Das letzte Wort ...
Dietmar Daths Rosa-Luxemburg-Biografie
Biografien können dazu angetan sein, einen Punkt zu setzen; hinter ein Leben, ein Werk. Was davon gesichtet, gesichert werden konnte, wird ins papierne Museum getragen. Seht her: So ist es gewesen. Und: Bitte nicht berühren. Die Suhrkamp-Reihe »BasisBiographien« besticht dabei durch besonders kleine, übersichtliche Vitrinen. Gegliedert in Leben, Werk, Wirkung, versehen mit Randstichworten, Zitatkästen, Zeittafel und Registern, streng beschränkt auf 160 Seiten, ähneln die in dieser Reihe erschienenen Bände längeren Lexikoneinträgen. Wer so ein Buch zu Rate zieht, erwartet kompetent verdichtete Fakten, nicht Polemik, nicht Empathie, schon gar nicht Prognostik.
Dietmar Dath schert sich um solche Erwartungen wenig. Seine »BasisBiographie« zu Rosa Luxemburg ist – obgleich kompetent, verdichtend, informativ – nichts weniger als eine Einführung in ein abgeschlossenes Forschungsgebiet. Dieses Buch will vor allem als Gebrauchsanweisung gelesen werden. Nichts liegt dem Autor ferner, als Luxemburgs Ideen in heutiger Zeit zu den Akten zu legen. Gleichzeitig befremdet ihn kaum etwas mehr als die Reliquien-Verehrung »einer bestimmten Sorte denkfauler linker Kitschgesinnung«. Der »penetranten Märtyrerinnenduzerei, die ihre liebe Rosa so gern hat wie tote Linke ganz allgemein«, setzt Dath die Empfehlung entgegen, Luxemburgs Denken zu studieren und auf seine Gegenwartsbezogenheit zu prüfen. »Die Theoretikerin sorgt, wo sie fortwirkt, für das, was ihr am Liebsten war – Bewegung.«
Entschieden sucht Dath, mit Missverständnissen in der Luxemburg-Rezeption aufzuräumen, die er nicht zuletzt auf Stalin zurückführt. Dessen Versuch, Luxemburg zu diskreditieren, habe allerdings wider Willen den Boden geschaffen für die Anverwandlung Luxemburgs durch nonkonforme Sozialisten. Die »verbreitete Sicht«, in der sie »vor allem als Kriegsgegnerin und Demokratietheoretikerin, Befürworterin der Meinungsfreiheit und, in ihrem allgemeinen Denkstil, als eine Art linksradikaler Prototyp des Modells ›kritische intellektuelle Frau‹ erscheint«, bezeichnet Dath als »Ergebnis des Versuchs, eine Person, die vor allem Analysen, Programme und Kritik produziert hat, auf so etwas wie ›Meinung‹ zu reduzieren«. Luxemburgs Antimilitarismus – auch darauf verweist Dath in klaren Worten – sei nicht mit Pazifismus zu verwechseln: »Sie tritt gegen das Verheizen von Arbeitern für den Imperialismus ein, nicht gegen Gewaltanwendung an sich, ohne die ja auch eine Revolution und vor allem die unvermeidliche Abwehr einer Konterrevolution nicht zu denken sind.«
Der berühmte Luxemburg-Satz »Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden« ist für den Biografen nichts als »ein schlichtes ethisches Postulat, ein Axiom, kein Denkergebnis. Verkürzt man das Denken der streitbaren Gelehrten auf solche Maximen und Sentenzen, dann unterschlägt man, dass für Marxisten wie sie alle Ideen, auch die richtigsten und schönsten, Momente eines dynamischen Prozesses sind, nicht Gebote vom Berg Horeb.«
Der von »linientreuen Bolschewiki« eingeführte, abwertende Begriff des »Luxemburgismus« stellt Dath zufolge die Tatsache in den Schatten, »wie wichtig ihr als Voraussetzung für jede Art Sozialismus, und sei's den demokratischsten, massive Eingriffe in die gesamtgesellschaftlichen Besitzverhältnisse gewesen sind. Bei der Bodenverstaatlichung, Zerschlagung der letzten ständischen Reste in der Landwirtschaft, quasi-militärische Reformierung der Industrie, bei der Agrarkollektivierung etwa gingen ihr gerade die Bolschewiki anfangs keineswegs zu weit, sondern im Gegenteil nicht weit genug.«
Freilich erkennt Dath den Ursprung des einseitigen Luxemburg-Bildes in deren frühen inhaltlichen Differenzen mit Lenin. Ihre Kritik an dessen zentralistischer Organisationsstruktur sei jedoch – »anders als das später viele haben wollen, die sich auf sie als große sozialistische Demokratin wider die sogenannte Parteiherrschaft berufen« – keineswegs moralischer, sondern praktischer Natur. Luxemburg, so Dath, hielt einen zentralistischen Parteiapparat in revolutionären Situationen für hinderlich – wohl zu unrecht, wenn man aus sicherer historischer Distanz das Ergebnis der russischen Revolution von 1917 mit jenem der deutschen von 1918/19 vergleicht. Als Lenins Antipodin will Dath Rosa Luxemburg dennoch nicht gelten lassen. Er konstatiert, dass sie »mit ihm weit mehr (und weitaus grundsätzlichere) Ansichten teilte als beide je mit Lenins entschiedenen Gegnern«.
Eine Grundannahme, die der Biograf – das wissen wir schon aus seiner sozialistischen Streitschrift »Maschinenwinter« (edition unseld, 2008) – mit Rosa Luxemburg teilt: Der Kapitalismus sei nicht durch Reformen zu überwinden. Entsprechend ausführlich beschäftigt er sich im Werk-Teil seiner Biografie mit dem Antirevisionismus, den er neben der Kapitalismustheorie (»Die Akkumulation des Kapitals«) und der Untersuchung der Bedingungen einer sozialistischen Revolution (»Massenstreik, Partei und Gewerkschaften«) als Hauptstrang in Luxemburgs Schaffen erkennt.
Eduard Bernsteins Theorie, der zufolge sich der Sozialismus durch Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems schrittweise zu seinem Recht verhilft, trat Rosa Luxemburg von Beginn an entschieden entgegen. Dath bringt die Essenz ihrer Schrift »Sozialreform oder Revolution« auf die Faustformel: »Aus dem theoretischen Revisionismus, dem Abschied von der Marxschen Krisen- und Klassentheorie, folgt der politisch-praktische Opportunismus.« Es ist anzunehmen, dass der Autor beim Verdichten dieser Prognose das tatsächliche Schicksal der SPD bis in unsere Tage mitgedacht hat. »Konsequentes Denken«, fährt Dath fort, »fordert kontinuierliche revolutionäre Praxis: Das ist Rosa Luxemburgs Gegenentwurf, an dem sie festhalten wird, was er auch koste.« Dass aus der Konsequenz dieses Denkens ein Luxemburg-typischer Internationalismus erwuchs, der sich gegen nationale linke Strategien wandte, schien damals nicht unbedingt zeitgemäß. Luxemburgs frühem ökonomisch-politischen Weltdenken zollt Dath, der die Entwicklung seit ihrem Tode kennt, besondere Achtung.
Ihrem Hauptwerk »Die Akkumulation des Kapitals« bescheinigt der Autor das Unglück einer verzerrten Rezeption. Es sei »meist als ein Buch gelesen worden, das vornehmlich davon handelt, warum, wann und wie der Kapitalismus untergehen muss und weshalb man sich darauf auch unbedingt verlassen kann«. Derartiger »Tendenzismus« verkenne, dass es dem Buch »in Wahrheit« darum gehe, »das Funktionieren des kapitalistischen Wirtschaftens so genau zu beschreiben, dass dabei am Ende herausspringt, dass es eben nicht funktioniert. Die logischen Grenzen des Ganzen werden dabei nicht allein als strukturelle, sondern, einem tiefverwurzelten Historismus dieser Tradition gemäß, auch als Entwicklungsgrenzen aufgefasst.«
An anderer Stelle rät Dath im Sinne Luxemburgs davon ab, des erwarteten Verfalls des Kapitalismus lediglich zu harren. Gewiss auch an die Adresse heutiger Linker, die sich angesichts der derzeitigen Krise hämisch zeigen, richtet er diese Empfehlung: »Und auch das marodeste System darf nicht einfach beim Verfallen beobachtet werden, wenn man kein Aasgeier ist, sondern an die Stelle des untergehenden ein vernünftiges Produktionsregime setzen will.«
In Rosa Luxemburgs Werkbiografie, schließt Dath, mündeten »analytische Glanztaten« in konkret programmatische Arbeiten: »Vom Beschreiben und Erklären zum Vorhaben, Fordern und Durchsetzen: Die Linie, das zeigt jedes erhaltene Dokument, hätte sie sich verlängert gewünscht.«
Dietmar Daths Biografie hält das Vermächtnis Rosa Luxemburgs wach, indem sie es nicht archiviert. Dath aktualisiert, polemisiert und wertet in der anschaulichen Sprache des Schriftstellers und Essayisten, der dieser Biograf auch und vor allem ist. Mit seiner eingreifenden Vorgehensweise belegt der Autor bis zum Schlusssatz seines Buches fortwährend selbst die These, die er bereits in der Einleitung aufstellt: »Das letzte Wort ist nicht gesprochen.«
Dietmar Dath: Rosa Luxemburg – Leben. Werk. Wirkung. Suhrkamp BasisBiographie, 160 S., br., 8,90 €. Bestellung auch über ND-Bücherservice, Tel.: (030) 29 78 17 77.
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