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Weshalb wir uns erst finden müssen

Silvia Markun stellt die Philosophie des Ernst Bloch vor

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Hoffnungsgedanke hat derzeit wenig Konjunktur – nicht in den gesellschaftlichen Diskursen, schon gar nicht in der Philosophie. Und das mag erklären, dass der Hoffnungsphilosoph des 20. Jahrhunderts schlechthin, Ernst Bloch, kaum verbreitet ist. Überschaubar der Buchmarkt mit Bloch-Titeln, abzählbar wenig Bücher auch, die sich mit Leben und Werk des 1885 in Ludwigshafen geborenen, nach Emigration und Exil in den USA, Lehrtätigkeiten von 1949 bis 1957 in Leipzig, ab 1961 in Tübingen, dann ebendort 1977 gestorbenen Philosophen beschäftigen.

Das war einmal anders, zählte doch Bloch neben dem Jugendfreund Georg Lukács, den Bloch gelegentlich als Zwillingsbruder bezeichnet hat und dessen Denken ihm wahlverwandt gewesen ist, und den Philosophen im Umkreis der Frankfurter Schule, also Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und – nicht zu vergessen – Walter Benjamin, zu den herausragenden deutschen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, ja – mit Einschränkungen – zu den Erneuerern eines kritischen, undogmatischen Marxismus, der vielfach auch als sogenannter »westlicher Marxismus« (Perry Anderson) bezeichnet worden ist.

Darum ist es überaus verdienstvoll, wenn die von Manfred Jendryschik betreute Hallenser Edition Cornelius im Projekte-Verlag die von Silvia Markun ursprünglich im Rowohlt-Verlag erschienene Ernst Bloch-Monographie erneut veröffentlicht, bereichert um ein bislang ungedrucktes Gespräch Blochs mit dem Philosophen Hans Heinz Holz, in dem einige Grundprobleme der Philosophie im 20. Jahrhundert – insbesondere das Verhältnis von »System und Fragment«, also von der geschlossenen systematischen Form und der fragmentarisch offenen Art des Philosophierens – angesprochen werden.

Philosophie, so bringt es Bloch in diesem Gespräch auf den Punkt, müsse »in wenigen Sätzen, wenn es geht, in einem einzigen Satz ausgedrückt werden können«. Und man ist versucht zu behaupten, dass die Blochsche Philosophie – wie alle großen Philosophien – in der Tat zusammengezogen werden kann. Zum Beispiel in einer Formulierung aus dem Spätwerk »Experimentum Mundi«, dass es sich um eine »Ontologie des Noch-Nicht-Seins« handelt, darum, dass wir Menschen – und hier treffen durchaus religiös-chiliastische Überlegungen mit solchen des Marxismus zusammen – zwar sind im Sinne von »da sind«, wir uns allerdings längst noch nicht auch schon haben, weshalb wir uns erst finden müssen.

Damit ist die utopische Perspektive Blochs klar umrissen; doch ist diese nicht grund- und bodenlos, also abstrakt behauptet oder gesetzt, sondern fundiert in religiösen, mythisch-mythologischen und – immer wieder – vor allem künstlerischen Erzeugnissen, die uns, wie Bloch sich ausdrückt, ein »Perspektivenlicht der Hoffnung« entwerfen und somit – dies gegen den Pessimismus – nicht verzweifeln lassen.

Silvia Markun zeichnet in ihrer kleinen Monographie neben den äußeren biografischen Stationen Blochs auf überaus klare, dabei oft genug das Werk selbst zu Wort kommende Weise die Kern- und Grundstrukturen eines beeindruckenden philosophischen Gesamtwerks nach, das seit dem Frühwerk »Geist der Utopie« (1918) über das Opus Maximum »Das Prinzip Hoffnung« (1959) bis zu späten ontologischen Reflexionen um das (noch unfertige) Sein des Menschen samt dessen gesellschaftlicher Verfasstheit kreist.

Silvia Markun: Ernst Bloch. Projekte-Verlag. 203 S., geb., 20 €

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