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  • »Der Meister und Margarita« im Kino

Rettet uns der Teufel?

Die einen wollten unbedingt fördern, die anderen unbedingt verhindern: Michael Lockshins Verfilmung von Bulgakows Roman »Der Meister und Margarita«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Jewgeni Zyganow als Meister und Julia Snigir als Margarita sind Getriebene, die nach einem Halt inmitten haltloser Zustände suchen.
Jewgeni Zyganow als Meister und Julia Snigir als Margarita sind Getriebene, die nach einem Halt inmitten haltloser Zustände suchen.

Dies ist eine einzige große Rachefantasie, an der Michail Bulgakow von 1928 bis zu seinem Tod 1940 schrieb. Sechs Fassungen entstanden, alle wurden von der Zensur als nicht druckbar abgelehnt. Wo ist hier die Teufeliade? Im Roman selbst oder im Umgang mit dem Autor?

Aber es ist alles noch viel merkwürdiger: Bulgakow wollte unbedingt, dass Stalin »Meister und Margarita« liest. Sollte er sich in Woland wiedererkennen, dem rettenden Teufel, der nach Moskau kommt, um mit allen Feinden des »Meisters« abzurechnen? Schwer zu sagen. Fakt ist, dass Stalin dafür sorgte, dass Bulgakow nicht ermordet wurde (wie so viele andere sowjetische Künstler Ende der 1930er Jahre) oder in einem Gulag verschwand. Die Sowjetunion verlassen darf er ebenfalls nicht und verboten ist am Ende alles, was er schreibt (bis auf das Theaterstück »Die Tage der Turbins«, das Stalin persönlich gefällt).

Der Diktator verschafft Bulgakow eine Festanstellung am Theater und ein Telefon – und ruft ihn sogar an. Der Herr über Leben und Tod kann jederzeit am Telefon sein – wer sollte da nicht verrückt werden? Das Leben des Autors Michail Bulgakow scheint ein einziger böser Traum, wie jene von ihm in einem Brief geschilderte Begegnung mit einem Theaterdirektor 1934 zeigt: »Ich lese vor. Der Theaterdirektor, der zugleich Regisseur ist, hört zu, äußert totale und offenbar aufrichtige Begeisterung, will aufführen, verspricht Geld und sagt, er komme in 40 Minuten wieder, um mit mir zu Abend zu essen. Nach 40 Minuten kommt er wieder, isst zu Abend, sagt über das Stück kein Wort, verschwindet dann, als hätte ihn der Erdboden verschluckt und ist seitdem verschwunden.«

Aus solchen surrealen Begegnungen ist »Der Meister und Margarita« gemacht. Kunst trifft Macht, und diese wird bekanntlich zu allen Zeiten von deren Adepten verwaltet, den Hofschranzen der Macht. Alle diese sind Bulgakows erbitterte Feinde, schon bei Erwähnung seines Namens warnen sie fingerzeigend vor den Gefahren der bürgerlichen Dekadenz. Bulgakow lässt sie auftreten: Leopold Awerbach etwa, Literaturkritiker und Chef der Literaturvereinigung Rapp (auch er wird 1937 erschossen) – bei Bulgakow heißt er Berlioz und wird von einer Straßenbahn geköpft, wie es Woland prophezeit hat.

Man ahnt: Hier wird Geschichte ausgebreitet, auf eine Weise, die sie nicht voreilig beerdigt. Für meine Generation in der DDR war »Meister und Margarita« eine Art literarische Bibel angesichts des platten sozialistischen Realismus. Und für den Regisseur dieser russisch-kroatischen Koproduktion Michael Lockshin hat die Geschichte offenbar ebenfalls etwas Drängendes, jedenfalls ist seine Verfilmung von »Meister und Margarita« alles andere als historisierend.

Gewiss liegt das auch an Lockshins Biografie. 1981 wurde er in den USA geboren, 1986 wanderten seine Eltern in Gorbatschows Sowjetunion aus. In Moskau ging er zur Schule, studierte Psychologie, zog dann nach London und begann Filme zu drehen. Zuerst waren es Werbefilme, 2020 gab er sein Spielfilmdebüt mit »Silver Skates«, der in Cannes zum Sensationserfolg wurde.

Da er halb Russe, halb Amerikaner ist, konnte er nun das Großprojekt »Der Meister und Margarita« in Russland realisieren – das die einen unbedingt fördern, die anderen unbedingt verhindern wollten. Der Film, der nach langem Tauziehen Anfang vergangenen Jahres (ohne jede Werbung) ins Kino kam, fand sofort sechs Millionen Zuschauer.

Offenbar hat diese kafkaeske Geschichte über Schriftsteller in der Irrenanstalt, abgebrannte Nobelapartments von staatstreuen Propagandisten, gequälte Ausrufe wie »Dies Land ist voll von Aberglauben!«, wieder einen Resonanzboden – und das, wie ich vermute, nicht bloß in Russland. Eine Utopie gibt es hier auch, sie fasst sich in dem Satz zusammen: »Manuskripte brennen nicht.« Und das ist eigentlich ein einziger Klagelaut.

Die Frage ist eine sehr gegenwärtige, auf die dieser Film zusteuert: »Wissen Sie schon, wie alles enden wird?«

Doch die Regie widersteht der Versuchung, ein Kammerspiel um einen gequälten Autor zu drehen, der in eine geträumte Gegenwelt flüchtet. Nein, er setzt auf effektvolle Bilder, dies hier ist Science-Fiction, aber ganz im Sinne Bulgakows. Manchmal scheint es dann auch ein allzu opulentes Schwelgen in Bildern. Das teilt diese Verfilmung mit einer früheren von 2005, ebenfalls sehenswerten achtstündigen TV-Serie fürs russische Fernsehen von Vladimir Bortko (die als Originalfassung als DVD erhältlich ist). 1988 hatte Bortko bereits Bulgakows »Hundeherz« verfilmt.

Lockshin kann hier aber auch mit seinen Darstellern punkten: August Diehl ist Woland, ein undurchdringlicher Mephisto, der um die Abwesenheit Fausts (eines positiven Helden also) sehr wohl weiß, eine dunkle Gegenmacht, der man sich nur anvertrauen sollte, wenn man mit dem Leben abgeschlossen hat. Eine Furie der Vernichtung – und doch in »Meister und Margarita« so etwas wie die letzte Hoffnung. Eine wahrlich schwarze Dialektik, als deren Herr August Diehl hier auf grandiose Weise agiert.

Den dänischen Schauspieler Claes Bang sehen wir als den von der gewaltlosen Macht, die von Jesus Christus ausgeht, überraschten Pontius Pilatus. Das ist dann jene Parallelhandlung in »Meister und Margarita«, in der es um den Prozess gegen Jesus als angeblichen Aufwiegler gegen die römische Besatzungsmacht geht. Inmitten all dieser mosaikartigen Symbolik, dem ständigen Wechsel der Zeitebenen und der Realitätsgrade hier den Durchblick zu behalten, scheint nicht selbstverständlich – aber Lockshin gelingt es, hier zugleich einen Publikumsfilm zu machen und dabei Bulgakows Parabel auf Macht und Kunst auf eine durchaus philosophische Ebene zu heben.

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Jewgeni Zyganow als Meister und Julia Snigir als Margarita sind Getriebene, die nach einem Halt inmitten haltloser Zustände suchen, ihn aber nirgendwo finden. In manchen Zeiten bleibt der Horizont schier unendlich lange verdunkelt – auch das sehen wir hier, inmitten der aufwendig-computeranimierten Szenerie (Kamera: Maxim Schukow), in der Moskau wie mit dem alten Rom zu verschmelzen scheint. Alles bleibt auf ungute Weise verschattet.

Die Frage ist eine sehr gegenwärtige, auf die dieser Film zusteuert: »Wissen Sie schon, wie alles enden wird?« Und ich denke bei diesen geradezu apokalyptisch drohenden Worten an die großen Mosfilm-Produktionen der Vergangenheit von Regisseuren wie Andrei Tarkowski, Elem Klimow, Alexander Mitta oder Nikita Michalkow – wie auch an die lange Reihe von wichtigen russischen Autoren, die uns dieses Land und seine Menschen näherbrachten, ohne darum arglos gegenüber seiner politischen Führung zu sein.

Doch Kunst vermag es nach wie vor, Feindbilder zu überwinden, Brücken des Verstehens zu bauen. Auch Michael Lockshins ebenso kluge wie bildgewaltige Verfilmung von »Meister und Margarita« zählt nun dazu.

»Der Meister und Margarita«, Russland 2024. Regie: Michael Lockshin, Buch: Michael Lockshin, Roman Kantor. Mit: August Diehl, Julia Snigir, Jewgeni Zyganow, Claes Bang. 157 Min. Kinostart: 1. Mai.

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