Südafrika gedenkt Muhsin Hendricks’

Ermordeter Imam prägt 2025 den Tag der Menschenrechte

  • Lutz van Dijk, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.
Muhsin Hendricks, Imam in Südafrika: Bekannte sich 1996 öffentlich zu seiner Homosexualität. 2025 wurde er erschossen. Hendricks pflegt auch immer wieder Kontakt zu liberalen Muslimen in Deutschland.
Muhsin Hendricks, Imam in Südafrika: Bekannte sich 1996 öffentlich zu seiner Homosexualität. 2025 wurde er erschossen. Hendricks pflegt auch immer wieder Kontakt zu liberalen Muslimen in Deutschland.

Südafrika hat seit 1995, damals unter dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Nelson Mandela (1918–2013), nationale Feiertage geschaffen wie kein anderes Land, bestimmt als dauerhafte Lektionen nach den Schrecken der Apartheid: Dazu gehört auch der Tag der Menschenrechte (Human Rights Day) jedes Jahr am 21. März. Erinnert wird damit an das Massaker von Sharpeville, als am 21. März 1960 Soldaten und Polizei auf unbewaffnete Demonstranten schossen, die gegen sogenannte Pass-Gesetze protestierten, die den Zugang nicht weißer Menschen in die Städte regelten. Neben 180 Verletzten wurden 69 Menschen ermordet.

Gleichzeitig wird jedes Jahr auf aktuelles Unrecht aufmerksam gemacht. Das Motto 2025 lautet: Vertiefen einer Kultur sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechte. Nicht nur von der queeren Community Südafrikas wird dieses Jahr besonders auf den vor gut einem Monat, am 15. Februar, brutal ermordeten weltweit ersten offen schwulen Imam Muhsin Hendricks (1967–2025) verwiesen.
Die Tat geschah nicht daheim in Kapstadt, sondern auf offener Straße in Bethelsdorp im Ostkap, als ein anderes Auto den Weg blockierte, ein bewaffneter Mann heraussprang und mehrfach durch die Scheibe in den Wagen von Muhsin Hendricks feuerte. Der 57-jährige Imam starb noch am Tatort. Der maskierte Täter und sein Fahrer konnten entkommen. Obwohl die Szene von einer Sicherheitskamera gefilmt wurde, ist sein Mörder bis jetzt nicht gefasst. Der Imam befand sich auf der Heimfahrt nach einer interreligiösen Trauung zweier heterosexueller Paare.

International geachteter Imam

Warum war Muhsin Hendricks international geachtet – und gleichwohl immer wieder bedroht von religiösen, nicht nur islamischen Fundamentalisten? Geboren wurde Muhsin in eine tiefgläubig islamische Familie. Die Mutter war Lehrerin und bereitete Frauen auf ihre Pilgerreise nach Mekka vor, der Großvater selbst Imam. Die Vorfahren stammten von ehemaligen Sklaven aus Indonesien ab, die von der Holländisch-Ostindischen Handelskompanie nach Südafrika verschleppt worden waren.

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Um auch Imam werden zu können, hatte er mit 23 Jahren einer arrangierten heterosexuellen Hochzeit zugestimmt, jedoch seiner Frau von Anfang an seine schwulen Gefühle mitgeteilt. Sie hatten drei Kinder, aber trennten sich nach sechs Jahren einvernehmlich.

Über zwei Monate zog sich Muhsin Hendricks zurück zum Fasten und Beten. Am Ende fühlte er tiefe Klarheit, dass Allah alle Menschen so geschaffen habe, wie sie sind. Und dass es ein liebender und nicht hassender Gott sei. Bei seinem öffentlichen Coming-out mit 29 Jahren erklärte er: »Ich bin Muslim, und ich bin schwul. Sollte jemand mich töten wollen, dann begegne ich meinem Schöpfer authentisch als der, der ich bin.«

Schutzraum für queere Muslime

Wenig später gründet er in Kapstadt den Inner Circle (Inneren Kreis), wo sich queere Muslims unbehelligt treffen können. Er nennt sich Maulana (mitfühlender Beschützer). Bald wird die Wärme und Ermutigung auch von Frauen, die gleichberechtigt sein möchten, und anderen genutzt, die Rechte sexueller Minderheiten und Islam nicht als Gegensatz sehen. Inzwischen akzeptiert ihn die eigene Familie. In Pakistan beginnt er ein vierjähriges Studium des islamischen Rechts an der konservativen Jamia-Dirasat-Al-Islamia-Universität.

2011 gründet er in Kapstadt die Masjidul-Ghurbaah-Moschee und 2018 die Al-Ghurbaah Foundation für queere Muslime. Dabei setzt er sich auch für Verfolgte und Asylsuchende aus anderen afrikanischen Ländern ein. Zunehmend erlangt er auch internationale Anerkennung und wird zu Vorträgen im Ausland eingeladen. Dazu trägt auch sein Auftritt in dem Dokumentarfilm »A Jihad for Love« (2007) bei. Seit 2006 war er mit einem schwulen Hindu verheiratet.

So wie die Anerkennung in Südafrika und weit darüber hinaus zunahm, so hörten jedoch auch die Anfeindungen nicht auf. 2022 erließen konservative Muslime eine Fatwa (Stellungnahme islamischer Gelehrter) gegen ihn. Alle, die ihn näher kannten, bestätigen Muhsin Hendricks eigene Friedfertigkeit – niemals trat er gegenüber seinen Kritikern aggressiv auf und setzte durchweg auf Dialog. 

Seine Ermordung wurde in vielen Ländern, auch in Deutschland, mit tiefer Trauer aufgenommen. In Südafrika verurteilte die islamische Dachorganisation United Ulama Council das Verbrechen eindeutig, obwohl sie Hendricks’ Aussagen zur Homosexualität bekanntermaßen kritisch gegenüber steht.

Mehrfach ist Muhsin Hendricks auch in Deutschland aufgetreten. Die Einladung zum diesjährigen Evangelischen Kirchentag in Hannover am 4. Mai zum Podium »Das Feiern von Stolz und Vielfalt« wird er nicht mehr wahrnehmen können.

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