- Politik
- Algerien
Algerien folgt ägyptischem Vorbild
Ein repressives Muster charakterisiert Grenzregime und Asylgesetze in Nordafrika – zur Freude der EU
Es bewegt sich etwas in Sachen Grenzregimearchitektur in Nordafrika – mit potenziell weitreichenden Folgen. Nachdem die Europäische Union jahrelang erfolglos versucht hatte, nordafrikanische EU-Anrainerländer dazu zu bewegen, Asylgesetze zu verabschieden, drückte Ägypten Ende 2024 im Schnellverfahren tatsächlich ein solches Regelwerk durch seine Institutionen. Im Dezember ratifizierte Präsident Abdel Fattah Al-Sisi das vage formulierte Gesetz, das Asylanerkennungsverfahren vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR an den ägyptischen Staat überträgt. Nun bestätigte auch das UNHCR-Büro in Algier auf »nd«-Anfrage, dass Algeriens Regierung ebenfalls an einem solchen Vorhaben arbeite.
»Das UNHCR ist zwar nicht direkt in den Entwurfsprozess involviert, aber wir bieten den algerischen Behörden weiterhin technische Unterstützung und Fachwissen an, um die Gesetzgebung an internationale Standards anzupassen«, so das Algerien-Büro des UNHCR in einer E-Mail an »nd«. Derzeit würden mit Algerien Gespräche darüber geführt, wie die UN-Behörde am effektivsten zu diesem Prozess beitragen könne. Informationen über einen konkreten Fahrplan oder den Inhalt des Gesetzes habe man nicht, heißt es in dem Schreiben.
EU würde Asylverfahren gerne nach Nordafrika auslagern
Der Gesetzgebungsprozess steckt noch in den Anfängen. In einem im Januar veröffentlichten UNHCR-Strategiepapier heißt es mit Bezug auf das Gesetz uneindeutig, die UN-Behörde werde sich künftig darum bemühen, »den Zugang zu Asyl, Registrierung und Dokumentation in Algerien zu erweitern« – entweder »gemeinsam mit der Regierung oder durch die Regierung«. Es scheint tatsächlich noch unklar zu sein, welche Rolle das UNHCR nach Einführung dieser Gesetze spielen soll. Auch in Ägypten herrscht weiter Unklarheit über diese Frage, ist doch zusätzlich zum bereits ratifizierten Gesetz noch eine diesem beigestellte Satzung vorgesehen – und die lässt auf sich warten.
Die EU fördert derweil schon seit den 2010er Jahren gemeinsam mit dem UNHCR aktiv Gesetzgebungsprozesse für solche Regelwerke in der Region. Nachdem Algerien bereits 2012 an einem Entwurfstext gearbeitet hat, entwarfen Marokko 2014 und Tunesien 2017 je eine Vorlage. In allen drei Fällen wurden die Entwürfe aber nie den Parlamenten zur Abstimmung oder der Exekutive zur Ratifizierung vorgelegt – sie verschwanden in der Schublade. EU-Staaten erhoffen sich von einer geltenden Asylgesetzgebung in den genannten Ländern, Anerkennungsverfahren für Anträge auf politisches Asyl nach Nordafrika vorverlagern und damit die Flucht und Migration in Richtung Europa eindämmen zu können.
»Das UNHCR ist zwar nicht direkt in den Entwurfsprozess involviert, aber wir bieten den algerischen Behörden weiterhin technische Unterstützung und Fachwissen an.«
UNHCR in Algerien
Der Dublin-Logik zufolge wäre es leichter, autoritär regierte EU-Anrainerländer als »sicher« zu behandeln, wenn hier Asylgesetze gelten würden. Die Umsetzung europäischer Fantasien, Drittstaatsangehörige in nordafrikanische »Transitstaaten« – wie es im Grenzregimejargon so schön heißt – abzuschieben, gelten angesichts der strikten Weigerungen von deren Regierungen bisher allerdings als ausgeschlossen.
Unterdessen verfolgen Ägypten – und offenbar auch Algerien – mit den Asylgesetzen ganz eigene Ziele. »Mit diesem Gesetz will Ägypten möglicherweise ein größeres Maß an Kontrolle über Flüchtlings- und Asylangelegenheiten erlangen, statt die Verantwortung weiterhin an das UNHCR zu delegieren«, so der ehemalige UNHCR-Offizielle Jeff Crisp im Gespräch mit »nd«. Regierungen wie jene Ägyptens seien dennoch daran interessiert, auch nach der Einführung solcher Gesetze die Einbindung des UN-Flüchtlingshilfswerks beizubehalten, so der als Kritiker der UN-Behörde bekannte Crisp. Schließlich könne das UNHCR internationale Ressourcen mobilisieren und schaffe Legitimität, die einer Regierung wiederum dabei helfen könne, Kritik am behördlichen Umgang mit Geflüchteten entgegenzutreten.
Algerien schiebt in Massen in die Wüste ab
Angesichts nicht gegebener Rechtsstaatlichkeit, der extrem angespannten oder gar katastrophalen Menschenrechtslage und der systematisch gegen Flüchtlingsrecht verstoßenden Abschiebepraxis können dabei weder Algerien noch Ägypten als »sicher« für Flüchtlinge eingestuft werden – mit oder ohne Asylgesetz. Vor allem für rigorose Abschiebungen sind Algerien und Ägypten inzwischen berüchtigt.
Während Ägypten regelmäßig Menschen in die Militärdiktatur Eritrea oder in den im Krieg versinkenden Sudan abschiebt, gehen Algeriens Massenausweisungen von Flüchtenden und Migrantinnen in ein Wüstengebiet nahe der Grenze zum Nachbarland Niger ebenfalls unbeirrt weiter. Allein 2024 schoben algerische Behörden mindestens 31 404 Menschen dorthin ab, so das Aktivistennetzwerk Alarme Phone Sahara. Auch vom UNHCR anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerberinnen wurden in der Vergangenheit immer wieder auf diesem Wege abgeschoben. Zu aktuellen Zahlen schweigt sich die UN-Behörde in ihrem Antwortschreiben allerdings aus.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.