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Wie viel Urbild steckt im Abbild?

Special: Mit »Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes« feiert Edgar Reitz die Kraft des Denkens

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
»Wer kein Gesicht hat, ist nicht geboren, ist eine schlafende Monade in Gott.«
»Wer kein Gesicht hat, ist nicht geboren, ist eine schlafende Monade in Gott.«

Wie malt man einen Denker? »Nicht denken!«, sagt der französische Hofmaler, den Lars Eidinger als einen von innen und außen parfümierten Routinier gibt. Er hat die immer gleichen Ratschläge an alle, die er porträtiert, parat. Denken macht hässlich, ruiniert den vornehmen Ausdruck! Am besten sei es, möglichst ausdruckslos zu schauen. Angesichts von Leere könne auch niemand etwas Unangebrachtes unterstellen. Wenn man dagegen auf dem Gemälde etwa lächele, würde man sich unweigerlich fragen, worüber? Und schon bekomme man Probleme. So die kurze Intrigenkunde in der Malerei.

Der Hofmaler platziert seine Modelle bevorzugt auf einem Podest, hat vorgefertigte Hintergründe zur Auswahl, auf denen bereits kostbare Gewänder und Perücken zu sehen sind. Nur eine Kleinigkeit fehlt noch: das Gesicht. Offensichtlich das, worauf es hier am wenigsten ankommt. Denn auch der Bettler hat ein Gesicht, aber solch kostbare Garderobe wie die hier aus Brokat und Seide haben nur die Herren im Lande.

Gottfried Wilhelm Leibniz, der Philosoph, schaut irritiert auf die weiße Fläche, in die jetzt noch das Eigentliche von ihm hineinsoll. Nur dass der Geck von Hofmaler mitsamt seiner gut gehenden Porträtfabrik das offensichtlich anders sieht. Gesichter mitsamt ihren naturhaften Besonderheiten könnten so ein Gemälde doch nur ruinieren, meint dieser. Aber sein Gesicht, das sei doch er, rebelliert der sonst so zurückhaltende Denker, dessen Eigensinn dem großartigen Edgar Selge auf der Stirn geschrieben steht.

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Nein, Leibniz fügt sich dieser faden Inszenierung nicht. Man könne leichter etwas über die Sprache der Engel sagen als über das Verhältnis des Menschen zu seinem Bildnis. Wie viel Urbild steckt im Abbild? So fragt der Philosoph. Solche Spitzfindigkeiten aber nerven Hofmaler. Nein, dieser Maler und dieses Modell passen nicht zueinander. »Ihr seid das Gewicht an den Füßen der Engel!«, ruft er Leibniz zu, bevor er wütend samt Entourage den Raum verlässt. Da hatte er einmal einen originellen Augenblick, und der verpufft ohne Folgen, bedauert der zurückbleibende Philosoph.

Wenn es nach Leibniz ginge, bräuchte er natürlich kein Gemälde. Aber dieses ist ein Herzenswunsch von Königin Sophie Charlotte von Preußen (Antonia Bill), die in Hannover einmal seine Schülerin und wohl auch ein wenig in ihn verliebt war. Jedenfalls möchte sie unbedingt ein Bild von ihm in ihrem Porzellankabinett in Schloss Charlottenburg haben, mit dem sie dann weiter disputieren kann über die »Theodizee«. Wie hat Gott die Welt erschaffen, sodass sie vollkommen trotz aller Unvollkommenheit ist? Denn das, so Leibniz, gehört zur Vollkommenheit Gottes, dass er auch das Unvollkommene in sich einschließt.

Nun muss also ein anderer Maler her, einer der die feinen Regungen in Leibniz’ Gesicht ernst nimmt, denn es handelt sich schließlich um den Spiegel der Seele. Der holländische Maler (mit androgyner Verve: Aenne Schwarz), den die Königin nun verpflichtet, ist von Vermeer von Delft geprägt – und eigentlich eine Frau. Aber Maler sind nun mal keine Frauen, obwohl Leibniz sofort die wahre Natur seines Gegenübers bemerkt – und sehr einverstanden damit ist. Für sie ist alles eine Frage des Lichts. War es nicht Rembrandt, der die Malerei als eine schrittweise Erhellung des Dunkels verstand? Die Malerin fürchtet sich auch nicht vor den berühmt-berüchtigten »fensterlosen Monaden«, die jeden Philosophiestudenten das Fürchten lehren. Sie macht sich eine bildliche Vorstellung davon, bloße Abstraktionen hasste Leibniz. Und so sagt er – auch ein stiller Poet – den schönen Satz: »Wer kein Gesicht hat, ist nicht geboren, ist eine schlafende Monade in Gott.«

Edgar Reitz hat dieses wundervolle filmische Kammerspiel geschaffen – mit Leibniz und seiner Malerin im Zentrum und der sie beide umkreisenden Königin Sophie Charlotte, die ihrem früheren unbeschwerten Leben nachtrauert. Leibniz, so erfahren wir hier, war auch ein launiger Erfinder, der eigenhändig eine Rechenmaschine baute oder eine Anti-Schmerz-Zwinge gegen die Gicht. Für Pflanzen interessierte er sich ebenso wie für Architektur und die Geschichte ferner Weltgegenden.

Reitz, der inzwischen 92 Jahre alt ist und im vergangenen Jahr die Berlinale-Kamera für sein Lebenswerk erhielt (»Heimat«), zeigt sich altmeisterlich souverän, was nicht ausschließt, dass er sich voll jugendlich-ungestümer Neugier diesem sonderlichen Kauz Leibniz zuwendet, der schließlich auch ein europäisches Genie war. Edgar Selge zeigt uns Leibniz als fragenden, nichts als selbstverständlich hinnehmenden Menschen.

Da macht einer Erfahrungen, die sein Denken lebendig halten. Der Regisseur ist ganz offensichtlich von der Originalität dieses Denkers ergriffen, für den die Natur ein Buch war, in dem er zu lesen versuchte.

Diese Geschichte von der Malerin und ihrem Modell ist natürlich eine Hommage an Leibniz, der sich nicht bloß als denkenden Kopf, auch als wissenden Leib verstand (ein zunehmend kranker allerdings). Das ist frappierend modern in seinem ganzheitlichen Ansatz. Davon kann man sich in der immer noch lesenswerten Monografie des 2011 verstorbenen marxistisch-kommunistischen Philosophen Hans Heinz Holz (Reclam Leipzig, 1983) überzeugen, in der es über die »Theodizee« von Leibniz heißt: »Diese Welt wird wie ein großer Organismus begriffen, in dem die individuellen selbstständigen Zellen zugleich unselbständige Glieder des großen Ganzen sind.« Könnte man dies heute besser formulieren?

Das Porträt scheitert schließlich, was nicht an der Malerin und ihrem Modell liegt, sondern daran, dass Königin Sophie Charlotte von Preußen 1705 mit nur 36 Jahren plötzlich stirbt – an einer banalen Halsentzündung. Und wer braucht schon ein Gemälde, dem der liebende Betrachter abhandengekommen ist?     

»Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes«, Deutschland 2025. Regie und Buch: Edgar Reitz.
Mit: Edgar Selge, Aenne Schwarz, Lars Eidinger, Michael Kranz, Antonia Bill. 104 Min.
22.2., 21.30 Uhr, Colosseum 1

Wie hat Gott die Welt erschaffen, sodass sie vollkommen trotz aller Unvollkommenheit ist? Denn das, so Leibniz, gehört zur Vollkommenheit.

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