- Politik
- Anschlag von Hanau
Stadt Hanau will Gedenken an Anschlag auf Minimum reduzieren
CDU, FDP und SPD empört über wütende Rede der Mutter eines Todesopfers während Gedenkfeier am 19. Februar
Wie zu jedem Jahrestag des rassistischen Anschlags von Hanau sprachen auch am vergangenen Mittwoch Überlebende und Angehörige Ermordeter auf der offiziellen Gedenkveranstaltung in der hessischen Stadt – neben Vertretern der »großen« Politik. Ihre Stimme erhob auch Emis Gürbüz, Mutter von Sedat Gürbüz, einem der neun Opfer des Mordfeldzugs eines deutschen Rassisten am 19. Februar 2020. Er erschoss Gürbüz in der Hanauer Shisha-Bar »Midnight«. Der 29-Jährige hatte das Lokal kurz zuvor verkauft und wollte sich an jenem Abend von seinen früheren Mitarbeitern verabschieden.
Die Rede von Gürbüz sorgte nun für so viel Empörung in der Stadtverwaltung, dass die dortige Regierungskoalition vo CDU, SPD und FDP ankündigte, es werde »derlei Gedenkveranstaltungen in Hanau nicht mehr geben«. Es sei »offensichtlich angezeigt, das künftige Gedenken ist in kleinerem Rahmen durchzuführen«, heißt es in einer am Freitagabend veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der drei Rathausfraktionen. Die »Hessenschau« und die »Taz« berichteten zuerst darüber.
Was erregte nun den Zorn des CDU-Bürgermeisters, der SPD-Fraktionschefin und anderer? Gürbüz war offenbar nicht höflich genug. Sie bezeichnete die Mordserie als »Schandfleck in der Geschichte Hanaus und Deutschlands«. »Der Mörder hatte Briefe geschrieben, doch die Stadt Hanau ignorierte sie. Die Stadt wusste, dass die Notausgangstür (der Arena-Bar, einem der Tatorte, d. Red.) verschlossen war, und unternahm nichts«, sagte Gürbüz und fügte hinzu: »Deutschland und die Stadt Hanau schulden mir ein Leben.« Sie ist überzeugt, dass die Opfer noch am Leben wären, »hätte die Stadt ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt«.
Der Stadt warf Gürbüz zudem vor, aus den Projekten zur Erinnerung an den Anschlag Millionensummen zu kassieren. Ein Denkmal gebe es dagegen auch fünf Jahre nach der Tat immer noch nicht. Das von der Stadt geplante Mahnmal lehnten sie und andere Opferfamilien ab, unter anderem, weil es am falschen Ort liege. Sie könne die Entschuldigungen von Vertretern der Stadt und der Landesregierung nicht annehmen.
Damit hat Gürbüz offenbar die Grenze des von der Stadt Tolerierbaren überschritten. In der gemeinsamen Stellungnahme der Parteien ist von »schockierenden Äußerungen« die Rede. Auch der »furchtbare Tod« ihres Sohnes rechtfertige »nicht jede Rede von Frau Gürbüz«, »schon gar nicht, wenn das Gedenken zur politischen Agitation genutzt und mit wahrheitswidrigen Aussagen gespickt« werde. Was Gürbüz »von der Stadt Hanau, dem Land Hessen und der Bundesrepublik Deutschland an Respekt und Achtung« einfordere, müsse sie auch gegenüber den genannten Autoritäten und »den anderen Opferfamilien aufbringen«, belehrt sie der Vorsitzende der Hanauer FDP-Fraktion, Henrik Statz. Die Rede sei eine »Ohrfeige für alle Familien, die trotz ihrer Trauer wieder zurück ins Leben finden wollen, den Blick in die Zukunft richten und sich engagieren, damit Hass du Hetze in unserer Gesellschaft keinen Platz haben«.
CDU-Fraktionschef Pascal Reddig erklärte, Gürbüz habe »die Gedenkveranstaltung missbraucht, um rückwärtsgewandt zu spalten und die schreckliche Tat zu instrumentalisieren«. Und die SPD-Fraktionsvorsitzende Ute Schwarzenberger wünscht »Frau Gürbüz die Kraft, ihren Hass zu überwinden, um sich künftig respektvoll zu äußern«.
Doch mit all dem nicht genug: In der Erklärung wird zusätzlich angemerkt: »Warum sie bei einer derartigen Gefühlslage die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, bleibt wohl ihr Geheimnis.« Außerdem wird mitgeteilt: »Wie der Koalition aus Berlin übermittelt wurde, hat Frau Gürbüz anlässlich ihrer Rede bei der Berlinale geäußert, dass sie Deutschland, Hanau und den Oberbürgermeister hasse.«
Tatsächlich hat Gürbüz bei der Premiere des Films »Das Deutsche Volk« gesprochen. Die Behauptung in der Erklärung hat aber offenbar keinerlei Substanz. Gürbüz widersprach der Darstellung vehement, weitere Premieren-Gäste bestätigten gegenüber der »Taz«, dass eine derartige Aussage nicht gefallen sei.
Die Initiative 19. Februar, die Hinterbliebene und Überlebende nach der Mordserie gegründet hatten, zeigte sich »entsetzt und enttäuscht« über das Statement der Ratsfraktionen. »Mitten in diesem Schmerz, zwei Tage nach dem Jahrestag, ist es unangemessen und verletzend, auf diese Weise behandelt zu werden«, schreibt der Verein in einer am Samstag veröffentlichten Erklärung. Die Entscheidung der Koalition wirke wie ein Versuch, eine Angehörige für ihre kritische Haltung gegenüber politisch Verantwortlichen zu bestrafen und sei »politisch unverantwortlich«. Denn die Absage eines offiziellen Gedenkens betreffe nicht nur die Familien, sondern die gesamte Gesellschaft. Schließlich sei der Anschlag Teil der deutschen Geschichte. »Erinnern kann nicht diktiert werden«, mahnt die Initiative. Es sei zudem »problematisch, ein privates Einbürgerungsverfahren in einer ohnehin rassistisch aufgeladenen Migrationsdebatte in die Argumentation einzuflechten«.
Der Vater des getöteten Hamza Kurtović, Armin Kurtović, hatte sich in der »«Taz»« kritisch zur Entscheidung der drei Parteien geäußert und auch Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) zu einer Positionierung aufgefordert. Dieser äußerte sich dazu bislang nicht persönlich. Sein Sprecher erklärte gegenüber dem Hessischen Rundfunk (HR), es sei »sicherlich klar«, dass die Gedenkveranstaltung nicht jedes Jahr in der Größe wie zum fünften Jahrestag des Anschlags durchgeführt werden könne. Zu einzelnen Vorwürfen werde sich Kaminsky »auch nach juristischer Prüfung zu gegebener Zeit äußern«.
Auf der Veranstaltung am vergangenen Mittwoch hatte sich der SPD-Politiker indes ausdrücklich bei allen vier Redner*innen aus dem Kreis der Hinterbliebenen bedankt und hinzugefügt: »Es versteht sich von selbst, dass manches, was sie hier gesagt haben, wehtut«. Das eine oder andere könne man auch »nicht als gerecht ansehen«, sagte Kaminsky und betonte zugleich: »Aber es war gut, richtig und wichtig, dass sie uns dieses heute sagen konnten.«
Noch am Mittwoch hatte Kaminsky gegenüber dem HR zu den von Gürbüz erhobenen Vorwürfen geäußert, einige Dinge, die sie gesagt habe, seien verletzend gewesen und hätten nichts mit der Realität zu tun. »Trotzdem sollten wir alle milde im Urteil sein«, so der Oberbürgermeister.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan (SPD), forderte derweil, das Gedenken in seiner bisherigen Form beizubehalten. »Beim Gedenken muss es immer darum gehen, die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen«, schrieb sie am Samstag auf Instagram und fragte: »Wer sind wir, dass wir den Angehörigen ihre Wut und Trauer absprechen?«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.