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Christiane Rösinger: Die Nichtreinpasserin

In aller Schärfe heiter: Christiane Rösinger bekommt als erste Popmusikerin den Satirepreis »Göttinger Elch«

Leben an der Bar oder im Theater: Christiane Rösinger, 2021 bei den Proben zum Stück »Planet Egalia« in Berlin, zu dem sie die Musik geschrieben hatte
Leben an der Bar oder im Theater: Christiane Rösinger, 2021 bei den Proben zum Stück »Planet Egalia« in Berlin, zu dem sie die Musik geschrieben hatte

Der »Göttinger Elch« ist der höchste deutsche Satirepreis, aber auch der einzige. Die Sängerin und Autorin Christiane Rösinger bekommt ihn am Sonntag verliehen. Nicht als erste Frau, aber sie ist erst die vierte seit 1997. Nach den Zeichnerinnen Marie Marcks, Franziska Becker und der Kabarettistin Maren Kroymann. Der Rest waren Männer, 26 insgesamt. Darunter solche Namen wie Robert Gernhardt, Otto Waalkes, Max Goldt, Wiglaf Droste und Greser & Lenz. In diese sich gern über sich selbst entzückt zeigende Szene aus dem »Titanic«-Umfeld passt Rösinger als Popmusikerin nicht ganz rein. Auch wenn viele Kabarettisten und Comedians popartig zu singen versuchen und viele Popmusiker sich an Literatur erproben, so sind diese Sphären doch medial immer noch getrennt. Vielleicht wird das nun endlich einmal anders?

Sie hat Platten eingespielt, journalistisch gearbeitet, Dramaturgie studiert, Bücher geschrieben und Theater gemacht. Aktuell schreibt sie in der »Taz« alle zwei Wochen eine Kolumne, in der sie »Aus dem Leben einer Boomerin« erzählt. Rösinger ist Jahrgang 1961 und hat viel Glanz und Elend in der Subkultur gesehen, seitdem sie 1985 aus einem badischen Dorf nach Berlin-Kreuzberg zog, wo sie trotz aller Gentrifizierung immer noch zur Miete lebt. Um sich das leisten zu können, hat sie unter anderem Deutsch für Geflüchtete unterrichtet: »Zukunft machen wir später« hieß ihr Buch über diese Arbeit.

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Das war früher auch das Motto von den Leuten, die nach Berlin zogen, weil sie mehr erleben wollten. Das Wohnen war sehr billig, doch seit Mitte der Nullerjahre wird es konstant teurer bis unmöglich. Es sei denn, man bekommt eine Wohnung von den Eltern geschenkt und kündigt die Leute, die bisher darin wohnten. Ganz lieb, aber doch brutal, wenn die neuen Wohnungseigentümer den Gekündigten treuherzig versichern: »Der Kapitalismus ist an allem schuld / wir sind am Ende unserer Geduld / wir leben eigentlich prekär, wenn das mit der Wohnung nicht wär«, wie Rösinger in ihrem Lied »Eigentumswohnung« gesungen hat. Das ist lustig, aber auch schlimm, wenn man darüber nachdenkt. Rösinger kann den privatpolitischen Irrsinn sehr gut auf den Punkt bringen.

In die Popmusik passte sie anfangs auch nicht richtig rein. Die Musik ihrer ersten Band Lassie Singers wurde Ende der 80er Jahre von den Indielabels als »Schlagerscheiße« abgelehnt, deshalb gingen sie zur Plattenindustrie, um Indiemusik machen zu können. Sie waren die weiblichen Außenseiter unter lauter Männerbands, über die auch fast nur Männer schrieben. Eine Titelseite in der Musikpresse bekamen sie nie. Sie galten als Hamburger Schule, lebten aber in Berlin. Die Lassies waren heiter und berührend, die Männer meistens humorfern und arrogant. »Die Band war für Funpop immer zu intellektuell und für Diskurspop à la Blumfeld oder Bernd Begemann immer zu humorig«, urteilt das »Munzinger Archiv« im Rückblick.

»Irgendwas ist immer« sang Rösinger dann mit ihrer zweiten Band Britta Ende der 90er Jahre und verkündete gegen den oberflächlichen Party-Hedonismus die »Neue Bitterkeit«, die sie 2017 als ihr persönliches Programm noch einmal betonte: »Und weil ich melancholisch bin, nehm’ ich das alles schwer. / Und weil ich musikalisch bin, gibt das ein paar Lieder her«. Da kommt das Unbehagen her, aber auch der weise Witz ihrer Kunst, es ist eine Art lustiger Ernst. Oft sind es »Evergreens zum Elend der Heterosexualität«, wie sie ihre Musik einmal genannt hat. »Ich glaub’ ich hab ein Faible für Idioten« sang sie, aber auch »Liebe wird oft überbewertet« und »Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch«. Solche Texte wurden zu geflügelten Worten wie die aus den Liedern von Rio Reiser.

Mit der 2013 verstorbenen Almut Klotz, ebenfalls eine badische Exilantin, hatte sie die Lassie Singers gegründet. Nach der Auflösung der Band hoben die beiden 1998 »Flittchen Records« aus der Taufe, das erste feministische Label überhaupt, dem zusätzlich ein Barbetrieb angeschlossen war: Jeden Mittwoch luden sie in der Berliner »Maria am Ostbahnhof« zur »Flittchenbar«. Vom »Leben in der Bar« hatten schon die Lassis gesungen, bis heute ist dies das hauptsächliche Forschungsfeld von Rösinger, denn da kann man viel erfahren und erfühlen. Weil sie schon so lange dabei ist und dabei stets ohne Ausverkauf und Opportunismus unterwegs war – erst kürzlich beschrieb sie ihr Verhältnis zu den Grünen schon seit den 80er Jahren als »gestört« – , wird sie mittlerweile zur »Grande Dame des Berliner Untergrunds« ausgerufen. Diese Bezeichnung hat sie sich 2017 im »Kaput«-Magazin verbeten – »bis ich 70 bin«.

Die »Flittchenbar« wurde weggentrifiziert, aber 2010 für ein paar Jahre lang wiedergeboren, im Südblock am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Da traf sich dann die »Indie-Elite« Berlins, wie der »Tagesspiegel« behauptete. So plump würde sich Christiane Rösinger niemals ausdrücken. Ganz im Gegenteil: »Uneitel ausgehen« forderte sie in ihrer Kolumne als guten Vorsatz für das neue Jahr – und zwar von den Leuten, die zu Hause sitzen und klagen, dass sie nirgends mehr so richtig reinpassen würden, weil sie schon so alt seien. Rösinger fragte: »Was soll diese Eitelkeit, liebe Leser*innen?«

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