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Große Geister im Fleischwolf

Das Brechtfestival Augsburg hat zwischen Heimatpflege und Kritik des Plattformkapitalismus die »Große Methode« des Theaterrevolutionärs erkundet

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die unappetitliche Erscheinungsform des Kapitalismus in Dietmar Daths Stück »Deine Arbeit hasst dich, weil sie dich nicht braucht«.
Die unappetitliche Erscheinungsform des Kapitalismus in Dietmar Daths Stück »Deine Arbeit hasst dich, weil sie dich nicht braucht«.

Im Trubel zwischen wirbelnden Röcken und bestickten Trachten erhascht man immer wieder einen Blick auf Brecht. Die Handpuppe zieht genüsslich an ihrer Zigarre und kommentiert das Volkstanztreiben, das sich im Kraftklub abspielt, der eigens für das Brechtfestival der Stadt Augsburg in einer ehemaligen Textilfabrik eingerichtet worden ist. Während des 48-stündigen Tanzmarathons in der ausgedienten Möbelhalle leiten acht Kulturvereine traditionelle Tänze wie den assyrischen Bagiye oder den griechischen Sirtos an. Dazwischen orchestriert das Figurentheaterkollektiv Das Helmi imposante Shows, spielt dadaistische Dialoge und tanzt mit dem Publikum zur »Moritat von Mackie Messer«. Das dreitägige Volksspektakel zum Abschluss des Brechtfestivals steht im Zeichen von Julian Warners Aktualisierung der Brecht’schen »Großen Methode«, die dessen Werk als »praktische Lehre« zum dialektischen Denken durchzieht.

Seit 2023 versucht der Festivalleiter, Brechts Erbe in Augsburg undogmatisch wiederaufleben zu lassen und dafür neue, populäre Formen wie Wrestling-Matches und Turnfeste zu erfinden. Während in Brechts Kraftklub die vielfältigen Communitys der Stadt eine Bühne erhalten und neue Bündnisse knüpfen können, adressiert das Festival auch mit den gezeigten Inszenierungen ein (post-)migrantisches Publikum. Aus Istanbul eingeflogen, füllte die Inszenierung »Josef K.« von Regisseur Serdar Biliş die 600 Plätze der Spielstätte im Martini- Park hauptsächlich mit türkischsprachigen Menschen. Diese konnten immer ein paar Sekunden vor den hinterherhinkenden deutschen Übertiteln über die schnellen Schlagabtausche auf der Bühne lachen.

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Im zeitgenössischen Setting wird die Hauptfigur, angelehnt an Kafkas »Der Prozess«, von der Willkür der Bürokratie zermartert, bis er zum Verschwörungstheoretiker wird. Getrieben von Missverständnissen und frivolen Scherzen dient auch der Vorwurf, dass jemand schwul sei, immer wieder als Punchline, was an den Ton homophober Buddy-Komödien erinnert.

In den Wahnsinn der betrieblichen Abläufe führt auch die Inszenierung »Deine Arbeit hasst dich, weil sie dich nicht braucht«, die Uraufführung eines Textes von Dietmar Dath im Rahmen des Brechtfestivals, die auch weiterhin im Programm des Augsburger Theaters gezeigt werden wird. Hinter dem sperrigen Titel versteckt sich eine ebenso verkopfte Inszenierung mit skurrilem Figurenkabinett. Auf silbernen Plateaus geraten die Menschentypen des Plattformkapitalismus aneinander und tragen ihre Weltanschauungen vor: Der übertriebene Individualismus der esoterischen Vermieterin Nelleke trifft auf den faschistischen Philosophen Nick, der das große Ganze im Blick haben will. Ihr Rückfall auf magisches Denken bildet das reaktionäre Gegenstück zur fortschrittsgetriebenen Natur- und Menschbeherrschung des ehemals marxistischen Akzelerationisten.

Hanna Eichel und Kai Windhövel liefern im Zusammenspiel ein gelungenes Porträt (anti-)moderner Ideologien. Zwischen rechten Gesinnungsgefechten versuchen Persephone und Lars, gespielt von Christina Jung und Jannis Roth, in dem kafkaesken Unternehmen zu arbeiten. Beide wissen, dass in einem Laden, wo Chefs ab sofort Coaches genannt werden, keine Erfüllung wartet. Solange sie nicht von der Tech-Kakerlake im Treppenhaus in einen Cloud-Zombie verwandelt werden, ist ihr Tag gelungen. Das gepanzerte Insekt, eine Erfindung des Faschisten, bewegt sich durch das mysteriöse Unternehmen und projiziert einen nicht abreißenden Datenstrom an die Wände. Wer ihr begegnet, droht Teil des Schwarms zu werden. Gefährlich wird ihr nur der Intellekt, der im Geist Brechts haust und eliminiert werden muss.

In diesem Gespenst, das von den Cloud-Zombies schließlich zerfleischt wird, schwingt die kleine Hoffnung mit, dass der kritische Intellektuelle multinationalen Tech-Unternehmen überhaupt noch gefährlich werden kann. Im Gegensatz zum Tanzmarathon, der Gesellschaft in ihrer Vielfalt zusammenbringt, versucht sich diese Aktualisierung der »Großen Methode« an einer komplexen Kritik der Zusammenhänge. Die Inszenierung von André Brücker, dem Intendanten des Staatstheaters Augsburg, »lehrt Fragen zu stellen, welche das Handeln ermöglichen«, indem sie bekannte Typen aufeinanderprallen lässt. Ob der soeben zerfleischte Brecht vom neuen Leitungsteam, das ab nächstem Jahr das Festival übernehmen wird, wieder zusammengesetzt und reanimiert werden kann, bleibt abzuwarten.

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