- Wirtschaft und Umwelt
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Debatte über Bodycams in NRW-Kliniken
Medizinisches Personal, ausgestattet mit Kameras? Gewerkschaften zeigen sich skeptisch
1705 Gewaltdelikte wurden laut der Gewerkschaft Verdi 2023 in NRW-Kliniken registriert – fast fünf Vorfälle pro Tag. Ein Jahr später waren laut Medienberichten in den landesweit gut 300 Krankenhäusern zwar nur noch 1256 Gewaltdelikte angezeigt worden, dennoch bedeuteten beide Werte im Zehn-Jahres-Vergleich fast eine Verdoppelung der Fallzahlen. Der Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte, der Marburger Bund, führte dazu im Herbst 2024 eine Mitgliederbefragung durch. Demnach berichteten 41 Prozent der rund 10 000 Mitglieder von einer Gewaltzunahme in den vergangenen fünf Jahren.
Besonders im Ruhrgebiet werde immer wieder Klinikpersonal beleidigt, bespuckt oder auch körperlich attackiert. Nicht selten durch Angehörige von Patienten, da diese mit langen Wartezeiten oder wegen Engpässen aufgrund des chronischen Personalmangels nicht zufrieden sind. Ärzte in Notaufnahmen und Notdienstpraxen geben gegenüber »nd« an, dass oftmals überzogene Anspruchs- und Erwartungshaltungen der Angehörigen und Patient*innen bestünden. Die Auswüchse einer »allgemeinen Verrohung und Enthemmung in der Gesellschaft« erlebe man auch auf Notaufnahmen und Stationen.
Wegen Übergriffen insbesondere in der Notaufnahme hatte eine Dortmunder Klinik Anfang 2025 die Einführung von Bodycams im Laufe dieses Jahres angekündigt. Das Personal solle dabei in der Dienstzeit selbst entscheiden, wann das Tragen einer Kamera und die Filmaufnahme ratsam erscheinen, berichtet die »Westdeutsche Allgemeine Zeitung«.
Statt Bodycams fordern sowohl die Gewerkschaft Verdi als auch der Marburger Bund mehr sofortige Schutzmaßnahmen. Dazu gehören etwa ein flächendeckendes Sicherheitskonzept sowie geschultes Sicherheitspersonal in den Kliniken. »Wir denken auch, dass verpflichtende Deeskalationstrainings für alle Beschäftigten mit Publikumsverkehr – besonders auch in Kliniken – sinnvoll sind«, äußert Ismail Cebe, Gewerkschaftssekretär bei Verdi, gegenüber »nd«.
Er fordert auch eine »langfristige Prävention«. Es braucht laut Cebe gesetzliche Personaluntergrenzen im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst. »Ein Ausbau psychosozialer Unterstützung für Betroffene ist zudem dringend notwendig.«
Ähnlich stellt das auch der Marburger Bund dar. Bereits etablierte Schutzmaßnahmen sollten weiter ausgebaut werden. Allerdings ist deren Finanzierung, wie so oft zwischen Land und Bund, unklar. Wenn die erhöhten Kosten für Sicherheitspersonal oder Alarmsysteme als Investitionskosten gewertet werden, müssten sie vom Land übernommen werden. Sind es Betriebskosten, springt der Bund ein.
»Wir brauchen mehr Aufklärung, ausreichend Personal in der Patientenversorgung und adäquate Schutzmaßnahmen für Ärzte und das Pflegepersonal.«
Marbuger Bund Bundesverband
»Wir brauchen mehr Aufklärung durch breit angelegte Kampagnen, ausreichend Personal in der direkten Patientenversorgung und adäquate Schutzmaßnahmen für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal«, heißt es auf »nd«-Anfrage vom Bundesverband Deutschlands einziger Ärzte-Gewerkschaft. Die Politik sei gefordert, die Rahmenbedingungen der Versorgung besser zu gestalten.
Das NRW-Innenministerium hingegen argumentiert, Bodycams für Krankenhauspersonal könnten grundsätzlich ein Mittel zur Gewaltprävention sein. Sichtbare Kameras könnten eine deeskalierende Wirkung haben und dazu beitragen, Übergriffe auf Personal im Gesundheitswesen zu reduzieren. Sollten die Kameras tatsächlich eingeführt werden, könnte das wegweisend für den Umgang mit Gewalt in den Kliniken anderer Bundesländer sein. Denn natürlich gibt es auch dort Gewalt gegen Ärzt*innen und Pflegepersonal.
Die Vorteile der kleinen Kameras liegen laut Innenministerium in der »Beweissicherung, was sowohl dem Schutz des Personals als auch der Aufklärung von Vorfällen dienen kann«. Die Kliniken müssten aber klare Rahmenbedingungen für den Einsatz der Kameras erarbeiten, so die Landesregierung. Sie möchte einen neuen Sicherheitsleitfaden unterstützen, den die Krankenhausgesellschaft für alle Kliniken in NRW entwickelt hat.
Schnellere Strafverfolgung und härtere Urteile bei Übergriffen bräuchte es, meint Verdi-Gewerkschaftssekretär Ismail Cebe, um Täter abzuschrecken. »Die aktuellen Zahlen zu Gewaltvorfällen in nordrhein-westfälischen Kliniken und öffentlichen Einrichtungen sind nicht nur alarmierend – sie sind ein gesellschaftlicher Skandal.« Er erlebe täglich, wie Kolleg*innen im Dienst beleidigt, bedroht oder sogar körperlich angegriffen werden. »Diese Entwicklungen dürfen wir nicht länger hinnehmen.«
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