Wissenschaftlicher Dienst: Netanjahu müsste verhaftet werden

Trotz Haftbefehls aus Den Haag hat Merz den israelischen Premier nach Deutschland eingeladen. Laut Bundestagsdienst müsste man ihn festnehmen

Einen solchen Handschlag zwischen Friedrich Merz und Benjamin Netanjahu darf es laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages nicht noch einmal geben – zumindest nicht auf deutschem Boden.
Einen solchen Handschlag zwischen Friedrich Merz und Benjamin Netanjahu darf es laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages nicht noch einmal geben – zumindest nicht auf deutschem Boden.

Direkt nach seinem Wahlsieg bei den Bundestagswahlen hat der CDU-Chef Friedrich Merz Benjamin Netanjahu zu einem Besuch in Deutschland eingeladen. Und das, obwohl gegen den israelischen Premierminister ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) vorliegt. Auf Anfrage des Linke-Politikers Gregor Gysi kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem ausführlichen Gutachten zum Schluss: Sollte Netanjahu deutsches Staatsgebiet betreten, müsste er von den Behörden verhaftet werden.

Das Gutachten enthält Ausführungen zu juristischen Fragen rund um den Haftbefehl gegen Netanjahu. Aus völkerrechtlicher Sicht ist Deutschland demnach verpflichtet, Personen, gegen die ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vorliegt, festzunehmen und zu überstellen. Dies regelt Paragraf 2, Absatz 1 des IStGH-Gesetzes, das die Vorgaben des Römischen Statuts in nationales Recht umsetzt.

Laut Artikel 89, Absatz 1 des Statuts kann der IStGH einen Mitgliedstaat um die Festnahme und Überstellung einer verdächtigen Person ersuchen, wenn sich diese auf dessen Staatsgebiet aufhält. »Wie bei internationalen Rechtshilfeersuchen üblich, müsste letztlich das Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Überstellung des Gesuchten nach Den Haag bewilligen«, erklärt der Wissenschaftliche Dienst weiter.

Staaten argumentieren allerdings häufig, ein Haftbefehl könnte verweigert werden, weil das Prinzip der Immunität eines Staats- oder Regierungschefs dagegen spräche. Zu diesem Punkt schlussfolgert der Bundestagsdienst: »Die Frage nach der persönlichen Immunität von amtierenden Staatsoberhäuptern/Regierungschefs gegenüber internationalen Gerichten ist nicht abschließend geklärt.« Derzeit spreche die Staatenpraxis (wie also Staaten vergleichbare Fälle bisher gehandhabt haben) wohl eher dafür, dass die aus der Staatensouveränität folgende absolute Immunität von amtierenden Staats- und Regierungschefs von Drittstaaten fortbestehe.

Im Falle Deutschlands ist laut Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes aber noch ein weiterer Punkt relevant: »Als der IStGH im vergangenen Jahr einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin erlassen hat, hatte sich Deutschland eindeutig positioniert und angekündigt, die Bundesrepublik sei ›rechtlich verpflichtet‹, den russischen Präsidenten zu verhaften und an den IStGH zu überstellen, sollte er nach Deutschland kommen«, erinnert das Gutachten. Tragfähige rechtliche Gründe, die einer Gleichbehandlung beider Haftbefehle entgegenstehen, seien nicht ersichtlich. Kurz: Deutschland muss mit den beiden Fällen Putin und Netanjahu gleich umgehen.

»Das unterschiedliche politische Taktieren und die offensichtlichen ›Doppelstandards‹ einiger Staaten im Umgang mit IStGH-Haftbefehlen könnten dabei nicht nur das Völkerrecht, sondern auch deren außenpolitische Glaubwürdigkeit untergraben«, warnt der Bundestagsdienst zudem. Die Missachtung von Haftbefehlen des IStGH durch einen Vertragsstaat würde dessen Position politisch schwächen, heißt es im Gutachten weiter.

»Aus der Antwort des Wissenschaftlichen Dienstes ergibt sich die Schwierigkeit, vor der eine Bundesregierung steht«, kommentiert Gregor Gysi das Gutachten. So hemdsärmelig wie Friedrich Merz meine, dies entscheiden zu können, gehe es auf jeden Fall nicht, so der Linke-Politiker.

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