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Blockaden gegen rechte Aufmärsche im ganzen Land
Rechtes Bündnis bleibt überall unter erwarteter Beteiligung
Den Friedensplatz in der Dortmunder Innenstadt kann man mit zwei einfachen Worten beschreiben: groß und karg. 800 Demonstrant*innen füllen den Platz bei Weitem nicht aus. Die Abschlusskundgebung der rechten Gemeinsam-für-Deutschland-Demonstration am Samstag füllte etwa ein Viertel des Platzes. Viel Raum für die etwa 60 bis 80 Neonazis aus der Partei Die Heimat (früher NPD) und ihrem Umfeld. Gemeinsam suchen die überwiegend jungen Männer und Frauen die Ränder des Platzes nach Gegendemonstrant*innen ab. In einer Ecke werden sie fündig, bauen sich martialisch hinter einer Polizeikette auf und beschimpfen die Nazi-Gegner*innen auf nicht unbedingt niveauvolle Weise.
Nach ein paar Minuten wird auch das wieder langweilig. Man versammelt sich zu einem Pulk, nimmt einen jungen Kameraden auf die Schulter, aus einem Handy wird über ein Megafon die dritte Strophe der Nationalhymne abgespielt. Das Mitsingen klappt nur so mittelgut. Dann haben die Neonazis keine Lust mehr. Sascha Krolzig, langjähriger Szenekader, verhandelt mit der Polizei über die Abreise der Gruppe. Die Polizei begleitet sie bei einem Marsch einmal quer durch die Innenstadt zum Hauptbahnhof. Rassistische Parolen sind auf Dortmunds Haupteinkaufsstraße zu hören. Auf dem Friedensplatz schrumpft zeitgleich die Kundgebung von Gemeinsam für Deutschland immer weiter.
Gemeinsam für Deutschland ist ein ebenso junges wie diffuses Bündnis. Vor knapp einem Monat hatte die Gruppe zum ersten Mal zu Demos in mehreren Städten im ganzen Bundesgebiet aufgerufen und überraschte mit hohen Teilnehmer*innenzahlen. In Berlin marschierten etwa 600 Menschen, ebenso in Hannover. In Düsseldorf waren es sogar 800.
Nun, zum zweiten Protesttag, hatte das Bündnis 18 Demos in allen 16 Bundesländern angemeldet, in Baden-Württemberg gab es mehrere, und fantastisch hohe Teilnehmer*innenzahlen angekündigt. Für Berlin etwa erwartete man 3500 Teilnehmer*innen. Auf die Straße gingen am Samstag etwa 300. Angeführt wurden sie von der jungen Neonazi-Gruppierung Deutsche Jugend Voran.
Neonazis sind allerdings nur ein Teil der Demonstrationen. Der Kern von Gemeinsam für Deutschland stammt aus der Szene der Corona-Leugner*innen und Querdenker*innen. Thematisch waren die Aufrufe zu den Demonstrationen eine krude Mischung. Frieden mit Russland und keine Waffenlieferungen für die Ukraine wurden ebenso gefordert wie Grenzschließungen und Abschiebungen. Außerdem fühlen sich viele Demonstrant*innen in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Mobilisiert wurde für die Demonstrationen überwiegend über Tiktok-Videos und in Whatsapp-Gruppen.
Zurück nach Dortmund. Auf dem Weg zum Friedensplatz hatte Gemeinsam für Deutschland es nicht unbedingt leicht. Hunderte Antifaschist*innen stellten sich dem rechten Aufmarsch nämlich in den Weg. Auf die Wegstrecke der Rechten schafften es dabei nur kleinere Sitzblockaden. Eine große Gruppe von Nazi-Gegner*innen wurde, als sie auf dem Weg in Richtung des rechten Aufmarsches war, von der Polizei für mehrere Stunden eingekesselt.
Die Polizei warf den Antifaschist*innen vor, Absperrungen überwunden zu haben. Sonja Lemke, Linke-Bundestagsabgeordnete aus Dortmund, warf der Polizei im Anschluss vor, »das Augenmaß für Verhältnismäßigkeit völlig verloren« zu haben. Lemke bemängelt, dass die Demonstrant*innen stundenlang ohne Zugang zu Wasser und Toiletten festgehalten wurden. »Blockaden rechter Aufmärsche sind ein legitimes Mittel des Protestes«, stellt die Bundestagsabgeordnete fest. »Ich freue mich sehr, dass Tausende Menschen dem Aufruf des Bündnisses Blockado gefolgt sind und erfolgreich gegen den rechten Aufmarsch protestiert haben.«
Zu einem unschönen Vorfall kam es in Dortmund noch am späten Abend. Drei ehemalige Teilnehmer*innen des rechten Aufmarsches beklagten, Opfer von Angriffen geworden zu sein. Unter ihnen eine 20-Jährige, die in der vergangenen Woche selbst wegen Nazischmierereien, unter anderem an der Geschäftsstelle der Grünen Jugend, festgenommen worden war.
Daraufhin stürmte die Polizei am späten Abend die linke Kneipe »Nordpol«. Man vermutete dort aufgrund unabhängiger Zeugenaussagen, wie die Polizei in einer Pressemitteilung betont, die Täter*innen des Angriffs auf die Rechten. Von mehreren Besucher*innen des »Nordpols« wurden die Personalien aufgenommen.
Kathrin Wischke, Sprecherin des »Nordpols«, reagiert darauf mit Unverständnis: »Den ganzen Tag über zogen gewaltbereite Gruppen von Neonazis ungehindert durch die Innenstadt und später die Nordstadt. Als es dann spät in der Nacht tatsächlich zu einer Auseinandersetzung kommt, sucht die Polizei die Verdächtigen ausgerechnet an einem der wenigen Orte, an dem rechte Gewalt regelmäßig thematisiert wird.« Auch die linke Bundestagsabgeordnete Sonja Lemke wertet den Einsatz im »Nordpol« als »einen weiteren unzulässigen Einschüchterungsversuch gegen die linke Szene«.
Die Demonstrationen von Gemeinsam für Deutschland blieben am Samstag bundesweit weit unter den angekündigten Teilnehmer*innenzahlen. Demonstrierten vor einem Monat noch deutlich über 9000 Menschen bundesweit, waren es jetzt weniger als 7000. Der antifaschistische Protest erwies sich hingegen als dynamisch. In zahlreichen Städten gab es Blockaden. In Reutlingen schafften die Rechten es nicht bis zu ihrem Abschlusskundgebungsort auf dem Marktplatz. Auch in Hamburg wurde der Aufmarsch erfolgreich blockiert.
Wie es mit Gemeinsam für Deutschland weitergeht, ist nun fraglich. Auf Tiktok äußern Teilnehmer*innen und Organisator*innen schon ihren Unmut über den Verlauf des Samstags. Gerade die mangelnde Beteiligung sorgt für Enttäuschungen. Ob es noch viele Aufmärsche des Bündnisses geben wird, darf also angezweifelt werden.
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