Spaß-Ballett wirbt für Bohrer

In Eisenach bringt Andris Plucis mit »The Best of Karlheinz« seine Zuschauer zum Lachen

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Spaß-Ballett wirbt für Bohrer

Weinen kann man im Ballett gut, über Giselles Tod, das Sterben von Romeo und Julia, den Untergang von Siegfried und Odette. Lachen weniger. Ein paar Komödien Shakespeares haben sich auch im Tanz etabliert, etwa Crankos »Der Widerspenstigen Zähmung«. Den Olymp der Komödie zu erstürmen, gelingt den Choreografen selten. Beim Publikum kommt das aber gut an, wie das Beispiel Eisenach zeigt. Dort hat Andris Plucis mit einem Spaß-Ballett seinem Repertoire eine neue Farbe beigemischt.

Auf die Ära Tomasz Kajdanski übernahm 2009/10 der Sohn eines lettischen Tänzerpaars die Ballettleitung, nach einem Jahrzehnt in gleicher Funktion am Theater Ulm. »Romeo und Julia«, Plucis' Einstieg, stieß in Eisenach auf breite Resonanz, geht sogar auf Gastspielreise, dem ließ er ein Programm zu Musik seines Lieblingskomponisten Franz Schubert folgen: »Der Tod und das Mädchen«/ »Wanderer-Fantasie« setzten sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen auseinander. Mit jedem Abend, sagt Plucis, Jahrgang 1959, möchte er eine andere »Tonlage« des Tanzes vorstellen.

Ehe die Compagnie sich im April an »Schwanensee« wagt, nun der Ausflug ins heiter Chaotische. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, was Plucis »Chaos-Ballett« nennt.

Tatsächlich geht »The Best of Karlheinz« recht schnell der rote Faden abhanden. In deutscher und einer asiatischen Sprache sagt ein Paar an, wegen Krankheit müsse die Uraufführung der Modern Dance Company entfallen; stattdessen zeige man etwas anderes. Das hebt als Männertrio um eine Orientalin grauenvoll seriös an, bis die Schöne über ein Löwenfell stolpert – und der Mensch darunter aufbrüllt.

Tante Erna in der Aufmachung von Frau Jaschke jagt die Truppe fort und umschmeichelt Karlheinz, einen depperten Durchschnittsjungen unserer Tage. Eine Kolonne in Kitteln begrüßt ihn im Marschrhythmus. Da kündigt ihm eine Stimme Geschenke voller Zauber an. Im Paket findet Karlheinz einen Gong: Wenn er den schlägt, passiert etwas. Zuerst erlebt er gehüpfte Andenfolklore. Als Erna ihn zum Abwasch befiehlt, schläft er auf dem Sofa ein, träumt von schicken Autos. Im Karton findet er auch eine CD mit Musik von Emmerich Kálmán: Prompt erscheinen Piroschkas & Partner.

Zum Finale springt eine durch einen Reifen, die Stimme wirbt bei Bruchschäden für eine Glaserei vor Ort. Das gefällt dem Deppen so sehr, dass er den Tanz zwei Mal wiederholen lässt.

Ein Tierorchester musiziert auf Instrumenten vom Akkordeon bis zur Zither lustlos »I like to be in America«, bis der Vogel in der Posaune steckenbleibt. Karlheinz durchbohrt die Sterne auf dem Weihnachtsbaum, fummelt am Stromkabel bis zum Kurzschluss. Eine Sonderaktion für billige Barhocker ruft ihn fort, Damen in Ballkleidern tanzen Strauß-Walzer, noch nicht synchron zwar. Vor Karlheinz erschrecken sie, nur zwei Blumen bleiben bei ihm, passend zur Werbung eines Blumengeschäfts. Alte Kameraden in verlottertem Husaren-Outfit tanzen russische Folklore mit Temposteigerung bis zum Umfallen; Waden- und andere Krämpfe verlangen nach einer Pause. Danach wirds tänzerisch ergiebiger.

Noch nicht bei der Fußball-Pantomime in Zeitlupe und zu einem Aznavour-Chanson, wenn sich all das ereignet, was wir auf dem Rasen so sehr mögen. Witzig ist das, auch wie weibliche Fans die Spieler ausziehen, in deren Trikots schlüpfen und dann genau das gleiche Verhalten imitieren. »Non, je ne regrette rien« singt die Piaf dazu. Begann der Teil nach der Pause mit einer Reminiszenz an Südamerika, läuft er mit zwei weiteren Tänzen zu Hochform auf, einer präsentablen Irish-Tap-Nummer und einem Abstecher ins große Bollywood-Kino.

Dazwischen: eine Militärkapelle mit Rührlöffel und Zinkeimer, ohne tänzerische Platzveränderung; skandierte Werbungen für Bohrer und ähnliches Gerät, für Schlachteplatte und Blutwurst, je mit Angabe des geeigneten Geschäfts. Ernas Einlage mit Plüschherz schließt sich die bajuwarische Variante des Schneewalzers an, mit »Engeltragen« aus der Folklore, bis eine Schneelawine niedergeht. Karlheinz, immer mittenmang, entsorgt noch rasch den Abwasch, als das Paar des Beginns die eigentliche Vorstellung ankündigt. Da fällt der Vorhang.

Mut zur Klamotte und reichlich Einfälle darf man dem Choreografen bescheinigen, wiewohl bisweilen die Form im Klamauk untergeht; diebische Spielfreude beweisen seine Tänzer um »Karlheinz« Frederic Schötschel und Ramona Seeck als fett gepolsterte Erna.

Nächste Vorstellung: 30.12.

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