Ist Vergleich Sünde?

Wolfgang Schmidbauer über Gefühle, die man rief, und dann ...

  • Lesedauer: 4 Min.

Gegenwärtig hat es ein FDP-Politiker schwer: Er hat den Zustand seiner Partei mit dem Zustand des DDR-Regimes im Jahre 1989 verglichen. Er meinte es gut, er wollte energisch deutlich machen, dass die Führungsspitze etwas ändern muss, um nicht hinweggefegt zu werden vom Wählervolk. Jetzt wird er behandelt, als ob er die FDP nicht mit der DDR verglichen hätte, man kann schließlich auch den Mond mit grünem Käse vergleichen und die Sonne mit einer Kerze und die Frau mit einer Rose. Es geht ihm ans Leder, als hätte er gesagt: Die FDP ist die DDR, samt Stasi und starrsinnigem Kader.

Das liegt daran, dass Vergleiche, der Fantasie entsprungen, auch die Fantasie anregen und eine angeregte Fantasie wild in alle Richtungen bildert. Wenn wir uns nun vorstellen, Westerwelle sähe sich mit Honecker verglichen, können wir uns in sein Bauchgrimm einfühlen. Und aufrechte liberale Parteisoldaten, Kommunistenfresser der ersten Stunde, sollen SED-Funktionären ähneln? Niemals. Unsere Fraktionszwänge sind liberal; die Fraktionszwänge der Konkurrenz stalinistisch. So und nicht anders!

Neben anderen Vergleichsschlachten ist die Metaphorik um FDP und DDR harmlos. Erinnern wir uns nur an die mit der Antisemitismuskeule bekämpfte Auschwitzkeule! Wer in solchen Kämpfen angefangen hat, ist nachträglich oft gar nicht mehr auszumachen. Ein zweites Beispiel: Der widerwärtig geschickte Redner einer unliebsamen Partei wird in die Nähe zu Goebbels gerückt. Er versucht, den Ball zurück ins gegnerische Feld zu hauen: Nicht der Verglichene, der Vergleichende ist ein Faschist.

Da Fanatiker nur Parteigänger oder Todfeinde kennen, enthält das durchaus ein Körnchen Wahrheit. Vergleiche mit totalitären Systemen verkapseln den Wunsch, die Welt so einfach zu machen, wie sie das Klischee haben will. Die Wirklichkeit ist komplex, unsere Emotionen wünschen sich eine einfache Orientierung. Der Vergleich strebt danach, uns diese zu schenken; während draußen Kränkungen und Verunsicherungen wie Hagelkörner auf uns niederprasseln, bietet er die dunkle, warme Höhle der Rechthaberei.

Vergleiche versuchen, Gefühle zu fassen. Wir schaffen ein Bild, das mit Angst, Bewunderung, Liebe oder Hass verknüpft ist und wollen dadurch einen Affekt zu erzeugen, der zu dem passt, was wir erzählen. Wie Schüsse streuen auch Vergleiche; im Gegensatz zur Zielscheibe, in der es einen Mittelpunkt gibt und damit die Chance, genau ins Schwarze zu treffen, gehört es aber zum Wesen des Vergleichs, dass er nicht exakt sein kann, denn dann wäre er kein Vergleich mehr.

Ein Mann fühlt sich von seiner Frau eingeengt. »Du bist wie meine Mutter«, klagt er. »Nein, du jammerst wie ein Kind, dem man sein Spielzeug wegnahm.« Hier prallen Vergleiche aufeinander, die dem Partner eine falsche Form von Liebesanspruch unterstellen. Der Konflikt wird unlösbar, weil beide Metaphern die ganze Verantwortung für eine unbefriedigende Situation im Fehlverhalten des Gegenübers ansiedeln. Das hängt damit zusammen, dass Vergleiche scheinbar eine äußere Realität schaffen – »Du bist wie« ist nicht anders als »Du bist!« In Wahrheit aber beschreiben Vergleiche innere Wirklichkeit; sie müssten eigentlich so formuliert werden: »Ich erlebe dich, wie ich meine Mutter erlebt habe, wenn du mir verbietest, mit meinem Freund in die Kneipe zu gehen!«

Die meisten Schimpfworte sind verkrüppelte Vergleiche – Esel oder Schwein mit Tieren, Hurensohn oder Schlampe mit Menschen. Wer hier seine Neigung zügelt, den Vergleich zur Gleichsetzung zu verstümmeln, drückt sich geschraubter, aber auch versöhnlicher aus: »Wenn ich mich erinnere, dass du diesen Fehler schon öfter gemacht hast und nie einen Gedanken daran verschwendest, warum du das tust, taucht vor meinem inneren Auge ein Esel auf!«

Umgekehrt lehren die zitierten Debatten, dass auch ein voll ausgeschriebener, eindeutig als Metapher charakterisierter Vergleich in empfindlichem Gelände behandelt wird wie ein Schimpfwort. Martin Walser ist in der kollektiven Erinnerung mit dem Wort von der Auschwitzkeule verknüpft worden, obwohl er in seiner Rede sagte, Auschwitz eigne sich nicht zur Moralkeule.

Vergleiche sind das schönste Beispiel für die Volksweisheit, dass der allzu straff gespannte Bogen bricht. Dann fällt der mit besonderer Macht ins Ziel geschossene Pfeil kraftlos zu Boden; der Schütze hält die Fragmente seines Werkzeugs in Händen und staunt, wie seine Absicht ins Gegenteil umschlägt. Diese Kommunikationskatastrophe vermeidet, wer den Vergleich so äußert, wie er in unserem Kopf entsteht: als subjektive Assoziation entlang von Gefühlen, die ihm den Weg weisen, um sich zu verdeutlichen.

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