- Kultur
- AfD
Reise nach Orbánien
Die CDU, die AfD und der besorgte Bürger
Die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main ist besorgt. Darüber, dass zahlreiche junge Wähler bei der Bundestagswahl die – wie die Sprachregelung der Medien nach wie vor lautet – »in Teilen rechtsextreme« AfD gewählt haben. Man zeigt sich irritiert: Diesen Erfolg hätte die Partei wundersamerweise zu verbuchen, »obwohl sich diese offen rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich und geschichtsrevisionistisch geäußert hat«. Der Denkfehler, der hier vorliegt, ist leider der alte: Auch nach all den Jahren, in denen die AfD, unterstützt von nahezu sämtlichen Medien, offensiv ihr Konzept der Demokratiezerstörung betreibt und das gesamte politische Spektrum nach rechts außen verschiebt, wurde noch immer nicht verstanden, dass die Partei nicht gewählt wird, »obwohl« sie sich »rassistisch und antisemitisch« äußert, sondern weil sie das tut.
Was man nicht wahrhaben will, obgleich es offen zutage liegt: Beim »besorgten Bürger« – wie eine weitere, nicht weniger idiotische Sprachregelung der Medien lautet – könnte es sich in Wirklichkeit um einen Bürger mit weitgehend »gefestigtem rechtsextremen Weltbild« handeln (so lautet eine weitere Sprachregelung, um das Wort »Neonazi« zu vermeiden).
Die seit der deutschen Nachkriegszeit praktizierte sogenannte Gedenk- und Erinnerungskultur – zumindest die offizielle, die vor allem dazu diente, das Ausland ruhigzustellen und die Unternehmensgewinne des »Exportweltmeisters« Deutschland nicht zu gefährden – hat, wie sich herausstellt, in großen Teilen der deutschen Bevölkerung keinerlei sichtbare Spuren hinterlassen. Im Gegenteil: Der »Geschichtsaufarbeitungsweltmeister« Deutschland hat sein ihm im Grunde lästiges Erinnerungsgeschäft stets nur pflichtschuldig und automatenhaft betrieben: Die fortgesetzt an Jahrestagen abgesonderten Worthülsen und das rituelle Kopfwackeln, Händefalten und Niederknien von Berufspolitikern vor Mahnmalen, die an die Schoa erinnern, wird von vielen besorgten Bürgern als Unterwerfungsgeste gegenüber den einstigen Alliierten und als ein Einschleimen bei »den Juden« betrachtet.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Das in den vergangenen acht Jahrzehnten jede öffentliche Geschichtsdebatte zuverlässig begleitende Gejammer über die angeblich permanente Thematisierung des Holocaust in den Medien und den ausbleibenden »Schlussstrich« unter die deutsche NS-Vergangenheit ist jenen, die etwas genauer hinhören, nicht entgangen. Der Schuldabwehr-Antisemitismus war und ist dauerpräsent. Sätze wie »Es war nicht alles schlecht unter Hitler« oder »Jetzt muss endlich mal Schluss sein mit diesem Thema«, die früher überwiegend an einschlägigen Stammtischen und Hinterzimmern zu hören waren, sind heute inflationär verbreitet und werden in den allabendlich gesendeten Talkshows besonders gerne von den »Social-Media-Teams« der großen Fernsehsender als »spannende Zuschauermeinung« präsentiert.
Diese tiefsitzende Mischung aus Ressentiments, Verdrängung, dem Gefühl des Zukurzgekommenseins, autoritären und völkischen Denkmustern und stählernem Antikommunismus ist es, die in jener »Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger« rumort, die von rechten Politikern jeder Couleur ständig beschworen und umworben wird.
Diese Mehrheit, die angeblich »gerade denken kann« und »noch alle Tassen im Schrank« (Friedrich Merz) hat, hat am vergangenen Sonntag gezeigt, wohin die Reise politisch gehen soll: in ein Staatswesen a la Trump, Orbán , Putin, in dem Rechtsextreme die politische Agenda bestimmen, die, befeuert von den Medien, von den Konservativen und den verbliebenen Sozialdemokraten in die Tat umgesetzt wird. Bis diese dann verschwinden werden, sie werden ja irgendwann nicht mehr benötigt. Oder, wie es der Kabarettist Gerhard Polt einmal formulierte: »Kein Mensch hier bei uns wird gezwungen, eine Minderheit zu sein. Ein jedweder hat das Recht, sich zur Mehrheit zu bekennen.«
Diese Geisteshaltung ist übrigens nicht beschränkt auf Personal und Wählerschaft der AfD. Bei Betrachtung jener johlenden Menge, die Friedrich Merz frenetisch zujubelte, als er kurz vor der Bundestagswahl all jene, die sich noch Widerworte gegen einen AfD-Staat erlauben, als »linke und grüne Spinner« beleidigte, fiel auf, dass anscheinend schon der Genuss von zwei, drei Weißbieren auszureichen scheint, um bei Zusammenkünften der neuen »deutschen Mitte« eine Atmosphäre zu erzeugen, die zwischen Junggesellenabschiedsgaudi und Reichsparteitagsstimmung oszilliert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.