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Anarcho mit Cord-Hütli und Herren-Däschli

Uraufführung am Bayerischen Staatsschauspiel München: »Alkaid – Pelzig hat den Staat im Bett«

  • Barbara Reitter
  • Lesedauer: 3 Min.

Kabarett und Theater – eigentlich zwei sehr unterschiedliche Genres, besonders dann, wenn Kabarettisten sich als Stückeschreiber versuchen. Doch an Dieter Dorns Haus ist es Tradition, immer wieder Leute aus diesem Bereich einzuladen. Jetzt also der unverwüstliche Würzburger Frank-Markus Barwasser mit seiner Kunstfigur Pelzig. Pelzig ist allwöchentlich fernseh-aktiv: der fränkische Spießer mit dem rotkarierten Hemd, dem unsäglichen beigen Cord-Hütli und dem Herren-Däschli, der in breitestem Dialekt die Welt aus seiner Perspektive erklärt – und doch gedanklich ein kleiner Anarcho ist.

Nun hat sein Schöpfer für sich in der Hauptrolle ein abendfüllendes Stück verfasst, das in der Premiere zwar heftig belacht wurde, aber dennoch seine Schwächen nicht verbergen konnte. Merkt man doch zum einen, dass es einen Unterschied macht, ob man für eine Person einen witzig pointierten Monolog schreibt oder mehrere Figuren dialogisch in einer Spielhandung verknüpfen muss.

Es rankt sich der Großteil der Aktion um Pelzig, wodurch die restlichen Schauspieler Stichwortgeber sind. Für sich hat er die besten Gags, die absurdesten Wortkaskaden über Erkenntnis und Wahrheit, die verschwurbelsten Sentenzen über die Diskrepanz von Ahnen und Wissen reserviert.

Doch Barwasser ist nun mal kein ausgebildeter Schauspieler und bleibt manchmal ziemlich flach. Zum anderen wiederholen sich die running gags (herrlich der regelmäßige Zwillenschuss auf die Straßenlaterne, die Pelzigs Himmelsbeobachtungen stört), braucht es die klassischen Komödien-Anschieber durch Telefonanrufe, Babygeplärr, Stimmen aus dem Off und das – hier perfekt eingesetzte – Türen-Klippklapp des Boulevards.

Doch jenseits dieser Mäkeleien amüsierte man sich köstlich in dieser bösen Satire über den Überwachungsstaat. Der Plot ist wunderbar: Weil im Haus vis à vis ein verdächtiges Subjekt wohnen soll – die gegenwärtige Terror-Paranoia läßt grüßen! –, quartiert sich das LKA mit Spezialgeräten in Pelzigs Schlafzimmer ein. Das führt zu unerwarteten Konfusionen, denn der junge Beamte (Felix Rech) entdeckt im Feldstecher seine fremdgehende Frau und wird immer chaotischer. Pelzigs syrischer Freund Youssef (mit jovialem Charme Gerd Anthoff), mit dem er nächtens auf dem Dach den Sternenhimmel beobachtet, gerät unter Verdacht. Und der eifrigen Beamtin Dr.Winter (Barbara Melzl als aalglatte Hysterikerin) reicht schon der Stern Alkaid, um an die Al-Quaida zu denken.

Weil Pelzig sich immer mehr einmischt, explodiert die Handlung, die Regisseur Josef Rödl kontinuierlich zur grotesken Farce mit witzigen zwischenmenschlichen Konfusionen steigert. Perfekt der Slapstick, wenn er sich in den technischen Apparaturen verheddert, die sein biedermännisches Schlafzimmer mit einer riesigen Schrankwand – die Dutzende rotkarierter Hemden und neckischer Stutzer-Hütchen enhält – immer mehr zubauen.

Aber auch Liebe und Menschlichkeit kommen in der Eskalation absurder Ereignisse vor: hinreissend Heide von Strombeck in der Rolle einer dementen Alten, trocken die alleinerziehende Jungmutter (Lisa Wagner), um deren Baby sich Pelzig kümmert. Das überraschende Ende sei jedoch nicht verraten!

Nächste Vorstellung: 30. April

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