfD. Hünich behauptet: »Alles, was Juli Zeh erzählt hat, war AfD.«
Es sei falsch zu glauben, alle AfD-Wähler seien Fremdenfeinde, sagt Zeh. Die hohe Zustimmung für diese Partei sieht sie als »Weckruf«, der nach ihrer Einschätzung langsam durchdringt – auch wenn der Wecker offenbar immer zehn Jahre lang klingeln müsse, ehe ihn die Politik hört.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.