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Die Friedenskämpfer hatten Vorfahrt
Reinhard Höppner über Wunder, die friedliche Revolution und die »Einheit«
Bei aller Eindeutigkeit über das undemokratische Regime der DDR, über Unfreiheit, Angst vor der Wahrheit, über Bespitzelung und Misstrauen, verzichtet er auf Polemik, Anklagen und Schwarzweißmalerei«, würdigt Richard von Weizsäcker die Erinnerungen von Reinhard Höppner. In der Tat, dem studierten Mathematiker, Friedensaktivisten und Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt (1994-2002), der den Mut zu einer Minderheitsregierung unter Tolerierung durch die PDS hatte, unterwirft sich nicht der Mode.
»In den meisten Schulbüchern erscheint die DDR als so schrecklich, dass man sich kaum vorstellen kann, wie Menschen darin leben konnten«, klagt er und widerspricht damit jenen, denen die DDR in Lehrplänen noch viel zu rosig dargestellt erscheint. Eine Behauptung, die gern von Leuten aufgestellt wird, die in diesem Land nicht gelebt oder es gar nicht einmal dereinst aufgesucht haben. Höppners Buch ist vor allem an die junge Generation adressiert. Sein Rückblick ist eingebettet in ein fiktives Gespräch mit einem Jugendlichen. Er informiert jenen über die schwere wie grausige Hinterlassenschaft des NS-Regimes. Die Nationalhymne der vier Jahre später gegründeten Deutschen Demokratischen Republik, »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt«, artikulierte die Hoffnung vieler Menschen, die sich »Nie wieder!« geschworen hatten. Der drei Jahre nach Kriegsende geborene Autor weiß um »aufrechte, demokratisch gesinnte Menschen«, die »den Sozialismus für die bessere Gesellschaftsordnung hielten«. Beeindruckt ist er noch heute von Stefan Heym, der nach der »Wiedervereinigung« seinen sozialistischen Überzeugungen treu geblieben ist.
Höppner bietet ein Kompendium der besonderen Art. Die wichtigsten Ereignisse und Zäsuren in der Geschichte der DDR sind verknüpft mit persönlichen Erlebnissen. Die Massenflucht aus dem ostdeutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat vor dem Bau der Mauer beraubte den Schüler seiner Lieblingslehrer. Die neue Ostpolitik, der Grundlagenvertrag und die KSZE-Akte ermunterten den verantwortungsvollen Christen. »Mit seiner Unterschrift (in Helsinki 1975) hatte sich Erich Honecker zu mehr verpflichtet, als er in seinem Land eigentlich einhalten konnte und wollte.« Höppner reihte sich ein in die spontane, heterogene Bewegung, die das Land verändern, lebens- und liebenswerter gestalten wollte. Er erinnert sich an »aufregende« Friedensdekaden und Friedensgebete. Beim Olaf-Plame-Friedensmarsch 1987 gab es eine durchaus brenzlige Situation: »Wir pilgerten von einem Dorf zum anderen ... Plötzlich kam uns eine Panzerkolonne entgegen. Was würde passieren? Wer würde ausweichen? Wir gingen aufeinander zu. Die Spannung stieg. Plötzlich wichen die Panzer nach links aufs Feld aus und machten uns den Weg frei. Die Friedenskämpfer hatten Vorfahrt vor den Panzern. Vor Freude kletterten die Kinder auf die Fahrzeuge und klebten Friedenstauben auf die Kanonenrohre ... Für mich war dieser Fußmarsch der Beginn der friedlichen Revolution.«
Wie diese verlief, wird detail- und kenntnisreich reflektiert. Von den Bildern von fröhlichen Menschen auf einer Mauer, vom Runden Tisch und Volkskammerdebatten geht der Schwenk hin zu den Einheitsfeiern. Die kuriose Episode vom eigentlich nicht beschlossenen Beitritt der DDR fehlt hier nicht. Und Höppner stellt sich auch der Frage, ob die Vereinigung nicht anders, besser zu gestalten gewesen wäre? Seine Antwort: »Zwei völlig unterschiedliche Gesellschaftssysteme zusammenzubringen, ist sehr kompliziert. Es gab dafür kein Vorbild.« Natürlich weiß er, dass die Eroberung der DDR durch westdeutsche Unternehmer, Alteigentümer, Beamte und Lehrstuhlanwärter untilgbare und nicht wieder gutzumachende Wunden hinterlassen hat. Und es ärgert ihn auch, dass die DDR immer nur mit ihren Schwächen dargestellt wird. »Kein Mensch und auch kein Land hat nur Schwächen.«
Indes, er ist optimistisch – mit Willy Brandt: »Es wächst zusammen, was zusammen gehört. Aber es dauert länger, als wir gedacht haben. Am besten wird es uns gelingen, wenn wir uns gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft stellen ... Wir können die neu entstandene Vielfalt an Erfahrungen und Fähigkeiten dabei gut gebrauchen. Wir sollten sie nicht als Last, sondern fröhlich und selbstbewusst als Chance begreifen.«
Reinhard Höppner: Wunder muss man ausprobieren. Der Weg zur deutschen Einheit. Aufbau Verlag. 147 S., br., 14,95 €
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