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Den Staat in die Schranken weisen
»Ella« berichtet über die Besetzung des Dannenröder Forsts und ihre 529 Tage in Haft
UWP1 wurde sie vom Gefängnispersonal angesprochen. Es ist die Abkürzung für »Unbekannte weibliche Person« Numero 1. In der linken Öffentlichkeit wurde sie unter dem Namen Ella bekannt. Sie ist bei der Räumung des Dannenröder Forsts (»Danni«) in Osthessen im November 2020 verhaftet worden und weigerte sich hartnäckig, ihren Pass zu zeigen. Weil sie auch ihre Fingerkuppen bearbeitet hatte, damit keine Abdrücke genommen werden konnten, war eine Identifikation nicht möglich.
529 Tage musste Ella in der Frankfurter JVA in Haft verbringen. Die Kampagne »Free Ella« sorgte dafür, dass sie nicht vergessen wurde. Ein wichtiger Beitrag zur Solidarität war auch der Film »Ella – von einer Staatsmacht, die einschüchtern und verschleiern will«. Er setzte sich vor allem mit dem Vorwurf auseinander, die Klimaaktivistin hätte bei der Räumung angesichts der geplanten Rodung des besetzten Waldes einen Polizisten mit ihrem Widerstand in Lebensgefahr gebracht. Später gab jener Beamte zu, dass dem nicht so war, er beim Erklimmen eines Baumhauses mit mehreren Gurten gesichert und nicht durch einen lebensgefährlichen Absturz gefährdet war.
Jetzt stellt Ella in einem sehr persönlichen Buch ihre Position zur Diskussion. In dem gut gestalteten Band dokumentieren zudem elf Fotos die Solidaritätsbewegung »Free Ella«. Die Aktivistin erinnert sich, wie sie die Nachrichten im Gefängnis erreichten und immer wieder Mut gaben. Ella berichtet aber auch von Tagen der Verzweiflung und Niedergeschlagenheit. Sehr gut beschrieben ist ihr Kampf um vegane Ernährung hinter Gittern, der Ella viel Kraft kostete und sie gesundheitlich stark schwächte. Am Ende aber war sie erfolgreich. Heute ist die Versorgung mit veganen Mahlzeiten hinter Gittern nicht mehr unüblich. Dies dank Ella, die sich für Alternativen zum Konsum von tierischen Produkten im Strafvollzug einsetzte. Auch wenn sie generell weiterhin für die Abschaffung aller Haftanstalten kämpfen werde, wäre es ebenso wichtig, dafür zu streiten, das Leben für alle momentanen Insassen erträglicher zu gestalten.
Ella spart nicht mit Kritik an solidarischen Menschen und Strukturen. So beklagt sie, während ihrer Gefangenenschaft zu wenig in die Solidaritätskampagnen einbezogen worden zu sein. Ihrem Anwalt wirft sie vor, sie nicht rechtzeitig darüber informiert zu haben, dass es ein Video gibt, in dem zu sehen ist, wie sie sich gegen einen Polizisten wehrt, der sie im Hüttendorf festnehmen will. Das hatte sogar zum Anwaltswechsel geführt, was nicht ganz nachzuvollziehen ist.
Nachdem Ella konstatieren musste, dass die Solidarität nicht ausreichte, um ihre Freilassung zu erzwingen, war sie letztlich dann doch bereit, gegenüber den Behörden ihre Anonymität aufzugeben. Kurz danach wurde sie entlassen. Als sinnlos erachtet sie ihre lange Weigerung, sich auszuweisen dennoch nicht. Nicht zu Unrecht beharrt sie auf ihrer Meinung, dass der Staat nicht das Recht habe, über ihre Identität und damit ihre Individualität zu verfügen.
»Der Prozess hatte für viele, die mit dem Kampf in Berührung kamen, die Bedeutung wahrer Gerechtigkeit aufgewühlt und sie mit einem klaren Fall von Ungerechtigkeit konfrontiert, die Legitimität des gesamten Systems infrage stellte und den Glauben vieler, die dann die Möglichkeit und Vorstellungskraft für Alternativen öffnen musste«, schreibt Ella. Vielleicht zu optimistisch. Und der von Ella propagierte Anarcho-Primitivismus, der gesellschaftliche und Klassenwidersprüche negiert, scheint mir nicht geeignet, die menschliche Emanzipation wirklich erfolgreich voranzubringen.
Ella/UWP1: Gefangenschaft überwinden. Aufruf zur Waldverteidigung und Personalienverweigerung. Verlag Graswurzelrevolution, 112 S., br., 12 €.
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