- Kultur
- Literatur
Sehr deutsch
Eine kurze Geschichte der RAF
Die RAF hat die Bundesrepublik über mehrere Jahrzehnte in Atem gehalten. Seit sie aufgehört hat zu bomben und zu schießen, bewegt sie die Publizistik. Aus der Redaktion des »Spiegels« ist nun ein neues Buch zum Thema erschienen. Michael Sontheimer gelingt eine präzise Zusammenfassung der wichtigsten Fakten aus bald vier Jahrzehnten. Neue Ergebnisse über die großen ungeklärten Fragen nach Täterschaften vermittelt das Buch nicht. Es enthält aber aktuelle Erkenntnisse um den Fall der vom Bundeskriminalamt abgeschöpften Verena Becker.
Es bleibt ein Buch für die jüngere Generation, die nicht als Zeitzeugen erlebt haben, wie der Rechtsstaat herausgefordert hat, wie einige seiner herausragenden Repräsentanten zu symbolbeladenen Opfern wurden und wie die Härte der Strafverfolgung der Hydra RAF immer neue Köpfe wachsen ließ. Es ist aber auch ein Buch gegen das Vergessen derjenigen, die »dabei waren«, die erlebt haben, wie angespannt und übernervös die Öffentlichkeit über lange Zeiträume auf den für nur wenige nachvollziehbaren Terror gegen Personen und gegen einen Staat reagierten, den man weder mit seinem Vorgänger noch mit dem »kleinen Bruder« (O-Ton RAF) im Osten vergleichen konnte.
Interessant und mit dieser Gewichtung auch neu ist, wie Sontheimer das »deutsche« Element der international stark vernetzten Bewegung hervorhebt. Er zitiert eine sehr selbstkritische Einschätzung von Birgit Hogefeld: »Das Sture, das Dogmatische, die Tatsache, dass wir bis in die 90er Jahre unseren eingeengten Horizont verteidigt haben – das war sehr deutsch.« Mit beklemmendem Stolz bewunderte Generalbundesanwalt Rebmann die handwerklichen Fähigkeiten der RAF-Kader: »Das sind die Deutschen, die sind super, diese geschliffene Kriminalität ist in Europa einmalig.« Als sich die RAF am 20. April 1998 für aufgelöst erklärte, dem Tag, der als »Führers Geburtstag« in Deutschland einmal eine besondere Bedeutung gehabt hatte, erklärte der Chef des BKA Horst Herold: »An einem solchen Tag löst sich eine RAF, wie ich sie kenne, nicht auf.« Die Sprachlosigkeit der Nazi-Generation über die Ermordung der Juden und ihre eigene Widerstandslosigkeit war doch ein Urmotiv der RAF für den »bewaffneten Kampf gegen die faschistische Bundesrepublik« gewesen.
Schließlich lässt Sontheimer Peter-Jürgen Boock, »der das Reden und Schreiben über das Schweigen seiner einstigen RAF-Genossen zu seiner Profession gemacht hat«, ein Resümee ziehen, das vielleicht gar nicht so falsch ist: »Ich habe immer gedacht, wir würden anders mit unserer Geschichte umgehen. Aber das ist nicht so. Wir sind die Kinder unserer Eltern!«
Michael Sontheimer: »Natürlich kann geschossen werden.« Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion. DVA, München. 217 S., geb., 19,95 €.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.