Die Aktualität einer Unangepassten

Birgit Sack erinnert an die Sorbin, Kommunistin und Antifaschistin Maria Grollmuß

  • Gerd-Rüdiger Hoffmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor der Schule in Radibor (Landkreis Bautzen) erinnert ein Denkmal an die sorbisch-katholische Publizistin Maria Grollmuß.
Vor der Schule in Radibor (Landkreis Bautzen) erinnert ein Denkmal an die sorbisch-katholische Publizistin Maria Grollmuß.

Ein Marxist müsse für die Revolution kämpfen. Doch dies sollte den- oder diejenige nicht daran hindern, Freundschaften und Bündnisse mit Menschen in anderen politischen Lagern, Parteien oder auch fern der Politik einzugehen und an ihnen festzuhalten. Kluge und liebe Menschen gebe es nicht bloß in der eigenen Partei. Davon war die Intellektuelle, Sorbin, Katholikin, Sozialistin und Antifaschistin Maria Grollmuß (sorbisch; Marja Grólmusec) überzeugt. Ihr hat die Historikerin Birgit Sack eine einfühlsame und berührende Biografie gewidmet, die Maßstäbe für weitere Publikationen setzt. Und das in zweierlei Hinsicht, denn einmal hat sie durch akribisches Quellenstudium und zahlreiche Gespräche mit Zeitzeuginnen wahrscheinlich alles zurzeit verfügbare Material über ihre Protagonistin ausgewertet und in einem gut lesbaren und regelrecht spannenden Buch präsentiert. Zum anderen geht sie ein methodisches Problem an, das über das spezielle Interesse an ihre Heldin hinausgeht, nämlich unterschiedliche Erinnerungsnarrative zu untersuchen und mit diesem Ansatz ein Werkzeug anzubieten, wie bisherige einseitige Interpretationen zu kritisieren wären.

Sack bietet so nicht nur bisher unbekannte biografische Einzelheiten über das Leben und Wirken von Maria Grollmuß in einer bisher nicht dagewesenen Ausführlichkeit, sondern analysiert auch die teils kontroverse Rezeption von deren Wirken in der Fachliteratur, in Schulbüchern, in ausgewählten Tageszeitungen, in Kunst und politischer Bildung.

Maria Grollmuß wurde am 24. April 1896 in Leipzig als Tochter einer Deutschen und eines Sorben, eines Schuldirektors, geboren und starb am 6. August 1944 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Sie hatte in den 1920er Jahren in Leipzig und Berlin Philologie und Geschichte studiert und wurde 1928 nach mehreren Anläufen promoviert. Bereits vorher hatte sie mehrere wissenschaftliche Artikel und das Buch »Die Frau und die junge Demokratie« verfasst. Nach 1933 im antifaschistischen Widerstand aktiv, wurde sie denunziert, in Radibor (Radwor) festgenommen und kam nach einem demagogischen Gerichtsprozess ins Zuchthaus Waldheim.

Viele Aussagen in der Literatur über Grollmuß, aber auch in Selbstzeugnissen, in Briefen und Schriften, scheinen nicht recht zusammenzupassen. Sie wird als antifaschistische Widerstandskämpferin und Verfolgte des Nazi-Regimes, aber auch als christliche Märtyrerin beschrieben. Nichts ist komplett falsch. Doch es gab auch Versuche, sie exklusiv einer bestimmten politischen oder weltanschaulichen Strömung zuzuordnen. Das konnte jedoch nie richtig gelingen. Die Initiative »Frauenorte in Sachsen« und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg bemühen sich, ein differenziertes Bild dieser herausragenden Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts zu vermitteln. Sack stellt mit ihren Forschungsergebnissen dieses Bemühen auf ein sicheres Fundament.

In der DDR wurde Grollmuß als Antifaschistin geehrt. Ihr Porträt war auf einer Briefmarke abgebildet. Öffentliche Einrichtungen, sozialistische Brigaden in Produktionsbetrieben und Straßen trugen ihren Namen. Trotzdem standen verschiedene Deutungen immer wieder einer differenzierten Bewertung ihrer Persönlichkeit im Wege. Sack nennt »drei Deutungskonstruktionen, die das Bild von Maria Grollmuß bis in die Gegenwart prägen: die sozialistische Kämpferin, die sorbische Patriotin und die Glaubensmärtyrerin … Die Deutungslinien werden in verschiedenen Varianten miteinander kombiniert, bewerten jedoch biografische Prägungen unterschiedlich und häufig einseitig und stehen bis in die Gegenwart in einem Mit- und Gegeneinander.« Detailliert beschreibt die Biografin die jeweiligen Tendenzen zu unterschiedlichen Zeiten bis hin zur Frage, »wie Maria Grollmuß als vormals antifaschistische Heldin im vereinten Deutschland rezipiert wird«. Dass diese beeindruckende Frau in der historischen Forschung der Bundesrepublik kaum wahrgenommen wurde, führt die Autorin vor allem auf die »Vereinnahmung von Maria Grollmuß in der DDR« zurück.

Hier und an einigen anderen Stellen des Buches könnte der Eindruck entstehen, dass Birgit Sack sich das Verdikt nach der deutschen Vereinigung zu eigen macht, wonach auch die Minderheitenpolitik in der DDR auf »Unterordnung sorbischer Belange im Zuge der kommunistischen Diktaturdurchsetzung« ausgerichtet war. Solche Aussagen passen so gar nicht zur methodischen Stringenz und Gründlichkeit der Verarbeitung des empirischen Materials.

Interessant ist, dass Grollmuß nie als »unbeugsame Kommunistin« etikettiert wurde, auch nicht in der DDR. Aber es wurde auch nicht mit den sonst in der kommunistischen Bewegung leider durchaus üblichen Begriffen wie »Verrat«, »Mangel an Einsicht und Disziplin«, »Festhalten an bürgerlicher Lebenseinstellung« oder »Befangenheit im Religiösen« gearbeitet. Grollmuß war nacheinander Mitglied in fünf verschiedenen Parteien: Zentrumspartei, SPD, KPD, KPD-Opposition, SAPD und dann wieder SPD.

Vom christlichen Glauben konnte und wollte sie sich nicht lösen, obwohl sie wusste, dass revolutionärer Kommunismus und Katholizismus als »zwei verschiedene und einander ausschließende Manifestationen« erscheinen, aber doch »gleiche Ideen« sind. Sie träumte davon, die katholische Linke mit der sozialistischen Linken zu vereinigen. Das wirklich Geistige aus unterschiedlichen Lagern sollte doch zusammengehen können. Und: Der Marxismus sei nicht als bürgerliche Wissenschaft zu betreiben, war sie überzeugt.

Maria Grollmuß sympathisierte mit dem Proletariat und wollte in ihm das revolutionäre Subjekt entdecken. Aber sie zweifelt immer wieder, wenn es dann doch zu schlicht zuging, »zu viel gesoffen wurde«. Sie übte sich in Parteidisziplin und stand fest zu Ernst Thälmann, der die Ausrichtung der Partei nach stalinistischem Muster vorantrieb, obwohl sie doch eigentlich »zur anderen Fraktion« gehörte. Die Abschnitte über ihre KPD-Zeit dürften zu den interessantesten des Buches gehören. Grollmuß wollte ganz »der Sache« dienen, verteidigte die Russische Revolution, schwärmte von Rosa Luxemburg und stand 1928 im sogenannten Wittorf-Skandal der KPD treu zu Thälmann, als dieser erst abgesetzt und dann auf Geheiß Stalins wieder eingesetzt wurde. Sie verinnerlichte eine Haltung, die von ihr verlangte, zuerst kommunistische Parteipolitikerin zu sein.

Und doch wurde Grollmuß aus der KPD und später auch aus der KPD-Opposition ausgeschlossen. Sack zeigt den historischen Kontext auf, hat eine Erklärung hierfür. Grollmuß hielt an sozialdemokratischen Traditionen fest, die ihrer Meinung nach in der kommunistischen Bewegung bewahrt werden müssten. Insofern wurde sie in Ravensbrück von ihren Mithäftlingen respektiert, konnte ihnen, egal welcher Konfession oder Parteizugehörigkeit, Kraft und Hoffnung vermitteln. Das Buch von Birgit Sack in jede öffentliche Bibliothek, vor allem in jede Schulbibliothek der Lausitz.

Birgit Sack: Maria Grollmuß 1896–1944. Biografische Annäherung und Erinnerungsnarrative. Wallstein, 644 S., geb., 48 €.

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