- Wirtschaft und Umwelt
- Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
Die gewerbliche Wirtschaft in einer Kennziffer
Das Statistische Bundesamt hat einen neuen Konjunkturindikator im Angebot
Die deutsche Volkswirtschaft dürfte weiter schwächeln. Wenn sich die Vorhersagen einiger Konjunkturforscher bewahrheiten, droht sogar ein drittes Stagnationsjahr. So rechnet das Institut für Weltwirtschaft damit, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2025 weder wächst noch schrumpft. Im Herbst hatten die Kieler für 2025 noch mit einem Wachstum von 0,5 Prozent gerechnet, im Frühjahr waren es sogar 1,2 Prozent. Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hat seine Prognose gestutzt und erwartet nun eine Schrumpfung um 0,2 Prozent.
Etwas optimistischer kommt das eher linke, nachfrageorientierte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin daher: Es rechnet mit einem minimalen Wachstum von 0,2 Prozent. Das Ifo-Institut in München wie auch das Institut für Wirtschaftsforschung Halle rechnen mit plus 0,4 Prozent. Die Wirtschaftsleistung, also das Bruttoinlandsprodukt, könnte aber auch um bis zu 1,1 Prozent wachsen, wenn die neue Bundesregierung die aus Sicht des Ifo richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergreife.
Überblick über wirtschaftliche Dynamik
Solche Einschätzungen, an denen sich Politik, Medien und Konzerne orientieren, basieren zu einem guten Maß auf Daten und Indizes des Statistischen Bundesamtes (Destatis) in Wiesbaden. Die Konjunkturforscher wie auch die Analysten von Banken, Sparkassen oder des staatlichen Förderinstituts KfW können seit dieser Woche auf ein neues Destatis-Angebot zugreifen, den »Produktionsindex für die Gesamtwirtschaft«.
Dieser deckt erstmals den größten Teil der gewerblichen Wirtschaft ab: Industrie, Baugewerbe, Handel und Dienstleistungen. Für diese gab es bislang jeweils einzelne Veröffentlichungen. Unberücksichtigt bleiben öffentliche Verwaltung, Bildung und Finanzwirtschaft. Mit einem Anteil von rund 71 Prozent an der gesamten Bruttowertschöpfung biete der Index »einen Überblick über die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland«, lobt Maria Bolz im Wissenschaftsmagazin von Destatis das neue Instrument.
Die Wiesbadener Statistiker haben zurückgerechnet bis zum Jahr 2015. Damit verdeutlicht der Index nicht allein konjunkturelle, sondern auch strukturelle Veränderungen. So hat das Gewicht der Dienstleistungen seit der Coronakrise deutlich zugelegt, während die anderen Bereiche an Bedeutung verloren haben. Das gilt insbesondere für einen Wirtschaftszweig: Gegenüber 2021 hat die Industrie, also der harte Kern der exportorientierten deutschen Wirtschaft, rund 10 Prozent auf 90 Punkte verloren. Dabei ist hier weniger die absolute Zahl von Bedeutung als der Trend, und der zielt nach unten.
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Während die Forschungsinstitute üblicherweise halbjärhlich im Frühjahr und Herbst ihre Analysen vorlegen und auch Destatis nur vierteljährlich das BIP berechnet, sind die amtlichen Statistiker nun detaillierter und schneller. Monat für Monat können sie für den volkswirtschaftlichen Produktionsindex auf vergleichsweise frische Daten zugreifen.
Unterdurchschnittlich in der EU
Destatis orientiert sich mit seinem neuen, aufwendig zu erstellenden Index an den Kollegen von Eurostat – das Statistische Amt der Europäischen Union berechnet ebenfalls eine Kennziffer für die Produktion der Gesamtwirtschaft. Der »Total Market Production Index« gibt jeden Monat einen ersten Eindruck von der Entwicklung der EU-Wirtschaft. Die Methodik ist identisch mit der von Destatis, womit beide Indizes nun direkt vergleichbar sind.
Auch in diesem Vergleich schneidet die Bundesrepublik schlecht ab. Die Produktion in Deutschland war danach am Jahresende 2024 niedriger als im Vor-Corona-Jahr 2019, während der Euroraum ein deutliches Plus verbuchte. Mittelfristig, seit 2015, legte der Produktionsindex der EU um 14 Prozent zu, jener der Eurozone um 12 Prozent, während der deutsche Produktionsindex um 6 Prozent wuchs. Ein Indiz dafür, dass das unterdurchschnittliche Wachstum bereits in der Ära Merkel eingesetzt hatte. Und der mittelfristige Trend dürfte weniger eine Folge wirtschaftspolitischer Maßnahmen sein als ein Ergebnis der sich verändernden kapitalistischen Weltlage. Hohe Energiepreise, schwächelnde Nachfrage aus China und die Verlagerung des Schwerpunkts der Weltwirtschaft nach Südostasien belasten besonders deutsche Exportfirmen.
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