Geld verdienen

Chinas Buchmarkt befindet sich im Umbruch

  • Friedrich Weissdorn, Beijing
  • Lesedauer: 5 Min.

Cao Xueqin, der Autor des berühmtesten chinesischen Romans, »Traum der roten Kammer« aus dem 18. Jahrhundert, wäre ein paar Mal beinahe verhungert. Entsprechend hielt sich lange die Meinung, dass nur gut schreiben kann, wer nichts im Magen hat. »Geldverdienen war für chinesische Schriftsteller immer Nebensache – unter dem Konfuzianismus wie unter dem Maoismus«, erklärt Wolfgang Kubin, Sinologie-Professor aus Bonn. »Aber um die Chinesen nach 1989 von der Politik abzulenken, hieß es ab 1992: Ihr könnt nun Geld verdienen – und zwar so viel wie ihr wollt. Viele Schriftsteller gingen dann lieber in die Hafenstädte oder an die Börsen. Die der Literatur verschrieben blieben, schauten, was der Markt wollte. Sie setzen nicht mehr auf die Erforschung der Sprache, sondern auf sex and crime.« Darüber hinaus werden die Schriftsteller nach Zeichen bezahlt. Das dient nicht immer der literarischen Qualität.

»In der Vergangenheit lebten die abweichlerischen Gelehrten unter großen Gefahren, aber sie konnten einen ausgezeichneten Ruf in ihrer Gesellschaft erlangen«, meint Qin Hui, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Tsinghua-Universität Beijing. Da sie es nicht zu Reichtum bringen, würden sie heute eher »als Dummköpfe« angesehen. Der Staat habe begriffen, dass Autoren durch Maßregelungen nur umso bekannter werden. »Kontrolliert und bestraft werden jetzt vor allem die Redakteure und Herausgeber«. Denn: »Wenn die Medien gehorchen, haben die Verfasser keine Möglichkeit mehr, ihre Meinungen zu veröffentlichen.« Theoretisch ist der Rahmen dessen, was publiziert werden darf, recht weit gesteckt. »Besonders bei den Wirtschaftswissenschaften ist die westliche Lehre längst Mainstream geworden. Egal, wie ›rechts‹ eine Ansicht ist, alles kann gesagt werden. Wenn eine Äußerung aber die konkreten Interessen einer einflussreichen Abteilung, Arbeitseinheit oder eines Konzerns beeinträchtigt, können wirtschaftliche Berichte oder Kommentare sehr schnell gefährlich werden«, so Qin Hui. Es geht nicht mehr wie in der Vergangenheit um verschiedene Standpunkte, sondern um konkrete Nachrichten.

So sieht das auch der Schriftsteller Ma Qiang. »Doch, ich hätte auch in China veröffentlichen können«, sagt er. Sein Buch handelt von den moslemischen Minderheiten in der Provinz Shaanxi, ihrer Armut im Allgemeinen und Bildungsarmut im Besonderen. Sicher kein »die soziale Stabilität des Landes gefährdendes« Buch. Freilich zeichnet es ein ganz anderes Bild als die zu den Staatsgründungsfeierlichkeiten auf dem Platz des Himmlischen Friedens tanzenden »glücklichen Minderheiten«. »Aber das wäre viel zu teuer geworden – 10 000 RMB (10 Renminbi entsprechen etwa einem Euro) hätte der Verlag allein für die ISBN-Nummer haben wollen und dafür, das er das Buch durch die Zensur bringt.« Ohne ISBN-Nummer wäre die Veröffentlichung in China illegal, der Verkauf strafbar. »Deshalb haben wir einen Hongkonger Verlag kontaktiert. Der hat uns die Nummer für nur 600 RMB gegeben. Und hier weiß kaum einer, was das für eine Nummer ist.« Aber verliert dann die ganze Kontrolle nicht ihren Sinn? »Tja, so ist das in China«, sagt Ma Qiang und lächelt verschmitzt. Gedruckt wurde das Buch dann von einer chinesischen Druckerei – für 8 RMB das Exemplar. Verkauft wird es für 25 RMB. In die Buchläden hat Ma Qiang sein Buch aber trotz ISBN-Nummer kaum bekommen. In der landesweiten Buchhandelskette »Neues China« ist der Unterschied zwischen einer chinesischen und einer Hongkonger Nummer natürlich bekannt. Neben den über 14 000 Filialen der »Neues China«-Kette ist aber oft kein Platz mehr für andere Buchhändler. In vielen Städten gibt es nur noch kleine Geschäfte, die Lernmaterial, Mängelexemplare und die bei Jugendlichen beliebten Fortsetzungen einiger Kung-Fu-Serien verkaufen.

Während es vor zehn Jahren, zumindest in den Großstädten und in Uni-Nähe, noch gut sortierte private Buchläden gab, sind diese jetzt entweder verschwunden oder in schicke Buch-Cafes verwandelt worden. Dort arbeiten dann gut aussehende Zwanzigjährige, die im Computer völlig arglos nach Titeln wie dem Tagebuch des 1989 gestürzten KP-Vorsitzenden Zhao Ziyang oder nach »Meine Westgebiete, Dein Ost-Turkestan« von Wang Lixiong suchen – Bücher, die »natürlich« verboten sind.

Bücher selbst in Umlauf zu bringen, wie Ma Qiang, ist nicht leicht. Aber auch etablierte Schriftsteller haben diesbezüglich Sorgen. »Wie viele Bücher gedruckt und verkauft wurden«, so der 27-jährige Erfolgsautor Han Han, »schwer zu sagen.« Oft wüsste das nicht mal der Verlag. Aber er verrät ein Rezept, wie man reich werden kann: »Suchen Sie sich eine Druckerei. Kopieren Sie einige der Romane aus dem Internet, wählen Sie einen Schriftsteller, dessen Bücher sich gut verkaufen und denken Sie sich einen Titel aus. Und dann veröffentlich Sie. Vorsichtig geschätzt, können so 15 Bücher im Monat veröffentlicht werden, jedes verkauft sich gut 50 000 Mal, pro Buch zwei RMB Gewinn, macht pro Monat 1,5 Millionen.« Laut eigenen Angaben verdient Han Han »nur« zwei Millionen im Jahr, nicht mit raubkopierten, sondern mit selbst verfassten Büchern, die er allerdings wie am Fließband produziert.


Zahlen und Fakten

Eröffnung: 13. Oktober 17 Uhr im Congress Center Messe Frankfurt am Main

Öffnungszeiten:
Fachbesucher/ Presse

14.-17. Oktober 9-18.30 Uhr, 18. Oktober 9-17.30 Uhr;
Publikumstage: 17./18. Oktober.
Aussteller: 7100 aus über 100 Ländern
Exponate: Rund 400 000

Ehrengast: China. Zur offiziellen Delegation gehören 40 chinesische Autoren. Darüber hinaus sind Exil-chinesische Autoren von Verlagen oder anderen Organisationen zur Buchmesse eingeladen.

Programm: Rund 2600 Veranstaltungen. Erwartet werden bekannte Autoren wie Margaret Atwood, Donna Cross, Tim Parks, Hakan Nesser, Nick Cave.

Preisverleihungen: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Claudio Magris;
Deutscher Jungendliteraturpreis; Deutscher Hörbuchpreis;
Deutscher Cartoonpreis u.a.

Eintritt: Ausstellerausweis 42 €
Fachbesucher Dauerkarte 72 €

Tageskarte 36 €
Privatbesucher Tageskarte 14 €
Schüler 7 €
Wochenendticket 20 €

Nächste Frankfurter Buchmessen:
6.-10. 10. 2010 Gastland

Argentinien
12.-16. 10. 2011 Gast Island
10.-14.10. 2012 Gast Finnland
ND-Stand: Halle 3.1. B 164

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.