Licht, Finsternis, Glanz: alles Tanz
Das Dresden Semperoper Ballett verwundert mit »3 Farben Weiß«
Die fabulös vielseitigen Tänzer des Semperoper Balletts sind der Trumpf im neuen Dreiteiler der Dresdner Kollektion. Den »4 Farben Rot« von 2009 folgen nun »3 Farben Weiß«. Findet Teil 1 in gedämpftem Licht statt, entwirft es im Mittelstück ständig andere Räume aus Düsternis. Was hierbei Weiß ausmacht, bleibt Dresdner Farbenmystik. Einzig der aristokratische Schlussteil rechtfertigt den Titel: George Balanchines »Diamanten« strahlen versöhnlich über die beiden anderen Werke hinweg. Unansehnlich sind die deswegen noch lange nicht.
Als Gast kam der frühere residente Choreograf und brachte ein 2007 am Königlichen Ballett Flandern uraufgeführtes Stück mit. Von John Otto hat sich David Dawson für »A Sweet Spell of Oblivion« die Bühne bauen lassen, einen hellen Rundhorizont, dem in der Mitte aus einem schwarzen Kreis ein schwarzes Tuch entspringt. Wie ein gewaltiger Komet überdeckt es den rechten Teil des Horizonts; wie helle Strahlen aus einer dunklen Sonne quillt Licht aus dem Kreis. Hinter der Gaze sitzt transparent erhoben Yevgeny Feldmann, fabuliert auf dem Piano wunderbar versonnen zehn Präludien aus Bachs »Wohltemperiertem Klavier«, wobei der Anfangsteil am Ende wiederkehrt.
Still aus dem Stand entwickelt der Choreograf mit sieben Tänzern seine Miniaturen, Solos finden vorn, in Abstand von der oft figurierenden Gruppe statt. So entstehen intensive, organisch und dicht gefügte Körperseismogramme, initiiert vom Tempo der Musik. Vor dem dunklen Hintergrund zeichnen sich die ungewöhnlichen Fassungen, die propellerförmig kreisenden Arme, die eiskunstläuferischen Partnerschleudern scharf ab. Weit in den Raum hinein verweben sich die Linien, erzeugen immense Spannung zwischen Solisten und Gruppe. Bisweilen fließt Einzelaktion synchron zusammen, setzt dann den eigenen Weg fort. Klassisch bleibt Dawsons Formenkanon, atmet fast barocken Geist, stellt Frauen auf Spitze und erweitert ganzkörperlich das akademische Vokabular. Alles schreibt sich fort, kulminiert in Claudio Cangialosis Variation von frappierend katzenhafter Biegsamkeit, endet, als die schwarze Kurtine ein weiteres Solo fortwischt und gerade noch die Endpose freigibt.
Was bei Dawson beinah traditionell anmutet, steigert sich in der Uraufführung des Abends zu hektischer Betriebsamkeit. Zur Bandeinspielung einer Collage aus instrumentalem respektive elektronisch produziertem Klang des Duos 48nord, treibend und quirlig, entwirft Jacopo Godani ein aufflackerndes Stück Tanz, nervös, ungebärdig, aggressiv. Aus zwei Sechser-Reihen formt sich im Zentrum ein Menschenklumpen, aus dem unabhängig Arme emporschnellen und den Blacks immer wieder verbergen. Wie die wabernde Plastik des Urchaos leuchten jene Licht-Blicke aus der Schwärze auf.
Hatte Yumiko Takeshima Dawsons Septett Inkarnat-Trikots angepasst, so dominiert in Godanis Kostümen unisex Schwarz: Netzgewirk über Slips. Bedrohlich düster ist auch sein bühnenhoher Raum. Abrupt werfen die zwölf Tänzer Impulse aus dem Körper, was die Nähe des Choreografen zum einstigen Meister William Forsythe verrät. Tierhaft eckig geraten die Auslenker, Renker und Schlenker, rasant die Zuwürfe der Frauen, die Transporte und Pirouetten, fix fluten Wellen durch den Körper.
Dass bei allem tänzerischen Feuer, den Rutschern der Frauen auf Spitze, den Bodenwirblern sich zuviel Tanz am Platz ereignet, macht Dawsons gleichfalls halbstündige Kreation in der Nutzung des Raums weit überlegen. Eintönigkeit schleicht sich etwa ins turnerische Miteinander zweier eng verflochtener Partner. Wenn zum Schluss aus der Anfangsballung die Tänzer fortrasen wollen, erlischt das Licht, drückt die Kurtine sie nieder. Als Zeitkommentar steht »Spazio-Tempo« treffend für Unsicherheit, Unstetheit, Ungebundenheit.
Wie brillant Dresdens Equipe nach soviel Moderne Balanchines »Diamanten« serviert, zeugt von gediegener Stilschulung. Auf Karinskas weißen Kostümen, Peter Harveys Bühne aus hängender Gaze zwischen gerafften Seitenschals funkeln die künstlichen Steine, als wären sie echt. Echt sind die 1967 vom Meister erdachten formidablen Formationen zu Satz 2 bis 5 der Sinfonie Nr. 3 von Tschaikowsky. Kein Wunder, dass vieles ausschaut, als sei es Rückstand einer »Schwanensee«-Inszenierung: die edlen Raster, der Pas de deux des Solopaars, in dem Elena Vostrotina durch ihre klassische Attitüde besticht, die vielen russischen Elemente, die pompöse Polonaise als lichter Ausklang einer Huldigung an die Frau, wenn alle Männer vor ihren Damen knien. Ein Fest auch, wie Paul Connally die Sächsische Staatskapelle »ihren« Tschaikowsky auskosten lässt.
Nächste Vorstellungen am 25. und 28. Juni sowie am 1. Juli
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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