Kein Seelenfrieden

Juden in Deutschland

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 2 Min.

W ill ein Außenstehender den jüdischen Gemeinsinn begreifen«, so Olga Mannheim, »darf er sich nicht irritieren lassen durch Details, die beim näheren Betrachten unvermeidlich zunehmen ... Alle Juden stimmen darüber überein, keine Übereinstimmung mit anderen Juden zu haben. Diesem einhelligen Abgrenzungsdrang verdankt sich ihre sagenhafte Einigkeit.« Schön formuliert! Aber so einfach ist es nicht. Es geht um existenzielle Fragen, individuelle und die gesamte jüdischen Gemeinschaft in Deutschland wie auch den Staat Israel aus deutsch-jüdischer Sicht betreffende. Die verschiedenen Standpunkte unter Juden gerade auch hinsichtlich der israelischen Besiedlungspolitik und die Berliner Erklärung »Schalom 5767« scheinen unvereinbar.

Der buchtitelgebende Beitrag von Moshe Zuckermann knüpft – wie jener von Julius H. Schoeps etwa – an die jüdische Vergangenheit an. »Aus der Logik der Moderne geborene Optionen« seien durch die Shoah »katastrophisch untergegangen«. Zuckermann erinnert an die jüdische Nachkriegsminderheit »auf gepackten Koffern« und die Leistungen von Ignatz Bubis, jüdischen Gemeinden in Deutschland wieder Leben und Öffentlichkeit gegeben zu haben. Im Zentrum der Überlegungen in dem von Y. Michal Bodemann und Micha Brumlik herausgegebenen Buch steht die Gegenwart der Juden in Deutschland; im Fokus sind vor allem die gravierenden Veränderungen in den vergangenen 20 Jahren. Dazu gehören innerjüdische Spannungen zwischen »Alteingesessenen« und »Zugezogenen«. Etwa 206 000 jüdische »Kontingentflüchtlinge« sind in den letzten beiden Jahrzehnten aus den GUS-Staaten eingewandert. Es kamen »Russen statt Einsteins«, spitzt Lena Gorelik zu.

Streit und heftige Debatten, so die Herausgeber, sind ein Ausdruck für den Wandel der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Diese ist nicht mehr monolithisch, nicht politisch, kulturell und religiös homogen. Mit dem Generationswechsel und vor allem durch die russischsprachige Einwanderung ist jedoch ein erneutes »veritable Aufblühen« jüdischer Kultur in Deutschland erkennbar.

Die Themenpalette der hier versammelten rund 40 Abhandlungen und Ausätze reicht von religiösem Pluralismus bis zum liberalen Judentum in Deutschland. Meron Mendel denkt über Perspektiven Jugendlicher nach. Moritz Reininghaus, nichtjüdischer Mitarbeiter der »Jüdischen Zeitung«, beklagt den Mangel an publizistischer Vielfalt und plädiert mit Bodemann für vielseitige Gespräche. Maxim Biller beharrt hingegen auf Unterschiede und hat gar nichts für einen »intellektuellen Seelenfrieden« übrig. Einig sind sich die meisten Autoren darin, dass öffentliche Erinnerungsrituale von (jüdischen und nichtjüdischen) Prominenten keine wirklichen Kenntnisse über jüdische Gegenwart heute in Deutschland vermitteln.

Y. Michal Bodemann/Micha Brumlik (Hg.): Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 294 S., geb., 19 €.

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