Götter wie Menschen
Vera Nemirova inszenierte »Das Rheingold« in Frankfurt am Main
Da gibt es einen ziemlich smarten, cleveren Typen, der sich aufs Angeben und Manipulieren versteht. Er fliegt effektvoll von außen, genauer von oben ein, und ist der unkonventionelle Berater und Problemlöser für die, die ihre Immobiliengeschäfte mit ungedeckten Schecks machen und ihre Trutzburgen der Macht auf Sand bauen lassen. Der Typ kennt sich aus mit der Eitelkeit und mit der Skrupellosigkeit, die in diesen Kreisen herrschen. Er selbst weiß genau, was Recht und Unrecht, was Mein und Dein ist. Genauso gut weiß er aber, dass das ab einer bestimmten Höhe des winkenden Profits (oder Machtzuwachses) keine Rolle mehr spielt. Wenn man Geld braucht, dann holt man es sich eben von denen, die darauf sitzen. So oder so. Und wenn davon Blut an den Händen kleben bleibt, weil man dafür einen Konkurrenten um die Macht und das Geld mal eben entführen, berauben und sogar körperlich demütigen, ja verletzten muss, dann wischt man sich dieses Blut eben mit ein paar Geldscheinen wieder ab.
Kapitalismuskritisch gesehen, ist Vera Nemirovas Frankfurter »Rheingold«, mit dem jetzt im Schatten der Banken-Wolkenkratzer nach 25 Jahren der erste neue, hauseigene »Ring« (nach dem legendären von Ruth Berghaus und Michael Gielen) begonnen hat, mit diesem eher beiläufigen Detail am deutlichsten. Und dennoch ist die Inszenierung damit meilenweit von einem weiteren politisch plakativen »Ring«-Einstieg (wie bei Barrie Kosky in Hannover oder Günter Krämer in Paris) entfernt. Sie ist ganz unmittelbar am Kern der Geschichte und versteht es geradezu meisterhaft, Wagners mythisches Personal wie Akteure von heute zu zeigen. Bei ihr wird die Gier nach dem Gold und der Macht (wie bei Alberich und Wotan), die Bereitschaft, dafür Menschen zu verschachern (so wie die der Götter, Freia den Riesen zu überlassen), auszubeuten (wie Alberich die Nibelungen, vor allem aber seinen eigenen Bruder Mime), zu betrügen (wie Loge und Wotan Alberich beim Raub des Ringes) oder zu morden (wie Fafner seinen Bruder Fastolt beim Streit um die Beute), von der noblen bürgerlichen Fassade nur notdürftig verdeckt.
Bei Nemirova wird der Einzug der Götter nach Walhall am Ende so zu einem Akt der Selbstverständigung des bürgerlichen Scheins. Die Darsteller steigen aus, nehmen mit dem Theater (eigentlich wohl den Bankenpalästen in dessen unmittelbarer Umgebung) als ihrem Walhall vorlieb und prosten sich aus den Proszeniumslogen mit einem Gläschen Schampus zu. Ihr Berater Loge (als die personifizierte eigene Skrupellosigkeit) hat hier keinen Zugang, entschwindet (von Wotan mit ein paar Scheinchen aus der Beute abgespeist) wieder in Richtung Schnürboden. Der am Ende des Rheingolds vor allem angeschmierte Alberich sitzt einsam am Rande der Bühnenscheibe wie an einem Abgrund. Und die stark gealterten Doubel der Götter, die Loge schon einmal herbei imaginiert hatte, als die Jugendgöttin Freia von den Riesen entführt worden war, wanken über die Bühne – ihrem Ende zu, wie Loge meint. Aber wer glaubt schon, was er an Visionen auf der Bühne sieht, wenn es an die eigene Endlichkeit und den drohenden Untergang gemahnt – da geht es den Göttern wie den Menschen.
Nemirovas »Ring«-Einstieg ist ein szenischer Wurf. Jens Kilians an die legendäre Neu-Bayreuther Scheibe Wieland Wagners erinnernde Spielfläche aus vier Ringen: ein so reduzierter wie theaterwirksamer Raum, mit der sich alle Orte und Verwandlungen mühelos auseinander entwickeln lassen. All das wird aber vor allem deshalb zu einem spannenden Musiktheater-Krimi, weil es auf eine geradezu mustergültige Weise mit der musikalischen Seite der Produktion verbunden ist. Einen so musikalischen, auf Wortverständlichkeit zielenden, dramatisch packenden, aber doch ohne vordergründige Effekthascherei auskommenden Orchesterklang, wie ihn jetzt (der ja inzwischen auch Bayreuth-erfahrene) Sebastian Weigle mit dem Frankfurter Opern- und Museumsrochester, vom aufsteigenden Vorspielwabern bis zum in falscher Pracht funkelnden Finale, liefert, hört man nicht alle Tage. Und so ein Ensemble, wie es Intendant Bernd Loebe hier offenbar mit langem Atem und abseits des international austauschbaren »Ring«-Personals zusammengeführt hat, ebenso wenig. In Frankfurt am Main geben allein neun der vierzehn Protagonisten ihr Rollendebüt. Und das ist allemal ein Gewinn.
Kurt Streit als Loge ist eine Sensation, Terje Stensvold ein makellos nobler Wotan. Martina Dike eine beherzt attraktive Fricka, Barbara Zechmeister eine mädchenhaft ihr Entführungstrauma ausspielende Freia, Meredith Arwady eine in jeder Hinsicht machtvoll warnende Erda, Jochen Schmeckenbecher ein eloquent spielfreudiger Alberich. Aber auch Mime (Hans Jürgen Laszar), Donner (Dietrich Volle) und Froh (Richard Cox), Fasolt (Alfred Reiter) und Fafner (Magnus Baldvinsson) und nicht zuletzt (sondern zuerst) die exzellenten Rheintöchter Britta Stallmeister, Jenny Carlstedt und Katharina Magiera trugen zu diesem »Rheingold« mit Gesamtkunstwerk-Qualitäten bei.
Erleichterung und Jubel waren am Ende einhellig. Die paar Buh-Rufer, die das Regieteam empfingen, hätte man gerne gefragt, was sie denn gestört hat. Am Ende beförderten sie aber nur die Bravi!
Nächste Vorstellungen: 15., 22.5.
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