Wer, wen
Leonhards Fibel
Rechtzeitig vor der Bundestagswahl haben Elke und Wolfgang Leonhard ihre knallrote Fibel auf den Buchmarkt gebracht. Es ist zu hoffen, dass viele Genossen der SPD, aber auch der LINKEN, sie gründlichst studiert haben. Sollte dies noch nicht geschehen sein, so wäre dies nachzuholen, wenn der große Jammer wieder beginnt, heftig gestritten und geschimpft wird, wer mit wem warum koaliert oder eben auch nicht.
Es ist verständlich, dass den Leonhards die Misere der Sozialdemokratie mächtig an die Nieren geht. Und sie das Ihre beisteuern wollen, damit die Partei sich endlich am eigenen Schopfe aus dem Sumpfe zieht, in den sie sich selbst gestrampelt hat. Wie konnte der Umgang mit der Linkspartei zur Gretchenfrage der SPD werden? Das wollten sie ergründen.
Nur in Deutschland, so betonen sie eingangs, rufe die Berührung mit »kommunistischen Politikern und Parteien« regelrechte Hysterie hervor. Was seit Jahrzehnten europäische Normalität ist, gelte hierzulande nicht als selbstverständlich. Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetimperiums erleben die alten Parolen des Kalten Krieges Konjunktur. Doch die Bevölkerung (nicht nur in Ostdeutschland) lässt sich davon nicht mehr beeindrucken, wie Wahlergebnisse zeigen. Seit 1994 war die PDS in mehreren Bundesländern an Regierungskoalitionen beteiligt. »Die Horrorszenarien, die viele deswegen an die Wand gemalt hatten, sind bislang nicht Wirklichkeit geworden.«
Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Leonhards sind nicht zu Parteigängern der »Kommunisten« geworden. Schon gar nicht will der 88-jährige Wolfgang in den Schoß zurückkehren, dem er 1949 keck entfleucht ist. Aber der Ex-Kommunist sieht »keinen Anlass für neurotische Abgrenzungsversuche« und »pathologisch wirkende Rechtfertigungsrituale« seiner SPD: »Das ist absurd!« Man spürt förmlich den heiligen Zorn des Altmeisters. Die SPD müsse sich für nichts rechtfertigen. Sie sei die einzige Partei, »die sich seit über 100 Jahren von allen totalitären Tendenzen fern gehalten« hat. Dies soll ein historischer Exkurs belegen, in dem anerkennenswerterweise auch Tabus und blinde Flecken in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie angesprochen und zur Diskussion in der Partei angeraten werden. Geboten wird auch ein kurzer Lehrgang zur Geschichte der kommunistischen Bewegung, der sich freilich vom »Kratki Otscherk«, dem kurzen Abriss, kräftig unterscheidet.
Die gegenwärtigen Beschlussfassungen der SPD zum Umgang mit der Linkspartei (nur im Osten, nicht im Westen, dann doch auch im Westen, nur in den Ländern und nicht im Bund und am Ende vielleicht doch auch im Bund) nennen die Autoren »ebenso überflüssig wie unsinnig«. Das sei kontraproduktiv, stifte nur Verwirrung und degradiere die SPD zum Spielball der Machtpolitik anderer. Da der von August Bebel bereits prophezeite »große Kladderadatsch« wieder Realität sei und die Sozialdemokratie vor der größten Herausforderung in ihrer Geschichte stehe, müsse sich die Partei endlich zusammenreißen und auf das Wesentliche konzentrieren, statt sich ständig selbst zu zerfleischen und an irrelevanten Fragestellungen zu zerreiben.
Die Leonhards akzeptieren die Vorbehalte des Seeheimer Kreises wie auch ostdeutscher SPD-Mitglieder, die eine Tolerierung durch die und erst recht Kooperation mit denen ablehnen, »die für Stacheldraht, Mauer und Unrechtsstaat verantwortlich« seien. Und die beiden ermahnen natürlich auch die LINKE, »sich ernsthaft dieser Verantwortung« zu stellen: »Zwar betont die Partei immer wieder in ihren programmatischen Eckpunkten die Notwendigkeit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte – sie nennt dies aber in einem Atemzug mit der Aufarbeitung der BRD-Geschichte.« Ja, liebe Leonhards, wie sonst soll deutsche Zweistaatlichkeit geschrieben werden? Parallel und verzahnt natürlich, wie auch die Geschichte von SPD und KPD im 20. Jahrhundert – was in ihrem Buch löblich vorexerziert wird.
Die Agenda 2010 wird verteidigt und zugleich kritisiert. Klar benannt wird, dass hier die Lecks geschlagen worden sind, die das alte Schlachtschiff SPD ins Strudeln gebracht und letztlich den ernsthaften wie schwierigen Konkurrenten beschert hat. Der Beiden Rat an ihre Partei: »Je klarer die SPD sich positioniert, desto weniger besteht die Notwendigkeit, sich hysterisch von der Linkspartei zu distanzieren.« Die SPD müsse ihre mausgraue Uniformität über Bord werfen, ihre an Sklerose grenzenden autoritären Strukturen überwinden und sich öffnen. Sie müsse zu alter Souveränität und traditionellem Selbstbewusstsein zurückkehren. Und keine Angst vor der »linken Versuchung« haben. Wahrlich, zwei mutige Mut-Macher.
Elke Leonhard/Wolfgang Leonhard: Die linke Versuchung. Wohin steuert die SPD? Be.bra, Berlin 2009. 208 S., geb., 19,90 €.
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