Bestechung und Befriedigung

Ilija Trojanow weiß, wie man Macht erringt und nie wieder loslässt

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.
Ilija Trojanow lebt und feiert die Freiheit.
Ilija Trojanow lebt und feiert die Freiheit.

Wie Karl Marx schon so treffend spottete, »Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce«, so gibt es auch die umgekehrte Pointe. Nachzulesen in Ilja Trojanows Satire »Das Buch der Macht«. In dieser literarischen Prosaadaption des 1897 entstandenen Großgedichts des bulgarischen Autors Stojan Michailowski »Buch für das bulgarische Volk« folgt nicht die Farce als Wiederholung der Geschichte, sondern die Gegenwart folgt der geradezu prophetischen Satire, sodass man versucht ist hinzuzufügen: »Ähnlichkeiten sind rein zufällig.« Ob sie so zufällig wären, werden die Leserin und der Leser geneigt selbst entscheiden. Worum geht’s?

In 15 Tages- und Nachtlektionen enthüllt der Wesir, also der Regierungschef im osmanischen Kalifat, seinem als Nachfolger vorgesehenen Neffen, den er mit orientalischen Koseworten anredet, das Geheimnis der Macht oder, so der Untertitel des Buches, »wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt«. Die satirische Unterweisung hat es in sich. Sie fächert nicht nur die vielleicht auch in der muslimischen Welt als Todsünde geltenden menschlichen Unarten als für den Machterhalt unerlässlich auf, sondern fordert dafür auch lässlichere Sünden trotz ihrer Hässlichkeit als notwendig. Der Wesir preist nicht nur Mord und Totschlag, Bestechung und Befriedigung der Eitelkeit, er kommt auf autoritäre Tricks, die einem sämtlich bekannt scheinen. Ein jeder erlebt sie so oder in einer der vielen Varianten in seiner Umgebung.

Trojanow verfällt in seinem Remake auf einen genialen Trick. Er teilt sein Buch in zwei unterschiedliche Seiten: Rechts steht in blauen Lettern (man beachte die Farbe!) die Originalsatire vom Machterhalt. Links steht in roten Buchstaben wie eine dialogische Unterbrechung des Redeflusses des Wesirs ein passender Text von Leuten, die dazu etwas zu sagen haben. Zum Beispiel bekennt der Wesir: »In den letzten dreißig Jahren habe ich mit zielstrebiger Beharrlichkeit Gift in das Maul der Öffentlichkeit gegossen, ein Gemisch aus Lügen, Verleumdungen und Unterstellungen«. Daneben steht Jonathan Swift mit der Sentenz: »Die Falschheit fliegt und die Wahrheit kommt hinterhergehinkt; wenn also die Menschen der Täuschung gewahr werden, ist es bereits zu spät.« Und Hannah Ahrendt: »Niemand hat je Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet.«

Dem Terrorismus der Macht, in blauer Schrift auf den rechten Seiten, folgen im virtuellen Dialog manche Apologeten der Macht wie der Kronjurist der Nazis Carl Schmitt: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Andere widersprechen in roter Schrift auf den linken Seiten, wie beispielsweise Konstantin Wecker mit seinem Lied »Einen braucht der Mensch zum Treten«. Heinrich Heine steht auf einer linken, roten Seite mit seinem Gedicht von den »Zuckererbsen für jedermann«. Oder auch Erasmus von Rotterdam mit dem klaren Wort: »Macht ohne Güte ist reine Gewaltherrschaft«. Oder genauso klar der »rote, linksstehende« Immanuel Kant: »Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.«

So liest sich das Buch auf weißem Papier in Bleu-Blanc-Rouge unterhaltsam, als Satire auch auf die Gegenwart. Ein erhellendes Nachwort von Ilija Trojanow zollt dem Dichter der Vorlage, seinem bulgarischen Landsmann Stojan Michailowski und der »evidenten« Aktualität von dessen Großpoem eine treffende literaturgeschichtliche und zeitpolitische Reverenz.

Ilija Trojanow: Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt.
Die Andere Bibliothek, 275 S., im Schuber 48 €, Hardcover 26 €.

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