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Nach Selenskyj-Besuch bei Trump: Kommt ein neues Sondervermögen?
Politiker von Union, SPD und Grünen rufen nach mehr Geld für Aufrüstung – Widerspruch von der Linken
Nach dem Eklat bei dem Gespräch zwischen der US-Führung und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wird in Deutschland über die Konsequenzen diskutiert. Dabei geht um mehr finanzielle Mittel für Waffenlieferungen in die Ukraine und für die Ausrüstung in der EU selbst. Nachdem CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine schnelle Einigung auf eine Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen hat, ist ein Sondervermögen in dreistelliger Milliardenhöhe im Gespräch. Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit nötig, die SPD Union und Grüne im alten Bundestag noch haben, im neuen aber nicht mehr.
Gleichzeitig wächst der Druck, so schnell wie möglich eine voll handlungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen, obwohl gerade erst die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD begonnen haben. Der noch amtierende SPD-Kanzler Olaf Scholz und CDU-Chef Friedrich Merz telefonierten noch am Freitagabend miteinander, wie der Deutschen Presse-Agentur in Berlin bestätigt wurde. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johann Wadephul, geht davon aus, »dass die Ereignisse im Oval Office unsere Sondierungs- und Koalitionsgespräche deutlich beschleunigen werden«, sagte er im »Tagesspiegel«. Im Deutschlandfunk betonte er: »Das politische Handeln in dieser historischen Stunde muss eindeutig die Priorität setzen, dass wir verteidigungsfähig sind und dass Europa handlungsfähig ist.«
CSU-Chef Markus Söder sprach sich am Wochenende erneut für ein Sondervermögen aus und wartete auch noch mit konkreten Zahlen auf: »Die Bundeswehr braucht eine Vollausstattung. Dazu gehören eine Drohnen-Armee mit 100 000 Drohnen, 800 neue Panzer sowie 2000 Patriots und 1000 Taurus nur für Deutschland als ein Schutzschild«, sagte der bayerische Ministerpräsident der »Welt am Sonntag«. Er betonte ferner, es sei eine sehr überzeugende Idee von CDU-Chef Friedrich Merz, »zusätzlich einen nuklearen europäischen Schutzschirm aufzubauen«. Dieser könne von Frankreich und Großbritannien gestellt und von Deutschland mitgetragen werden. »Nur wer wirtschaftlich und militärisch stark ist, wird international ernst genommen«, sagte Söder.
Unterstützung dafür kommt vom konservativen Teil der Unternehmerlobby: So sagte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, eine Aufstockung des vor drei Jahren beschlossenen Sondervermögens sei richtig. »Alles, was der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands dient, kann ich nur gutheißen«, sagte Dulger der »Welt am Sonntag«. Er nutzte die Gelegenheit, von der SPD zu fordern, ihren Ruf nach 15 Euro Mindestlohn pro Stunde bei den Sondierungsverhandlungen fallenzulassen, und drohte ansonsten mit einem Ausstieg aus der Mindestlohnkommission.
Noch-Außenministerin Annalena Baerbock forderte in Berlin ebenfalls ein schnelles europäisches und nationales Handeln. »Bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung können wir damit nicht warten, denn die Lage ist ernst.« Die Grünen-Politikerin wirbt indes begleitend für eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse. Ein neues Sondervermögen sei die schlechtere Variante. »Sie hilft der Ukraine nicht, und wir können sie nicht für alle Bereiche einsetzen, die für unsere Verteidigung wichtig sind«, sagte sie. Das betreffe etwa Maßnahmen gegen Bedrohungen im Cyberraum.
»Taschenspielertricks wie Sondervermögen finden wir falsch«, heißt es dagegen in einem am Sonntag gefassten Beschluss des Parteivorstands der Linken. Man setze sich aber weiter für die Abschaffung der Schuldenbremse ein. »Damit wollen wir Investitionen in die soziale und zivile Infrastruktur ermöglichen. Auch finanzielle zivile Hilfen für die Ukraine werden dann nicht mehr an Haushaltsproblemen scheitern.«
Die Linke spricht sich dafür aus, »die Militärausgaben ausschließlich auf reine Verteidigungsaufgaben zu begrenzen«. Da bereits in den vergangenen Jahren große Summen in Europa für Rüstung verwendet worden seien, stelle sich die Frage, wofür neue Gelder ausgegeben werden sollen: »für eine reine EU- oder Landesverteidigung oder für das Modell einer aggressiven und imperialistischen Macht EU, die überall auf der Welt Kriege führen kann«.
Es sei seit drei Jahren ein großer Fehler der EU, die Unterstützung für die Ukraine ausschließlich an militärischer Hilfe festzumachen, heißt es in dem Beschluss weiter. Dadurch sei kostbare Zeit für eine diplomatische Lösung verschwendet worden. Deshalb müsse die EU jetzt sofort auf China zugehen und ein gemeinsames Verhandlungsformat auflegen. China und Brasilien hätten bereits vor neun Monaten entsprechende Angebote unterbreitet. Zudem sollten die Staaten der EU »schnellstmöglich« eine Dringlichkeitssitzung der UN-Generalversammlung beantragen, um dort über mögliche gemeinsame Antworten auf die US-amerikanischen Erpressungsversuche zu beraten. »Donald Trump ist dabei, das Völkerrecht massiv zu beschädigen und allein auf das Recht des Stärkeren zu setzen. Die Bundesregierung und die EU müssen darauf mit einer – längst überfälligen – Klarheit reagieren.«
Um die vom Krieg gebeutelte Ukraine zu unterstützen, schlägt die Linkspartei einen Schuldenschnitt vor. Das Land sei »dringend auf eine finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau, die Versorgung der Millionen Binnenflüchtlinge und zur Bewältigung anderer Kriegsfolgen angewiesen«.
Zudem grenzt sich der Linke-Vorstand hier klar von außenpolitischen Positionen von AfD und BSW ab: »Der Aggressor heißt einzig und allein Russland. Es ist infam, wie Donald Trump der Ukraine eine (Mit-)Schuld am Krieg gibt und die Angst vor einem Dritten Weltkrieg schürt, um so das Völkerrecht mit Füßen zu treten«, heißt es in dem Beschluss. »Als Linke und Internationalist*innen stehen wir immer an der Seite der Unterdrückten und Angegriffenen, deshalb gehört unsere volle Solidarität den Menschen in der Ukraine.« Mit Agenturen
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